Ertrunken im Hafenbecken von Le Havre

FRANKREICH Der "ganz normale" Fremdenhass des "Front National"(FN) bietet auch den Skinheads eine Heimstatt

Das schlechte Gewissen existiert nicht. Mit Entzücken entdeckte ich, dass das schlechte Gewissen reine Fiktion ist." In Frankreich gefallen sich selbst die Skinheads in der Pose des Literaten. Die Zeilen stammen aus dem Tagebuch von David Beaune, eines "crâne rasé", eines Kahlköpfigen, der sich die Haare vom Kopf scherte, um hässlich zu sein in einer Welt, in der Hass regieren soll. "Wir haben weite Felder in der Normandie - weshalb errichten wir hier nicht Konzentrationslager?", liest der Richter dann noch aus den Aufzeichnungen des 25-jährigen vor. David Beaune hatte einen Nordafrikaner in ein Hafenbecken von Le Havre gestoßen und anschließend dem Ertrinken seines Opfers zugesehen.

Doch Frankreich ist kein Skinhead-Land. Der ganz normale Fremdenhass im Nachbarland hat seine politische Verklärung im Front National (FN) des Jean-Marie Le Pen (15 Prozent Wählerstimmen) gefunden. Vielleicht liegt hier der Grund, dass die Skinhead-Ideologie nie wirklich auf französische Jugendliche übergreifen konnte. Öffentliche Aufmärsche, rechtsfreie, von Skinheads kontrollierte "nationale Zonen" sind in französischen Provinzstädten unbekannt.

Die Geschichte der schätzungsweise 2.000 Skins aus Frankreich lässt sich in einer Serie besonders abstoßender Verbrechen und ihrer Prozesse in den neunziger Jahre zusammenfassen. David Beaune stieß angefeuert von seinen Saufkumpanen im April 1995 den 19-jährigen Imad Bouhoud in das Vauban-Becken von Le Havre. James Dindoyal - ein junger Mann aus Mauritius - musste im Juli 1990 ebenfalls in Le Havre vermutlich Reinigungsmittel trinken, wurde von seinen glatzköpfigen Peinigern ins Meer gestoßen und starb Tage später an inneren Verätzungen. Auch die Schändung des jüdischen Friedhofs von Carpentras in Südfrankreich 1990 ging auf das Konto von Skinheads. Sieben Jahre brauchte die Justiz, um schließlich jene vier "crânes rasés" aus der Kleinstadt anzuklagen, die Grabsteine umgeworfen, Särge geöffnet und den Leichnam eines kurz zuvor bestatteten Mannes gepfählt hatten.

Carpentras war ein monströses Lehrstück - eine Irrfahrt durch Frankreichs rechtsextremen Sumpf zwischen der marginalen Skinhead-Bewegung auf der einen Seite und der soliden Verankerung des FN in der französischen Wählerschaft auf der anderen. Le Pen und seine Anhänger forderten damals öffentlich Genugtuung von der französischen Regierung und hatten sogar die Stirn, in Carpentras eine Demonstration zu organisieren. Die Schändung des Friedhofs dem FN zu unterstellen, sei ein politisches Manöver der Linken, hieß es. Als der Verdacht am Ende doch auf die Skinheads fiel, distanzierte sich die Partei von den Jugendlichen und tat so, als ob sie selbst nie Rassenhass und Antisemitismus gepredigt hätte. Mit den Skins will der Front National offiziell nichts zu tun haben. Dass Glatzköpfe bei Parteidemonstrationen mitmarschieren und bisweilen Sicherheitsdienst spielen, wird verdrängt. Als Skinheads aus Reims während einer FN-Demonstration in Paris 1995 einen Marokkaner in die Seine warfen und umbrachten, lieferte der Chef des parteieigenen Sicherheitstruppe DPS, Bernard Courcelle, die entscheidenden Hinweise zur Ergreifung der Täter.

Hat allein die Existenz des FN, Frankreichs lange Zeit starker rechtsextremer Partei, eine Entwicklung der Skinhead-Bewegung wie in Deutschland verhindert? Die Verbindung liege nicht auf der Hand, meint der Pariser Politikwissenschaftler Philippe Moreau Defarges. "Einerseits gibt es in Deutschland keine wirklich mit dem FN vergleichbaren Strukturen, weil die politischen Tabus in der französischen und deutschen Gesellschaft unterschiedlich sind. Die deutschen Politiker waren in den vergangenen Jahren immer darauf bedacht, die rassistische Gewalt klein zu reden, wohl weil sie mit einem schweren Erbe umgehen müssen."

Andererseits sei Deutschland aber im vergangenen Jahrzehnt stärker von der Einwanderung betroffen worden als Frankreich. Auf den Zusammenbruch des Kommunismus im Osten folgte der Zerfall Jugoslawiens, und in beiden Fällen richtete sich der Einwanderungsstrom nach Deutschland. Moreau Defarges sieht darin jedoch keine Entschuldigungen für rechtsextremistische Brutalität in Deutschland: "Die Gewalt geht ja wohl vor allem auf die Art und Weise zurück, wie die deutsche Bevölkerung Ausländer betrachtet. Und da gibt es ganz offenbar ein Problem."

Frankreich kennt kaum das Phänomen gewaltbereiter Jugendbewegungen. Skins, Punks oder Autonome sind keine sonderlich attraktiven Vorbilder für die jungen Franzosen, die sich lieber um die Grande Nation drehen und wenig aufgeschlossen gegenüber angelsächsischen oder gar deutschen Einflüssen sind. Der Extremismus der alten französischen Rechten wirkt viel anziehender auf die bourgeoise Jugend als auf Franzosen aus weniger privilegierten Elternhäusern. Anhänger des Vollrauschs und der arischen Sprüche finden sich allenfalls in den alten Industriestädten im Norden Frankreichs - in Lille oder Le Havre, wo die Linke seit jeher regiert. In Paris und um Marseille im Süden des Landes, der ohnehin für seine rechtsextreme Subkulturen bekannt ist, finden sich Freunde nordisch angehauchter Rollenspiele bis zu antisemitischen Satansanbetern. Die Jeunesse Nationaliste Révolutionnaire (JNR) in Paris gilt als ideologischer Kern der französischen Skins, ehemalige Glatzen sind im weitverzweigten Imperium des FN zu finden, wie etwa Robert Ottaviani, Führungsmitglied der rechtsextremen Studentenorganisation Renouveau Etudiant.

Der Hass gegen Ausländer, der erniedrigende Alltag nicht-französischer Bürger ist sozial anderswo angesiedelt: nicht in der puren Gewalt "weißer" Franzosen an der nächsten Straßenecke, sondern in den Banlieues der großen Städte, wo Frankreichs zweite Klasse lebt und sich Schlachten mit den Staatsvertretern liefert. Frankreichs Kolonialherrschaft in Afrika, Indochina und auf den Antillen mag die Republik zwangsläufig zum Zusammenleben mit ausländischen Kulturen verpflichtet haben - die soziale Hypothek aus dem Zeitalter des Imperialismus bleibt der Nation bis heute. Im politischen Denken zumindest ist man allerdings Nachbarn wie Deutschland erkennbar voraus: Seit dem Siegeszug der französischen Fußballer ist das Lob der multikulturellen Gesellschaft zum Dauerrenner aller politischen Reden geworden. Zinedine Zidane hat die Skins auf ihrem eigenen Feld geschlagen - dem nationalen Männlichkeitswahn.

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