Das neue Georgien sitzt zu Tisch und hat gerade Tschakapuli geordert, gedünstetes Schafsfleisch, in einem Suppentopf grüner Kräuter versenkt, als auf der Uferpromenade ein kleiner Konvoi entlang flitzt, hinaus aus Tiflis in Richtung Krtsanisi, dem Regierungsviertel der Hauptstadt. "Unser Präsident", stellt Lado Burduli fest, der Musiker, der selten ernst sein will. "Er ist cool, oder?"
Die anderen in der Runde, vier junge Amerikaner vom Peace Corps des US-Außenministeriums, das High-School-Absolventen aus grünen, weit entfernten Bundesstaaten wie Oregon oder Wyoming als Englischlehrer in die Dörfer des noch viel grüneren Georgiens schickt, nicken zustimmend. Präsident Michail Saakaschwili ist cool.
"Andererseits", überlegt Burduli und macht es sich mit seinen Springerstiefeln auf einem zweiten Stuhl bequem, "könnte er auch das Rad nehmen." Mit Präsidenten hat Burduli wie alle Georgier seine Erfahrungen, auch mit denen, die nun jeden Tag die Welt neu erfinden wie Saakaschwili, der 37-jährige Jurist mit dem US-Diplom, der nur wenig jünger ist als der Avantgarde-Musiker.
Michail Saakaschwili mag im vergangenen November seine "Rosenrevolution" gegen den alternden Eduard Schewardnadse angeführt haben - Burduli probt seit einem Jahrzehnt die "Permanente Kulturrevolution".
Als Swiad Gamsachurdia, der Vorvorgänger Schewardnadses, im Winter 1991/92 gestürzt wurde und mit seinen Getreuen Tiflis verließ, nicht ohne noch zuvor das Parlamentsviertel in Brand zu schießen, packte Lado Burduli die Gitarre ein und fuhr unter dem Protest seiner Freundin in Berlin - "was willst du in diesem dummen Land?" - zurück in den Kaukasus. In Tiflis zog er seine Version des Berliner Tacheles auf und eröffnete mitten im Bürgerkrieg und zum großen Befremden der Mafia ein Happening-Café, das sich einer gewissen Beliebtheit in der Schwulen- und Lesbenszene erfreute.
Doch wahrscheinlich fühlen sich die Gebrüder Burduli-Bakuri - der Jüngere, macht etwas hörbarere Musik, heißt es, georgischen Brit-Pop sozusagen - nach dem Abgang Schewardnadses mehr im Einklang mit dem Land, das nun zu einem Lieblingsmündel Washingtons und der EU geworden ist und mit jedem Kilometer Pipeline, den British Petroleum vom Kaspischen Meer durch Georgien ans türkische Mittelmeer bauen lässt, näher an den Westen rückt.
Mit dem Staat ist es so eine Sache
Ein halbes Jahr nach der "Rosenrevolution" ist die große Mehrheit der Georgier immer noch begeistert von ihrem jungen Staatschef und von "Salome", der französischen Botschafterin, der Saakaschwili kurzerhand die georgische Staatsbürgerschaft verlieh, um sie hernach zur Außenministerin zu ernennen.
Zum Nationalfeiertag am 26. Mai ordnete der Präsident die größte Militärparade seit der Unabhängigkeit von 1991 an. 7.000 Soldaten defilierten am Ufer des Mtkvari in Tiflis, allen voran die von den US-Instrukteuren trainierten vier Infanteriebataillone. Saakaschwili nutzte die Gelegenheit, der Öffentlichkeit das neue Staatswappen zu präsentieren, eines seiner Steckenpferde, das den Parlamentariern so merkwürdig erscheint, dass sie eine Abstimmung darüber ständig verschieben. "In der Einheit liegt die Kraft", steht unter dem Wappen, und Saakaschwili bekräftigt: "Endziel meiner Präsidentschaft ist die Wiedervereinigung Georgiens."
Doch mit dem Staat ist es so eine Sache. Der Zerfall der Kaukasusrepublik Anfang der neunziger Jahre in einen Rumpf und drei Regionen mit unterschiedlich starken Unabhängigkeitsbestrebungen - Abchasien, Südossetien und Adscharien - war nicht zuletzt Folge und Fortschreibung organisierter Kriminalität und Moskauer Machtpolitik. Mit dem militärischen Beistand Russlands gelang zunächst den Osseten, wenig später den Abchasen die Loslösung von Tiflis. Mehr als 100.000 Menschen kamen seinerzeit während der Kämpfe ums Leben. In Adscharien schwang sich noch vor der Unabhängigkeitserklärung Georgiens der alte Clan der Abaschidse nach 70 Jahren des sowjetischen Intermezzos wieder an die Macht. Georgien, zu Sowjetzeiten eine der wohlhabendsten Republiken, stürzte ab: Um rund 40 Prozent sank die Wirtschaftsleistung nach 1989, bei 778 Dollar lag zuletzt das im Jahr erwirtschaftete Pro-Kopf-Einkommen.
Die fünf Millionen Georgier erlebten den absterbenden Staat, aber anders als es die Theorie vorsah: Während in Tiflis unter Eduard Schewardnadse Politik gespielt wurde mit Wahlen und Regierungen, führten in Wahrheit kriminelle Kartelle hinter den Kulissen Regie. Wenigstens zwei Drittel der georgischen Wirtschaft - so die Schätzungen - stehen seither im Schatten des Staates. Von 1998 an begann der Schmuggel auf Hochtouren zu laufen: Drogen aus Afghanistan, die nach Westeuropa oder Russland weitertransportiert werden; Waffen, die in den Nahen Osten oder in umgekehrte Richtung nach Russland gehen; Benzin, Holz, Altmetall oder Frauen. Vom illegalen Handel finanzierten - und finanzieren sich noch - die politischen Cliquen in den Separatistenprovinzen wie in der georgischen Kapitale, die sich alles zahlen ließen und alles erkauften. Bis zu den Parlamentswahlen im November 2003 - dann war plötzlich Schluss.
"Georgien ist die einzige unter allen früheren Sowjetrepubliken, die erklärtermaßen eine Revolution gegen die Korruption losgetreten hat", sagt Ketewan Rostiaschwili. Sie leitet das Büro des Transnational Crime Corruption Center in Tiflis, einem Ableger der American University in Washington.
Adschariens Heimkehr
Auch Frau Rostiaschwili ist vom Präsidenten angetan. Mit welcher Geschwindigkeit er alles umstoße, was bisher als unantastbar galt, staunt sie. Im Mai erst stürzte ein Volksaufstand in der kleinen abhängigen Teilrepublik Adscharien den Autokraten Aslan Abaschidse, seit Juni konzentriert sich die Regierung auf Südossetien. Mehr oder minder geschickt verbinden die Reformer - Saakaschwili und Surab Schwanija, sein Premierminister und Rivale - den Feldzug gegen die Schmuggler mit Verhandlungsangeboten an die Separatisten und Geschenken für die Bevölkerung. Tiflis lässt in den südossetischen Dörfern Pensionen auszahlen und gratis Dünger und Medikamente verteilen.
Vor allem aber hat die neue Finanzpolizei Checkpoints an allen Straßen aus dem Gebiet aufgebaut und den größten Schmugglermarkt entsorgt. Auch den russischen "Friedenstruppen", die einen Waffenstillstand von 1992 überwachen sollen, aber am illegalen Handel mitverdienen, bieten die bewaffneten Beamten die Stirn. Das imponiert den Leuten in der Hauptstadt.
Die Rückkehr der Provinz Adscharien hat die Reformer in Tiflis elektrisiert, ihr erster großer Erfolg und eine Bestätigung der gewaltlosen Revolution, von der böse Zungen behaupten, sie sei von dem US-Milliardär und Menschenfreund George Soros finanziert worden - die Lieferung Hunderter Rosen ins damals winterliche Tiflis inklusive. Mit Rosen in der Hand waren Saakaschwili und seine Mitstreiter in die konstituierende Sitzung des Parlaments gestürmt und hatten Staatschef Schewardnadse, dem sie Wahlfälschung vorwarfen, zur Flucht gezwungen. Für die zahllosen Institute, Zentren, Beobachtungsstellen oder Bürgervereinigungen, die wie die Soros-Stiftung in dem Jahrzehnt der Stagnation unter Schewardnadse eine politische Nebenwelt in der Kaukasusrepublik aufbauten und nun zum Teil in die neue Regierung wechselten, lässt der Triumph des Aufstands diese Vorwürfe verblassen.
Bauingenieure vermessen nun gleich hinter Batumi, der Hauptstadt Adschariens nahe der Grenze zur Türkei, die Straße nach Tiflis und lassen emsig Gruben ausheben. Aslan Abaschidse, Herrscher des kleinen Lügenreichs Adscharien, hatte sie verfallen lassen und wollte seinen Untertanen doch immer weismachen, sie lebten in einer Oase des Wohlstands, geschützt vom Chaos im restlichen Georgien. Abaschidse hatte sich mit Zolleinnahmen und Schmuggelgeschäften im Schwarzmeerhafen Batumi und am Grenzübergang Sarp zur Türkei die Taschen voll gestopft und eine Privatarmee unterhalten. Jetzt sitzen neue Grenzbeamte in der heruntergekommenen Zollstation in Sarp. Und verwundert berichten türkische Lastwagenfahrer von 20 Lari - etwa zehn Dollar - Bearbeitungsgebühr für die Verzollung der Waren, die sie täglich ins Nachbarland bringen. 200 bis 500 Dollar Schmiergeld wurden ihnen früher abgepresst.
Moskau, das noch eine Militärbasis bei Batumi unterhält und eine zweite in Achalkalaki, in einem Gebiet mit armenischer Bevölkerungsmehrheit, spielte eine bemerkenswert konstruktive Rolle bei den zwei Regimewechseln in Georgien seit November 2003. Igor Iwanow, dem Chef des russischen Sicherheitsrates, der beide Male die Abgänge der verschlissenen Präsidenten Schewardnadse und Abaschidse vermittelte, sei auch nicht viel anderes übrig geblieben, meinen Diplomaten in Tiflis, die Tatkraft und Charisma des jungen Saakaschwili rühmen. Im georgischen Außenministerium ist man bemüht, den Wandel in den Beziehungen zum großen Nachbarn Russland herauszustellen, von dessen Energielieferungen das Land abhängig ist. Konstantine Zhgenti, Sonderbotschafter für Sicherheit im Südkaukasus, spricht von Russlands Interessen an einer stabilen Flanke im Süden. Das Problem Südossetien und Abchasien werde mittelfristig durch Verhandlungen gelöst. Für Tiflis sei der Status quo unhaltbar: "Das sind zwei riesige schwarze Löcher an unserer Grenze. Können Sie sich das vorstellen? Wie soll man da einen normalen Staatshaushalt aufstellen oder Steuern einnehmen?"
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