Es gibt nicht wenige Dinge, die für das politische Frankreich an diesem Wochenende wichtiger sind als Angela Merkel und die erwartete Bestätigung für eine zweite Amtszeit: Rätseln über die Pläne des rastlosen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy zu Beginn der neuen Parlamentssaison; die nächsten Auftritte von Carla Bruni-Sarkozy; der unaufhaltsame Aufstieg des Eric Besson, des neuen wilden Manns in der Regierung, Ex-Sozialist und Minister für „Integration“, der Flüchtlingscamps in der Normandie schleifen lässt und schon als nächster Premier gehandelt wird. „La non-campagne“ in Deutschland dagegen – nun ja. Zwei Monate lahmes Kulissenschieben auf Wahlkampfbühnen, haben selbst erprobte französische Berlin-Beobachter zum Gähnen gebracht.
Eine Wohltat für Frankreich
An Kohabitationen, dem gemeinsamen Wursteln an der Staatsspitze zweier politisch konträrer Lager, sind die Franzosen gewohnt, die deutsche Version aber langweilt sie definitiv. Es mangelt ihr an Machiavellismus und Ranküne – und der Aussicht auf einen Show-down. Dass die große Koalition nach dem 27.September fortgeschrieben werden könnte, erklärt zum Teil das Desinteresse der Franzosen an dieser Bundestagswahl.
Reicht es für ein Bündnis mit der FDP und für die Rückkehr zur bürgerlich-liberalen Welt aus den Zeiten von Adenauer, Erhard und Kohl, dann ist der Wahlausgang auch nur aus einem Grund halbwegs interessant: Wie kann es sein, dass eine wirtschaftsliberale Partei in Zeiten der Krise so gut abschneidet? Französische Politologen und Journalisten, die Guido Westerwelles Wahlkampf verfolgten, haben dafür eine Erklärung parat. Auch die FDP geriert sich sozial, so stellte etwa die Deutschland-Korrespondentin von Le Monde fest. Außerdem hätten die Deutschen trotz Rezession ihren Beschäftigungsstand fast halten können.
Wandel der Deutschen
Die Wahl beim Nachbarn jenseits des Rheins, so wenig inspirierend sie auf Frankreich wirken mag, legt tiefere Wahrheiten offen. Das betrifft zum einen den problematischen französischen Staatschef selbst. Der Ausgang der Bundestagswahl ist für Nicolas Sarkozy nicht wirklich wichtig. Er hat, genau besehen, keine politischen Partner mehr in der EU, niemanden – mit Ausnahme des irrlichternden italienischen Premiers Berlusconi vielleicht, der seine Alleingänge schätzt. Für Angela Merkel gilt das nicht unbedingt. Ihr möglicher Sieg wird in Paris das Nachdenken über einen möglicherweise grundsätzlichen Wandel der Deutschen beleben. Die ostdeutsche Biografie der Kanzlerin war für die Franzosen nie recht fassbar.
Dass damit gesellschaftlich Neues entsteht, scheint mancher zu spüren. Jack Lang, einst Kulturminister für den Parti Socialiste und Gefolgsmann des verstorbenen Präsidenten Francois Mitterrand, meinte unlängst bei einem Besuch in Berlin: Deutschland sei „Europas vollendetste Demokratie“. Was soviel bedeutet wie: 20 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem nationalen Rausch der Kohl-Jahre haben die Deutschen zu einer aus französischer Sicht beruhigenden Form von Normalität gefunden. Mit einer schwächelnden Sozialdemokratie und einer stärker werdenden Linkspartei ähnelt das deutsche Parteiensystem mehr und mehr dem der Grande Nation.
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