Prinzipienlos ins Amt

Duell der Seelsorger Royal und Sarkozy werben mit Werten, weil sie keine Ideen haben

Die Franzosen sind nicht zu beneiden. Gegen die aus dem Inneren strömende Selbstüberzeugung einer Ségolène Royal und die allzeit lächelnde, beißwütige Selbstgewissheit eines Nicolas Sarkozy hilft nur die unschuldige Reinheit eines weißen Stimmzettels. Kein Kreuz ist besser als irgendein Kreuz bei der Stichwahl in knapp einer Woche, sagen sich viele, die sich jetzt nicht zum Büttel machen und einen der beiden Egomanen in den Elysée-Palast katapultieren wollen. Prinzipienlosigkeit ist Trumpf bei dieser ungewöhnlichen Wahl. Was vor dem ersten Wahlgang verkündet und versprochen wurde, schert die beiden Anwärter auf das höchste Staatsamt vor der zweiten Runde am 6. Mai nicht länger.

Mehr noch: Royal und Sarkozy erklären die umstandslose Revision ihrer Wahlprogramme - vage links das eine, teilweise rechtsextrem das andere - zwecks größerer Chancen zur logischsten Sache der Welt. Es war alles nur eine Nummer, fürchtet euch nicht. "Il faut rassembler", erklären die Wahlkampfstabsoffiziere mit sonorer Stimme nun in jeder Nachrichtensendung, das Stimmvieh soll sich um den Kandidaten scharen.

Ségolène Royal, von der man auch nach einem Jahr Wahlkampf nicht recht weiß, wie sie dorthin gelangt ist, wo sie heute steht, und Nicolas Sarkozy, von dem man ganz im Gegenteil sehr genau weiß, wie rastlos und kalkuliert er sich den Zugriff auf die Macht gesichert hat, lassen einen Großteil der Franzosen - nicht nur die vier Millionen, die für den Liberalen François Bayrou stimmten - heute frustriert zurück. Sicher: Die erste Runde des Votums war für das Allgemeinbefinden der Nation die lang ersehnte Wiedergutmachung nach dem Debakel vom April 2002, als Lionel Jospin, der sozialistische Bewerber, gänzlich unerwartet aus dem Rennen fiel und an seiner Statt der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl gegen Chirac gekommen war. Le Pen scheiterte dieses Mal, so dass die politische Karriere des 78-Jährigen nun wirklich zu Ende scheint. Die Wahlbeteiligung war so hoch, der kollektive Wunsch nach einer respektablen Entscheidung so stark, dass die ewige Klage um den Niedergang der Demokratie in Frankreich Lügen gestraft wurde.

Die radikale Linke wie die extreme Rechte haben die Franzosen mit der bewussten Stimmabgabe für die "großen" Kandidaten an die Wand gedrückt, bekommen haben sie jedoch nur alt Bekanntes. Noch in der Wahlnacht mussten sie entdecken, dass sie einmal mehr Manövriermasse in einem vorgeblichen Streit zwischen Rechts und Links sind, wie er charakteristisch für die V. Republik seit 1958 war. Der Unterschied heute ist, dass die Mehrheit - 66 Prozent der Arbeiter, 63 Prozent der Angestellten - nicht mehr an die Fähigkeit der Sozialisten und der Bürgerlich-Konservativen glaubt, wirtschaftliche Probleme zu lösen. Der Unterschied zu früheren Wahlen in Frankreich ist auch, dass die beiden Kandidaten selbst nicht den Eindruck machen, ernsthaft politische Ideen der Rechten oder der Linken zu vertreten.

Mit dankenswerter Klarheit hat ein Historiker den famosen Niedergang der Politik durch das Kandidatenpaar Royal-Sarkozy mit ihrer ständigen Berufung auf "Werte" benannt. "Werte" aber, so stellte Christophe Prochasson noch am Tag vor dem ersten Wahlgang fest, seien wenig definiert, hätten einen moralischen wie psychologischen Inhalt und seien eben das Gegenteil von "Ideen". Der elende Hang zur Psychologisierung habe das politische Leben in Frankreich überrollt: "Man spricht nicht mehr von sozialer Klasse, sondern von Leiden, von Opfern."

Ségolène Royal, die das Kunststück vollbrachte, in ihrer Rede am Wahlabend nicht ein einziges Mal den Begriff "Sozialistische Partei" unterzubringen, versprach, gemeinsam mit den Franzosen die "schlechten Dämone der Depression und des Abstiegs" zu bezwingen. Sarkozy drohte gar "den Kranken, den Behinderten, den Älteren, jenen, die ein zu starker Druck erschöpft hat" - sie zu "beschützen". Seine Chancen, die Wahl zu gewinnen, mögen besser stehen als jene von Royal. Ebenso groß freilich sind die Chancen, dass die Franzosen einen neuen Präsidenten bei der folgenden Parlamentswahl tatsächlich mit einer Gegenmehrheit konfrontieren. Für die Republik kann das kein Nachteil sein.


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