Raffarin sah rot

Frustwahlen gegen die Sparwalze Selten hat eine französische Regierung so den Boden unter den Füßen verloren

Die ersten, die sich über den Durchmarsch der Linken bei den jüngsten französischen Regionalwahlen wirklich Sorgen gemacht haben, saßen in Brüssel, nicht in Paris. In der EU-Kommission, Generaldirektion Wirtschaftsfragen, wo man den Blick für das große liberale Ganze in Europa hat, löste die Abstrafung des französischen Premiers Jean-Pierre Raffarin Schutzreflexe aus. Zu Recht. Frustwahlen gegen die selbst ernannten "Reformpolitiker", die mit ihrer Sparwalze seit Jahren gleichermaßen durch alle EU-Länder rollen, könnten Schule machen. Nach den Spaniern, die gerade das Kapitel Aznar schlossen, haben nun auch die Franzosen bei der ersten landesweiten Wahl seit dem Antritt der Bürgerlich-Konservativen vor zwei Jahren der Regierung in Paris praktisch den Boden unter den Füßen weggezogen: Bis auf das notorisch deutschtümelnde Elsass werden alle 21 Regionen in Frankreich von der Linken regiert. Vollständiger kann eine Niederlage nicht mehr sein.

Die Politik der Reformen sei unabänderlich, wusste dennoch der Generaldirektor und CDU-Mann Klaus Regling in der Brüsseler Kommission mitzuteilen. "Die Reform in einigen Bereichen wie der Gesundheit ist eine Priorität, man kann sie nicht aufschieben", erklärte er mit Blick auf Jacques Chirac, der sich schon wieder anschickt - gewiefter Taktiker, der er ist - sein Reformerkorps sozial umzufrisieren. Wie hatte Raffarin doch noch am Wahlabend angekündigt? "Unser Handeln muss effizienter und genauer sein."

Dabei war Frankreichs Rechte in den zwei Jahren seit ihrem Regierungsantritt nicht eben müßig: Schlendrian bei den Rentnern half sie ab, indem sie das Rentenalter gleich einmal von 60 auf 65 Jahre heraufsetzte; die Motivation zur Arbeitssuche hat sie gesteigert, indem das Anrecht auf Arbeitslosengeld im Schnitt um sieben Monate gekürzt wurde; ewig Kränkelnde sind endlich zur Verantwortung gezogen worden und zahlen 20 Euro statt bisher zwei für einen Arztbesuch, auch die Eigenbeteiligung an Medikamenten und dem Tagessatz für die Behandlung im Krankenhaus ist mit erzieherischem Sinn angehoben worden. Vieles ist noch zu tun, wäre die Regierung der Reformer jetzt nicht aus ihrem Schaffen gerissen worden. Immer noch gähnt ein Loch von elf Milliarden Euro in den Krankenkassen. "Langsamkeit der Reformen und mangelnde Flexibilität", so weiß die EU-Kommission, erklären, warum die Konjunktur in Europa weiter matt ist.

Die Pervertierung des Begriffs "Reform" ist nach wie vor ein sicheres Mittel, wollen sich rechte oder pseudo-sozialdemokratische Regierungen selbst versenken. Das haben auch die französischen Regionalwahlen wieder gezeigt. Steht "Reform" nicht mehr für eine Veränderung sozialer Strukturen, die das Prinzip der Gerechtigkeit und des Gemeinsinns wahrt, wird der Wähler ob so viel Sprachbetrugs ungnädig. Denn andere Seiten der bürgerlich-konservativen Regierung schätzen die Franzosen durchaus: die Sicherheits-Show ihres alerten Innenministers Nicolas Sarkozy, der den Daumen auf die alltägliche Kleinkriminalität im Lande hält, oder eine von den USA demonstrativ unabhängige Außenpolitik des Gaullisten Chirac, die er mit Bravour vor dem Irak-Krieg zur Schau stellte.

Der unerwartete Flächensieg der Linken war eine Abstrafung der Pariser Regierung, doch deren Politik wird er nicht in Frage stellen. Die Bürgerlich-Konservativen halten weiter eine satte Mehrheit im Parlament und Senat. Die Reformkarawane wird dieses Mal weiterziehen, ein wenig umgestellt, aber im Grunde unbeeindruckt. Zwei Jahre Sparkurs werden sicher nicht rückgängig gemacht. Der französischen Linken aber - Sozialisten, Kommunisten, Grüne - immer noch ohne wirkliches Programm seit ihrem Scheitern bei den Präsidentschaftswahlen 2002, ist dennoch ein Kunststück gelungen: Der Protest gegen die so genannten Reformen hat sich nicht in mehr Stimmen für die Rechtsextremen oder in mehr Nichtwählern niedergeschlagen; den Protest hat Frankreichs Linke für sich sammeln können.


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