Wie viele U-Boote haben wir?

Die Vorführung der Jeanne d´Arc Ségolène Royal tritt im französischen Wahlkampf von einem Fettnäpfchen ins nächste

François Hollande hat ihn angesehen mit einem ungläubigen Blick, der ungefähr sagte: Was soll denn das nun bitte? So verbringst du also deine Nächte? Der Vizechef des Kabinetts von François Hollande, des Vorsitzenden der französischen Sozialisten, zeichnet Comics mitten im Wahlkampf. Ségo, François, Papa et moi ist nun auf dem Markt, 220 Seiten, 18 Euro. "Sie haben es nicht gelesen und wollten es auch nicht sehen", erzählt Olivier Faure über François Hollande, seinen Chef, und dessen Lebensgefährtin Ségolène Royal, die im Rennen um das Präsidentenamt steht. "Das ist alles so weit weg von dem, was wir tun, und was wir sein sollen."

Kaum 40 Prozent

Doch Wahlkämpfe treiben seltsame Blüten und ihre Akteure suchen stets nach einem Ventil, um die 15-Stunden-Tage zu verkraften und den Rausch, den die Hetzjagd bis zum Wahltag mit sich bringt. James Carville, der Manager des Clinton-Wahlkampfs von 1992, hatte seinen alten Baseballhandschuh an, wenn er besonders Kniffliges lösen musste. Olivier Faure zeichnet brave Comics: Wahlkampf bei Frankreichs Sozialisten aus dem Blick der Schülerin Nina und deren Vater Jonathan, der in der Erzählung mit dem Politiker-Duo Francois und Ségolène befreundet und Sprecher der Partei ist.

Man würde seine tägliche Arbeit nicht auf solche Weise nacherzählen wollen, wäre da nicht etwas, das gesucht und aufgeklärt werden müsste: Wie es kam, dass ausgerechnet Ségolène Royal, eine Sozialistin aus der zweiten Reihe, antrat, um eine von Selbstzweifeln geplagte Nation zu führen. Denn um das "Führen", das Lenken und Steuern der Franzosen, muss es der 53-Jährigen gehen. Ihr quillt schließlich nicht der persönliche Ehrgeiz aus den Ohren, wie es bei manchen ihrer männlichen Herausforderer den Anschein hat, bei Nicolas Sarkozy, dem Innenminister, der sich nun in den Umfragen recht deutlich von Royal abgesetzt hat, oder bei ihren parteiinternen Rivalen - Laurent Fabius etwa -, die sie ausgestochen hat und die ihr nun von Herzen eine Niederlage wünschen.

Royal sei "beseelt" von ihrer Präsidentschaftskandidatur, sagen ihre Freunde, eine Jeanne d´Arc der Moderne, die auszieht, um alles wieder gerade zu richten, was ein Jahrzehnt Globalisierung und Phrasendreschen in Frankreich angerichtet hat. Wie man richtig "führt" und einer verunsicherten Wählerschaft wenigstens so viel Disziplin einbläut, dass sie in der ersten Runde am 22. April gleich das Kreuz unter die wichtigste - sprich: die chancenreichste - Kandidatur der Linken setzt, das ist nun die aller erste Frage, auf die Olivier Faure, der Comic-Zeichner, und seine Sozialisten eine Antwort finden müssen.

Es sieht etwas besser aus als im April 2002. Seinerzeit war der Sozialist Lionel Jospin überraschend im ersten Durchgang hinausgeflogen. Doch zersplittert geht Frankreichs Linke auch dieses Mal wieder in die wichtigste politische Entscheidung des Landes. Fünf weitere Bewerber stehen bereit, nicht alle haben schon die notwendigen 500 Unterschriften gewählter Volksvertreter zusammen: Marie-Georges Buffet für die Kommunisten, Arlette Laguiller und Olivier Besancenot für die beiden trotzkistischen Parteien, die frühere Umweltministerin Dominique Voynet für die Grünen und José Bové, die in die Jahre gekommene Galionsfigur der Globalisierungskritiker, für die so genannten "Anti-Liberalen" im allgemeinen. Es ist eine Wahl zwischen ein bisschen links und dem Versprechen eines klaren Schnitts. Zusammen mit Royal kommen alle Linkskandidaten den Umfragen zufolge kaum auf 40 Prozent. Die Mehrheit würde derzeit in der ersten Runde rechts oder rechtsextrem wählen.

Auf der Mauer

Dass Ségolène Royal zuletzt selbst eine Art Sprechblase geworden ist, eine Comic-Figur, der die Inspiration offenbar ausgeht, hat den Trend gegen die Linke verstärkt. Sechs Debatten hatten ihr die Rivalen Dominique Strauss-Kahn und Laurent Fabius aufgezwungen, wohl wissend, dass es der eher gesellschaftspolitisch profilierten Sozialistin an finanz- und außenpolitischer Erfahrung mangelt. Durchgekommen ist sie trotzdem. Seither allerdings reiht Royal in einer Mischung aus Naivität und Unwissenheit einen Fehltritt an den anderen. Eine amateurhafte Reise nach Beirut, wo sie sich von Hisbollah-Vertretern ungeschickte Aussagen über den Nahostkonflikt entlocken ließ; eine Reise nach Peking, wo sie lobende Worte für das chinesische Justizsystem fand und sich im weißen Anorak auf der chinesischen Mauer wie hingegossen auf den Steinen ablichten ließ, als sei ihr Besuch ein Fototermin für die Vogue; unbedachte Äußerungen über die Abtrennung des französischsprachigen Québec von Kanada, dann scherzhaft gemeinte Kommentare über eine Unabhängigkeit Korsikas gegenüber einem Anrufer, der sich als Premier von Québec ausgab, in Wirklichkeit aber ein Kabarettist war. Schließlich ein Radiojournalist, der Royals vage Vorstellung über eine Neugewichtung des Verteidigungsbudgets auf ihre Substanz prüfen wollte: "Wie viele Atom-U-Boote haben wir?" - "Eines", so Royal - "Nein, sieben", korrigiert der Journalist - "Ja, sieben", bestätigt Royal. In Wahrheit sind es elf.

So wird die Spitzenkandidatin der Linken also vorgeführt - nach allen Regeln der Kunst, aber auch, weil sie es ihren Widersachern unendlich leicht macht. Die Franzosen scheinen gespalten. "Sie ist vollkommen leer, eine reine Inszenierung", hört man von Parteimitgliedern, die ihre Stimme dem nüchternen Ex-Finanzminister Strauss-Kahn gaben und sich nun bestätigt fühlen.

Die lange hinausgezögerte Vorstellung des Wahlprogramms an diesem Sonntag soll ihrem Kandidatenlauf neuen Schwung geben. In einem weiteren Versprecher, der Selbstzweifel und katastrophenartige Zusammenbrüche erahnen ließ, nannte Ségolène Royal dafür auch einmal den "11. September" als Datum statt den 11. Februar. Die Phase der "Partizipation", der öffentlichen Debatten, die sie überall in Frankreich organisieren ließ, ist damit vorbei. Das Verfahren galt als altes französisches Rezept.

Das Ancien Régime stand 1789 schon vor dem Aus, als zur Einberufung der Generalstände landauf landab so genannte Cahiers des doléances (Beschwerdenhefte) vollgeschrieben wurden, in denen der Bürger seine Nöte schilderte, auf dass sie von den Oberen gefälligst zu Kenntnis genommen wurden. Die Revolution rollte anschließend über diese Basisdemokratie hinweg, ein Anspruch freilich war formuliert: die Gleichheit der Bürger. Solchermaßen bewaffnet wird Royal in die letzten zehn Wochen bis zur Wahl gehen.


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