Mit ein bisschen Anstrengung schaffen sie es noch bis zur Hochsaison. Im Sommer, so hat Nikolai Swiranow, der Verteidigungsminister, stolz verkündet, werde Bulgarien eine US-Militärbasis haben. Sarafowo, der Stützpunkt der maroden bulgarischen Luftwaffe, unweit der Touristenhochburg Burgas ist ein heißer Tipp. Schließlich hat die US-Air Force dort schon während des Irak-Krieges Kampfjets zum Auftanken zwischengelandet.
GI´s an den "Goldstrand", klingt gut, denn in der "Koalition der Willigen" ist Bulgarien einer der Willigsten. Bis zum Antritt der Krieg-und-Öl-Riege in Washington vor drei Jahren träumte der kleine Balkanstaat unbehelligt in der Südostecke Europas vor sich hin. Dann ging das Fenster zur Welt auf. Aus Spanien kehrte der König und Geschäftsmann Simeon von Sachsen-Coburg-Gotha zurück und ließ sich Mitte 2001 als Simeon Sakskoburggotski zum Regierungschef wählen. Zu seinem Außenminister machte er einen Mathematikprofessor, der seine Politkarriere seit der Wendezeit auf einen einzigen Satz gebaut hatte - "Bulgarien muss in die NATO".
Auf den Solidaritätszug nach 9/11 sprang Sofia schnell auf und schickte Soldaten nach Afghanistan. Als man dann beim NATO-Gipfel in Prag im November 2002 seine Einladung in die Allianz erhielt, läuteten die Glocken der Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia eine Viertelstunde lang. "Wir wollen zu unserer natürlichen Familie gehören", sagt heute Solomon Passy, besagter Außenminister, und rühmt die "euro-atlantischen Werte", die es gegen den islamischen "Fundamentalismus im Osten" zu verteidigen gelte.
Nicht jeder Solomon ist weise
Zweimal hat sich Bulgarien im vergangenen Jahrhundert den falschen Alliierten ausgesucht, erst in den Weltkriegen mit Deutschland paktiert und dann Moskaus Vormacht erduldet. Jetzt endlich will es am Tisch des Siegers sitzen. Doch Washington mag näher und näher rücken, der Traum von Amerika wärmt nur wenige im winterlichen Sofia.
So unerklärt und vor allem unbegründet haben die Politiker des Acht-Millionen-Staates ihr Land an die USA gebunden, dass ein Anschlag auf bulgarische Soldaten im Irak zum Jahreswechsel die Öffentlichkeit zutiefst verstörte: Was haben 450 Bulgaren im irakischen Kerbala zu suchen? Was wollen die Amerikaner eigentlich von uns? "Nicht jeder Simeon ist groß", schrieb nun die Dichterin Nadejda Zahariewa unter Bezugnahme auf den Reichseiniger Simeon I. im zehnten Jahrhundert, "und nicht jeder Solomon weise".
Eine Woche vor dem Terroranschlag vom 27. Dezember war Slavi Trifonow, Bulgariens Talkshow-König, zum Fronteinsatz nach Kerbala geflogen worden. Den Hünen mit dem kahlgeschorenen Macho-Kopf steckte die Armee in eine der neuen Wüstenuniformen, die sie nach dem Vorbild der Amerikaner schneidern ließ. Ob sie auf der Straße nicht mit Saddam verwechselt würden? - witzelte Slavi über bulgarische Offiziere und deren imposante Schnurrbärte. Dass sich der sonst so selbstsichere Satiriker im Militärcamp gar nicht wohl fühlte, merkten die Zuschauer zu Hause sehr wohl und nahmen es später als Omen für den Anschlag, bei dem fünf Soldaten starben und über 60 verletzt wurden. Mehr als jede ungeschickte Äußerung des Premiers hat die Slavi-Show in jenen Tagen die Bulgaren desillusioniert und den Schleier vor der "neuen Außenpolitik" zerrissen.
Die Männer seien doch auch für eine patriotische Mission gestorben, versuchte sich der Showmaster, als er - wieder in Sofia - Angehörige der Soldaten ins Studio geladen hatte. Nein, hielten die ihm entgegen, ihre Ehemänner seien des Geldes wegen in die irakische Wüste gegangen. 62 Dollar Sold am Tag, so viel wie sie zu Hause in einem Monat verdienten - und so viel wie der Stundensatz eines US-Soldaten im Irak. Bei sechs Monaten Fronteinsatz kommt dennoch eine für bulgarische Verhältnisse ansehnliche Summe zueinander. Der Verteidigungsminister hat den Sold nun - des Risikos wegen - auf 90 Dollar erhöht und Staatspräsident Parwanow in Warschau telefonisch Beschwerde eingelegt: Die Koordination mit dem polnischen Regionalkommando, unter dem das bulgarische Korps im Zentralirak steht, müsse besser werden.
Der Batman des Königs
Im nach Moldawien und Albanien ärmsten Land Europas hat die Wirklichkeit Mühe, mit den großzügig hingeworfenen Leitlinien der Anhänger von NATO- und EU-Beitritt Schritt zu halten. Auf den trüb erleuchteten Straßen der Hauptstadt schleichen ausrangierte Linienbusse aus Deutschland oder Frankreich, schief und verbeult wie zerknautschte Zigarettenschachteln. Die Leute lassen ihre Fahrscheine für Nachkommende auf den Sitzen. Darunter liegt manchmal ein Straßenhund, der sich aufwärmt, das hängt von der Kälte draußen ab.
Sofia - so geben die Bulgaren zu - sei fürchterlich im Winter. Der Schnee vom Verkehr zu grauem Brei verrührt, die Plätze über geplatzten Wasserrohren dick vereist, die Wohnungen mäßig geheizt. Morgens kocht im Fernsehen ein junger Mann den Rentnern und Arbeitslosen etwas vor. Hühnerfilet süß-sauer oder ein raffinierter Schmorbraten. Leisten können sich ein solches Menü auch bald 15 Jahre nach dem Ende des Sozialismus nur die kleinen oder großen Kostgänger der Mafia oder die Familien der früheren Parteikader, die sich hier wie anderswo im früheren Ostblock schnell in der neuen Welt eingerichtet haben.
Nicht dass die "Transformation" in Bulgarien nicht voran ginge: Um 4,8 Prozent soll die Wirtschaft 2003 wieder gewachsen sein, Investitionen des Auslands in einer Rekordhöhe von 1,6 Milliarden Dollar werden für 2004 erwartet, der Tourismus boomt, Winter wie Sommer. Ein neuer Mittelstand der Geschäftstüchtigen entsteht - und eine Rumpfgesellschaft, in der die über 50-Jährigen mit ihrer Minirente abgeschrieben sind, während die Jungen nach Westeuropa ziehen. 79 Prozent der Bulgaren halten ihr Land für korrupt, auf der Liste der sauberen Staaten, um die sich Transparency International verdient macht, rangiert Bulgarien auf Rang 46 in der Mitte und immerhin vor dem EU-Neuland Slowakei (55). Der Balkan sei eine schwierige Region, gibt Solomon Passy, der Außenminister, zu bedenken, "und wir können nicht die einzige Ausnahme sein".
Es ist wie beim traditionellen mazedonisch-bulgarischen Reihentanz, wo sich alle an den Hände fassen: zwei Schritte vor, einen zurück und immer im Kreis. Die Regierung des Königs Simeon, der seinen Monarchentitel als Premier ablegen musste, ist bald nach ihrem Antritt im Sommer 2001 wegen uneingelöster Versprechen in der Gunst der Wähler unrettbar eingebrochen. Weil Simeon nach langen Jahren im spanischen Exil im Bulgarischen unbeholfen wirkt, schweigt er lieber ganz und überlässt seinem Sprecher die Erklärungen zur Regierungspolitik. Die Koalition der Königspartei mit der Rechts- und Freiheitspartei der türkischen Minderheit macht ohnehin nur durch interne Querelen von sich reden. Derzeit liefert ein hemdsärmeliger Streit zwischen dem Generalstaatsanwalt und Boyko Borissow, dem omnipräsenten Generalsekretär des Innenministeriums, die Schlagzeilen. Mit fabulösen Massenverhaftungen von Kriminellen - 515 sollen es an einem einzigen Januarwochenende gewesen sein - will Borissow, der "Batman des Königs", wie er wegen seiner Vorliebe für lange schwarze Ledermäntel genannt wird, seine Schlagkraft und das Unvermögen der Justiz beweisen, die alle Übeltäter gleich wieder laufen lässt. Der Mord am Unterweltkönig Konstantin Dimitrow - er wurde kurz vor Weihnachten in Begleitung mehrerer Damen vor einem Amsterdamer Juwelierladen niedergestreckt - gilt als neuer Höhepunkt in Bulgariens Mafia-Krieg, den die Polizei - nicht anders als die Öffentlichkeit - nur als Zuschauer erlebt.
Für die USA wichtiger werden
Das Land habe dank demokratischer Reformen schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt, versichert dennoch der Außenminister Passy, Sohn des Philosophieprofessors Isaac Passy und - so raunt es der Sofioter Machtzirkel - lange Zeit eher ein Bohémien, der das sozialistische Regime des Todor Schiwkow an der Universität aussaß. Mehr duldsamer Mitläufer als aufbegehrender Dissident. Die Regierung, der er angehöre, sei die dritte "Reformregierung" in Folge, behauptet Passy gar, obwohl das Kabinett des Sozialisten Shan Widenow (1994-1996) das Land in seine bisher schlimmste Wirtschaftskrise führte und sein Nachfolger, der liberal-konservative Iwan Kostow (1997-2001), der Korruption zu ungeahnten Höhenflügen verholfen haben soll.
In der Rakowskistraße im Sofioter Zentrum hat das Verteidigungsministerium ein "Informationszentrum" in Form eines großen Glaskubus hingesetzt. Drinnen - so darf man vermuten - soll die neue Zeit erklärt werden, der Eintritt in die NATO, der im Juni beim Gipfel in Istanbul besiegelt wird. Das Symbol der Allianz, das große fadenkreuz-ähnliche Ungetüm aus Metall, prangt schon in der Eingangshalle. An den Türrahmen lehnen Sicherheitsmänner, in den leeren Büros lösen Sekretärinnen Kreuzworträtsel.
Während sich Außenminister Passy schulterklopfend im Solana-Stil seinen Weg über die Gipfeltreffen Europas bahnt und Mitte Januar in Wien offiziell den Vorsitz der OSZE für 2004 übernahm, denkt zumindest ein Oberst der bulgarischen Armee weiter: Bulgarien müsse für die USA zu einem wichtigen Land werden, meint Waleri Ratschew, Leiter eines Think Tanks der Militärs. Dann hätten auch die US-Basen einen Sinn, und Sofia könne über ihren Zweck mit entscheiden. Bulgarien müsse zudem lukrativ für die US-Wirtschaft werden und so seine geopolitische Lage nutzen - als Korridor nach Zentralasien und in den Nahen Osten.
Das Pentagon in Washington kalkuliert offenbar ähnlich. Mit Stützpunkten in Bulgarien und Rumänien rückt die US-Armee näher an ihre Einsatzgebiete in Afghanistan oder am Golf heran und stellt zugleich einen Teil des Balkans unter ihre Kuratel. Bezogen auf potenzielle Unruheherde wie das frühere Jugoslawien und den Kaukasus gewiss ein geostrategisches Kalkül. Auch das FBI hat sich angemeldet und will Sofia ein "Zentrum zur Terrorismusbekämpfung" bescheren, das sich vornehmlich mit der Falschgeldproduktion in der Region beschäftigen soll. Bei ein bisschen Anstrengung sollte es im Sommer soweit sein.
Bulgarien nach der Zeitenwende
November 1989 - Sturz des Staats- und Parteichefs Todor Schiwkow, Ende des Machtmonopols der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP), die sich nach inneren Reformen 1990 in Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) umbenennt.
Juli 1991 - Beschluss einer neuen Verfassung. Bekenntnis zu Marktwirtschaft, Rechtsstaat und parlamentarischer Demokratie.
Dezember 1994 - Die Sozialisten gewinnen die Parlamentswahlen und lösen die Regierung der Union der Demokratischen Kräfte (UDK) ab, Premier wird Shan Widenow
Dezember 1995 - Beitrittsantrag zur EU in Brüssel übergeben.
April 1997 - Nach einer schweren Wirtschaftskrise werden die Sozialisten abgewählt und durch eine Regierung der UDK unter Iwan Kostow ersetzt.
Dezember 1998 - Unterzeichnung eines Dreijahresabkommens mit dem IWF, das einen fixen Wechselkurs des Lew zur DM bestimmt.
Dezember 1999 - beim EU-Gipfel in Helsinki fällt die Entscheidung über den Beginn von Aufnahmeverhandlungen mit der Europäischen Union - als voraussichtlicher Beitrittstermin wird Ende 2008 in Aussicht genommen.
Juli 2001 - die Nationale Bewegung des ehemaligen Königs Simeon II. gewinnt die Parlamentswahlen. Der wird als neuer Premier vereidigt.
November 2001 - der Kandidat der BSP, Georgi Parwanow, triumphiert bei den Präsidentschaftswahlen.
November 2002 - auf dem Prager NATO-Gipfel fällt die Entscheidung über eine Aufnahme in den Nordatlantikpakt.
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