Gerade steckt die Regierung von Premier Naftali Bennett in ihrer ersten großen Krise. Die Entscheidung von Verteidigungsminister Benny Gantz, sechs palästinensische NGOs als „terroristisch“ einzustufen, hat für Ärger beim linken Flügel der großen Koalition gesorgt, bei Meretz und der Arbeitspartei. Auch die Ankündigung des früheren Generalstabschefs, den Bau von Siedlungen rund um Jerusalem auszuweiten, birgt Konfliktpotenzial. Schließlich basiert der fragile Zusammenhalt der „Regierung des Wandels“, in der rechte und zentristische Parteien die Mehrheit stellen, darauf, umstrittene Fragen außen vor zu lassen. Allen voran solche, bei denen die Besatzung in den Palästinenser-Gebieten berührt wird.
Doch in einem Punkt herrscht Konsens bei den acht Koalitionären. Die noch unter Benjamin Netanjahu geschlossenen Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan werden weder von der politischen Rechten noch von deren linken Partnern infrage gestellt. Außenminister Jair Lapid hat in den ersten vier Monaten der neuen Regierung Marokko, die Emirate und Bahrain besucht. Premier Bennett erneuerte nach Jahren frostiger Beziehungen unter Netanjahu die Bande zu Israels alten Friedenspartnern Jordanien und Ägypten – König Abdullah II. traf er im Juni in Amman, Ägyptens Präsident Fattah as-Sisi im September in Sharm el-Sheikh.
Und erst vor zwei Wochen kam Essawi Frej, Ressortchef für regionale Kooperation, in Abu Dhabi mit den Unterzeichnern der sogenannten Abraham-Abkommen zusammen. Der erste palästinensische Minister in der Geschichte Israels hatte als Oppositionsabgeordneter vor einem Jahr in der Knesset noch gegen dieses Vertragswerk zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen gestimmt. Ein „Fehler“, wie er nach einem Treffen mit dem Außenminister der Emirate, Abdullah bin Zayed, Mitte Oktober einräumte. Nach Jahren der Stagnation hätten die Verträge zu neuer „Dynamik auf wirtschaftlicher, strategischer wie politischer Ebene“ geführt.
Kritiker diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten monieren, dass die Besatzung Palästinas damit zementiert werde. Frej dagegen ist sich sicher, dass die Emirate eine „bedeutende Rolle“ bei der Lösung des Konflikts spielen. Zudem unterhalte Israel bereits jetzt inoffiziell Beziehungen zu allen arabischen Staaten der Region – auf lange Sicht sollten diese sich mit Israel zu einer „Union“ zusammenschließen.
Die Saudis und Iran reden
Auch wenn ein solches Szenario angesichts der Kriege im Jemen, in Libyen und Syrien sowie des anhaltenden Staatszerfalls im Irak und im Libanon wie eine ferne Utopie erscheint, gibt es Zeichen der Hoffnung. So hat der Abschluss der Abraham-Abkommen, anders als von ihren Gegnern behauptet, nicht zu einer antiiranischen Achse aus Israel und den sunnitischen Golfstaaten geführt. Im Gegenteil: Die zunächst im Geheimen begonnenen Gespräche zwischen dem Iran und Saudi-Arabien sind inzwischen so weit gediehen, dass der saudische Außenminister Faisal bin Farhan al-Saud im Oktober bekannt gab, beide Seiten hätten sich seit April bereits viermal getroffen. Aus dem iranischen Außenministerium hieß es, man konferiere „ohne Vorbedingungen“ und „unter den besten Voraussetzungen“. Offenbar hat in Riad die Führung um Kronprinz Mohammed bin Salman erkannt, dass US-Präsident Joe Biden derzeit nicht bereit ist, eine Konfrontation mit Teheran militärisch zu unterstützen. Selbst Donald Trump, der das saudische Königshaus mit Rüstungsgütern in Milliardenhöhe stützte, hatte von einer militärischen Reaktion nach Raketen- und Drohnenangriffen auf zwei der wichtigsten Ölanlagen im Osten Saudi-Arabiens 2019 abgesehen. Riad und Teheran hatten den diplomatischen Kontakt bereits 2016, zwei Jahre vor Donald Trumps Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran, abgebrochen.
Doch nicht nur das Verhältnis zwischen den beiden Regionalmächten am Persischen Golf entspannt sich. Auch die innerarabische Blockade, die den Golfkooperationsrat (GCC) seit 2017 zur Handlungsunfähigkeit verdammt hat, scheint über den toten Punkt hinaus zu sein. Aus Protest gegen die Hilfe für die Muslimbruderschaft und mit Islamisten verbundene Milizen durch Katar hatten Saudi-Arabien, Bahrain und die Emirate vor vier Jahren die Grenzen zu ihrem GCC-Partner geschlossen und eine vollständige Blockade verhängt. Ägypten schloss sich dem später an. Nun sind Reisen aus den anderen GCC-Staaten in das Gastgeberland der Fußball-WM 2022 wieder möglich.
Essawi Frej spricht als israelischer Minister für regionale Kooperation bereits davon, dass Katar eines der nächsten Länder sein könnte, das diplomatische Beziehungen zu Israel aufnimmt, ebenso wie Tunesien, der Oman und Malaysia. Die rund zwei Millionen palästinensischen Bürger Israels könnten im Interesse einer guten Nachbarschaft eine besondere Rolle spielen, so Frej, „als Brücke in die Region“. Davon träumt auch Gianni Infantino. Beim ersten Besuch eines Fifa-Präsidenten in Israel brachte er Mitte Oktober eine von Israel gemeinsam mit arabischen Staaten ausgerichtete Weltmeisterschaft 2030 ins Spiel, allen voran den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nicht begeistert von der Idee waren die Repräsentanten des Palästinensischen Fußballverbands (PFA): Den Sport zu politisieren, helfe der Sache des Friedens ebenso wenig wie der Versuch, „anglikanisch-zionistische Gruppen zu unterstützen, die dazu aufrufen, gegen internationales Recht zu verstoßen und dem palästinensischen Volk seine grundlegenden Rechte zu verwehren“, teilte der Verband mit.
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