Knesset-Wahl: Israel rückt deutlich nach rechts

Meinung Nach der Knesset-Wahl in Israel werden offen rassistische Kräfte den Kurs der designierten Rechtsregierung von Benjamin Netanjahu bestimmen. Größter Gewinner der Wahl ist Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei „Jüdische Stärke“
Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei Jüdischen Stärke (Otzma Yehudit)
Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei Jüdischen Stärke (Otzma Yehudit)

Foto: Jalaa Marey/AFP/Getty Images

Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt. Doch was Israel nach der fünften Knesset-Wahl in weniger als vier Jahren droht, ist dramatisch für Demokratie und jüdisch-palästinensisches Zusammenleben: die Beteiligung einer rechtsextremen sowie weiterer rechtsnationalistischer Parteien an der künftigen Regierung. Die wird aller Voraussicht nach wieder von dem Mann geführt, der seit 2009 zwölf Jahre an der Macht war: Benjamin Netanjahu. Die kurze Amtszeit der sogenannten und nach ihrem Scheitern im Sommer nun endgültig abgewählten Regierung des Wandels verkommt so zum belanglosen Intermezzo.

Anders als in den 2010er Jahren aber, als es vor allem ultraorthodoxe jüdische Parteien waren, die Netanjahu immer knappere Mehrheiten in der Knesset sicherten, sind es nun offen rassistische Kräfte, die den Kurs der designierten Rechtsregierung bestimmen werden. Drittstärkste Fraktion im Parlament ist künftig das Wahlbündnis Religiöser Zionismus. Deren Anführer Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir beanspruchen Schlüsselministerien im künftigen Kabinett – gesetzt den Fall, dass es der sozialdemokratischen Meretz- und der israelisch-arabischen Balad-Partei nicht doch noch gelingt, über die zum Einzug in die Knesset erforderliche 3,25-Prozent-Hürde zu kommen.

Größter Gewinner der Wahl ist Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Jüdischen Stärke (Otzma Yehudit), der gemeinsam mit Smotrich vom Religiösen Zionismus mehr als doppelt so viele Mandate erzielte wie vor einem Jahr, als in Israel das letzte Mal gewählt wurde. Das Programm der Partei liest sich wie ein Aufruf zum Bürgerkrieg gegen die arabische Bevölkerung Israels. „Tod den Terroristen“ skandierten Ben-Gvirs Anhänger in der Nacht auf Mittwoch nach den ersten Hochrechnungen. Bis vor kurzem zierte ein Porträt von Baruch Goldstein sein Zuhause, jenes jüdischen Extremisten, der 1994 in einer Moschee in Hebron 29 Palästinenser erschoss.

Linke in Israel zu Bedeutungslosigkeit verdammt

Ben-Gvir und Smotrich wollen nicht nur die ohnehin minimal vorhandenen Kompetenzen der Palästinensischen Autonomiebehörde weiter einschränken, sondern auch Axt anlegen an Israels Justizsystem. Netanjahu kommt das zupass: Drei Verfahren wegen Korruption laufen gegen den 73-Jährigen, die einzustellen der größte Wunsch des nach einjähriger Auszeit zurück an die Macht drängenden Langzeitpremiers sind. Für die nach fünf Wahlen seit 2019 ausgezehrte israelische Demokratie bedeutete das einen schweren Schlag.

Vorerst zur Bedeutungslosigkeit verdammt ist Israels einst stolze Linke, die noch vor dreißig Jahren die Regierung stellte – und die Oslo-Verträge mit der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) verhandelte. Die damals angestrebte Schaffung eines palästinensischen Staats dürfte sich durch den Wahlsieg der Rechten endgültig erledigt haben. Für Bundesregierung und Europäische Union wirft das unbequeme Fragen auf. Sie müssen entscheiden, wie die Zusammenarbeit mit einem Kabinett erfolgen soll, in dem möglicherweise gleich mehrere Minister offen die Zerschlagung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen betreiben.

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Geschrieben von

Markus Bickel

Journalist. Büroleiter Rosa-Luxemburg-Stiftung Israel (Tel Aviv). Davor Chefredakteur Amnesty Journal (Berlin), Nahostkorrespondent F.A.Z. (Kairo)

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