Diese Kreise

Sprache Nach Protesten entschied sich die Kölner Polizei, den Begriff „Homosexuellenmilieu“ nicht mehr zu verwenden. Aber woher kommt er eigentlich?
Ausgabe 15/2019
All colors are beautiful
All colors are beautiful

Foto: Belga/Imago

Lange war es tot geglaubt, doch seit diesem Jahr lebt es wieder: das „Homosexuellenmilieu“. Diese wunderbar falsche, aber amüsante Floskel wird immer wieder in Polizeimeldungen und Zeitungstexten wiederbelebt. Anfang des Jahres, nach dem gewaltsamen Tod eines 79-Jährigen in Köln, tauchte der Begriff wieder einmal auf. Nach Protesten entschied sich nun die Kölner Polizei, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Aber woher kommt es eigentlich, dieses Homosexuellenmilieu?

Jahrzehntelang wussten Journalist*innen nicht, wie sie über Menschen vom „anderen Ufer“ schreiben sollen. Wie nennt man diese anrüchigen Lokalitäten, in denen sie sich aufhalten? Diese Kreise, in denen die „warmen Brüder“ verkehren? Überhaupt gab man vor, wenig über diese Homosexuellen zu wissen. Also hieß es: Da ist jemand aus dem homosexuellen Milieu. Dieser schräge Begriff stammt aus einer Zeit, in der Homosexualität strafbar war. Paragraf 175 des Strafgesetzbuches kriminalisierte einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Männern. Der Unrechtsparagraf wurde in der Kaiserzeit eingeführt, im Nationalsozialismus verschärft und in der Nachkriegszeit weiter angewandt. So war es für schwule Männer tatsächlich gefährlich, wenn sie sich mit Gleichgesinnten trafen. Diese Kreise waren anrüchig, weil ihr Begehren kriminalisiert wurde.

1994 wurde der Paragraf abgeschafft. Geblieben ist nur das Homosexuellenmilieu. Ein Begriff, der suggeriert, dass in diesen Kreisen trotz allem etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Besonders beliebt war er im Jahr 2005, nach dem Mord an Rudolph Moshammer. Damals schrieb der Spiegel, Moshammers Angehörige seien schockiert gewesen, weil die Ermittlungen wohl nach „ganz unten ins Milieu der Homosexuellen“ führten. Da war er wieder, dieser unbestimmte soziale Ort, an dem das Homosexuell-Sein an sich noch immer irgendwie schmuddelig ist und offenbar auch kriminelle Karrieren begünstigt.

Dann war es lange still. Im Februar dieses Jahres tauchte der Begriff erneut auf. In Köln-Deutz fand die Polizei einen 79-jährigen schwulen Mann tot in seiner Wohnung. Der Senior, so zeigte die Obduktion der Leiche, wurde gewaltsam umgebracht. Deswegen wollte die Kölner Polizei den Fall öffentlich machen. So sollten weitere Hinweise auf die letzten Lebensstunden des Opfers gesammelt werden. Der Pressesprecher Thomas Held musste eilig eine Pressemitteilung schreiben. Doch wie schreibt man über einen schwulen Rentner? Der Tote wurde in seiner Wohnung von den Nachbarn gefunden. Die Polizei konnte nicht ausschließen, dass er in den letzten Lebensstunden in queeren Szenekneipen oder auf dem Straßenstrich gewesen sei. Letzteren habe er aber nicht in der Pressemitteilung erwähnen wollen: „Möglicherweise hat sich das Opfer im homosexuellen Milieu aufgehalten.“ Unglücklicherweise übernahmen andere Medien die Polizeimeldung zum Teil wortwörtlich. Und so tauchte das homosexuelle Milieu im Jahr 2019 in der Rheinischen Post, der Bild und im WDR auf. Dass das Wort unangemessen ist, bemerkte kaum jemand. Nachdem jedoch drei Personen bei der Kölner Polizei angerufen hatten, änderte Held seine Meinung und sprach das Problem an. Künftig wird der Ausdruck dort nicht mehr verwendet. Köln ist damit die erste deutsche Polizeidienststelle, die den Begriff verbannt.

Markus Kowalski ist freier Journalist und schreibt über Queerpolitik, Außenpolitik und Menschenrechte. Seine Dokumentation Queer Lives Matter wurde zuletzt beim Berlin Independent Film Festival ausgezeichnet

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden