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Linksbündig Die Popkomm besinnt sich auf den subkulturellen Mittelstand

Der Umzug der Musikmesse Popkomm von Köln nach Berlin schien zunächst nur wie ein weiterer Standortcoup. Um den Bankrott der Stadt wenigstens symbolisch abzufangen, lockt Berlin seit Jahren Musikbetriebe in die Stadt. Denen geht es, wie man weiß, nicht viel besser als der Hauptstadt.

Die Marktführer der im letzten Jahr allein um knapp 20 Prozent eingebrochenen Branche, Universal, Sony/BMG, Warner und EMI, fielen vor allem durch massenhafte Freisetzung ihrer Mitarbeiter und radikale Ausdünnung der Vertragskünstler auf. Vor allem die Majors bescheiden sich zunehmend damit, statt Songs nur mehr Klingeltöne zu produzieren und die absurdesten Formatdiskussionen zu führen, um das Ende der CD hinaus zu zögern. Für den gerade mit stark verkleinerter Besetzung nach Berlin gezogenen Musiksender MTV sind Mobilfunkbetreiber mittlerweile wichtigere Partner als die Plattenkonzerne.

Die Popkomm war schon vor zwei Jahren wesentlich pleite, die entvölkerte Messe wirkte wie Klondike nach dem Goldrausch. Amüsiert bis hämisch sortierte man das marode Musikverwertermeeting zu den anderen mit viel Getöse an der Spree versammelten Pop-Giganten, die schon wieder beginnen die Hauptstadt zu verlassen, wie Sony oder der Musikpreis Echo. Berlin sei, spöttelte die Berliner Zeitung, eine Musikhauptstadt light.

Den Organisatoren der Popkomm scheint es jedoch zu gelingen, das Desinteresse der ohnehin angeschlagenen Majors als Chance zu nutzen. Die Popkomm setzt verstärkt auf den Mittelstand, auf Internationalisierung und Musik. 650 Aussteller aus 40 Ländern sind dabei, man rechnet mit 12 000 bis 15 000 Messebesuchern, 1200 Musiker werden am Ende gut 400 Stunden musiziert haben.

Statt sich in Gejammer über illegale Downloads zu ergehen, versucht man, kleinere Firmen auf zeitgemäßen Netzstandard zu bringen und Vertriebsstrukturen zu untersuchen. Keine schlechte Idee, betrachtet man die tristen Versuche der Phonoindustrie, endlich ihr mit branchenüblicher Selbstüberschätzung gestartetes Downloadprojekt Phonoline in Gang zu bringen.

Die Vernetzung eines internationalen Pop-Mittelstands scheint angesichts der trudelnden nationalen Majors eine gute Idee. Allerdings nutzen Kleinlabels ohnehin eher Strukturen und Vertriebswege, die auf Clubs und Szenen basieren und auf Handelsvertretermessen vermutlich weniger effektiv auszubauen sind. Die mangelhafte überregionale Verbreitung von ukrainischem Punk, griechischem Metal oder deutschem Folk liegt vermutlich nicht nur an ungenutzten Vertriebswegen.

Natürlich geht es, auch ohne die Beteiligung der Konzerne, um Geld. Die Popkomm reagiert daher auf den Strukturwandel der Industrie und ihrer Produkte. Verstärkt geht es um Spiele, Mode, Konsumelektronik und die unvermeidlichen Klingeltöne. Was einerseits als vernünftiger Blick auf so genannte Zukunftsmärkte erscheint, kann auch als Zeichen gedeutet werden, dass sich von Major zu Mittelständler zu Ich-AG niemand genau darüber im Klaren ist, womit er eigentlich in Zukunft handelt und wie die potenzielle Kundschaft beschaffen sein könnte. Der unbekannte Konsument findet Ich-Stärke und Lifestyleentscheidungen immer weniger in der Musik, und definiert sich zunehmend über die Form ihres Konsums. Erstmalig wird Apple mit einem Stand dabei sein, die Computerfirma die mit ihrem Netzportal und dem enorm erfolgreichen und schicken iPod die Musikindustrie ziemlich alt aussehen lässt.

Die Krise der Musikindustrie und ihrer Musik bietet denjenigen Chancen, die auf Engagement statt nur auf Wirtschaftlichkeit setzen. Überschaubare Strukturen sind leichter zu steuern als die Wachstumslogik von Konzernen. Es wird sich zeigen, ob dadurch tatsächlich "die Rendite-Typen aus dem Rock `n´ Roll verschwinden" und "die Herstellung von Popmusik im kommenden goldenen Zeitalter wieder von Spinnern übernommen" wird, wie der Pop-Journalist Ralf Niemczyk Anfang des Jahres hoffte.

Dass es womöglich am Ende doch noch um Musik und deren Qualität gehen könnte, zeigt das breit angelegte Festivalprogramm, das sich weniger auf große Namen stützt, als vielmehr mit einer großen Zahl von Newcomern und Subkulturellen aufwartet. Je weniger die Tonträger auch Bedeutung tragen, desto mehr wird das Live-Erlebnis aufgewertet. So wird vielleicht das bleibende Signal der Messe sein, dass sie das Gewicht wieder verstärkt auf ihre eigentlichen Produktneuerungen gelegt hat. Und Musiker und Bands vorstellt, statt Wirtschaftpolitik zu betreiben.


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