Der erfolgreichste Rapper des letzten Jahres war ein über und über tätowierter Muskelmann namens "50 Cent", dessen wesentliches Marketing darin bestand, dass er mit neun Einschusslöchern in seinem gestählten Körper protzte. Ein Titel seines Hit-Albums heißt P.I.M.P. Auf deutsch: Zuhälter. Mit dieser Referenz ist er keine Ausnahme. Der Pimp-Style in Mode und Musik ist, glaubt man dem Fachblatt The Source, gerade wieder der letzte Schrei unter den Hiphoppern - rund 15 Jahre nachdem er von einem jungen Rapper aus Los Angeles namens "Ice-T" in großem Stil eingeführt wurde. Seither gehört er zum festen Stamm im Gangster-Kabinett des Hardcore Hiphop.
Ice-Ts Künstlername ist eine Hommage an den Schriftsteller Robert Beck, einen Ex-Zuhälter, den das Milieu, über das er schreibt, unter dem nom de guerre Iceberg Slim kannte. Beck, 1992 mit 73 Jahren gestorben, hat im Laufe seiner Schriftsteller-Karriere an die zwölf Millionen Bücher verkauft und ist damit einer der meist gelesenen afroamerikanischen Autoren.
1967 debütierte er mit seiner angeblichen Autobiografie Pimp, die ihn sofort zu einem ebenso erfolgreichen wie skandalträchtigen Mann machte. Die recht geradlinige Pulp-Fiction hätte wohl nicht viel Aufsehen erregt - doch auch heute noch glaubt die interessierte Öffentlichkeit dem Schwarzen Mann nur allzu gern, wenn er mit rauer Stimme Ungeheuerliches aus den schattigen Straßen des Gettos beichtet. Danach werden sofort wilde Debatten nicht über die Zustände, sondern die Stimmen angezettelt.
Pimp ist ein rohes und brutales Buch. Iceberg Slim beschreibt sein Leben als eine Irrfahrt durch Gewalt, Drogen und Knast, von Anfang an geprägt von sexueller Ausbeutung, Verrat und Gier. Es beginnt mit dem Missbrauch des dreijährigen Ich-Erzählers. Schnell zieht der Autor alle Register des Betrugs und der häuslichen Gewalt. Der Rhythmus von luxuriösem Exzess und Gefängnis bestimmt sein Leben. Mit 19 prügelt er seine erste Frau auf den Strich und geht bei einem erfahrenen Groß-Pimp in die Lehre. Er wird zum erfolgreichsten Zuhälter der USA und gefürchteten Mann im Ghetto, zu einem gutaussehenden Eisberg, der alle Gefühle unter seinen teuren Kleidern, großen Wagen und Wohnungen vergraben hat. Bis auf, man ist nicht überrascht, die zu seiner alten Mutter.
Als er mit 42 Jahren, von der eigenen Gefühlskälte angeekelt, genug hat, liegen viele Jahre Knast, endlose zertrümmerte Frauenseelen und eine solide 20-jährige Suchtkarriere hinter ihm. Aber eben auch eine ganze Menge Spaß. "Die schwärzeste Geschichte des schwarzen Amerika" (so die Empfehlung auf dem goldenen Einband), liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor, zur Sicherheit mit einem Begleitwort von Ice-T und einer kritischen Würdigung der afroamerikanischen, lesbischen Schriftstellerin Sapphire gepuffert.
"Keep it real. Genau das hat Iceberg Slim zeitlebens getan", schreibt Ice-T über den Einfluss Iceberg Slims auf die Hiphop-Kultur und nimmt Bezug auf die Debatten um angemessene Repräsentanz der in den Texten dargestellten Lebenswelt. Die Disziplin und der Fleiß, mit der Slim seine Tricks erlernt und einsetzt - kleine Demütigungen, brutale Misshandlungen und grausamste Psychospiele - beruhen weniger auf Hass als auf ganz normaler unternehmerischer Strategie. Man muss die Chancen nutzen, die einem gelassen werden.
Beck schildert mit größtem Zynismus eine noch in ihrem tiefsten Begehren rassistisch und materialistisch geprägte Gesellschaft. Noch der oberflächlichste Leser erkennt neben dem zunehmenden Selbstekel in Pimp die tiefe Verachtung für die psychopathischen und korrupten weißen Amtsträger und Kunden beiderlei Geschlechts. Der sexuelle Mythos steht für ihn am Grund der Bedrohung, die für die Unterdrückung ausschlaggebend ist. Sexualität hat bei ihm vor allem mit Machtverhältnissen zu tun, an deren hierarchischem Ende schwarze Frauen stehen.
Bei aller Straßenweisheit schloss Beck immerhin die High School ab und studierte ein Jahr lang dank eines Begabtenstipendiums, gleichzeitig mit Ralph Ellison übrigens, am Tuskegee College in Alabama. Nach dem Erfolg von Pimp hielt er Vorträge an Universitäten, wo er bei seinen Studenten sehr beliebt war und suchte, eher vergeblich, die Nähe zu den Panthers. Interviews mit ihm drehen sich gewöhnlich um die Zuhälterei, nicht um Literatur. Gerne werden sie eingeleitet mit der erstaunten Beschreibung eines auffällig gut aussehenden, distinguierten Mannes, der druckreif formuliert.
Die Kritik soziologisiert afroamerikanische Literatur für gewöhnlich und ignoriert dabei das Schreiben selbst und seine Qualität gern. Dabei ist Slims Bezug auf die orale afroamerikanische Tradition mit ihren pikaresken Motiven überdeutlich. Sapphire bemerkt in ihrem Nachwort, wie sehr einige der Episoden Motiven aus Sammlungen zur urbanen Folklore ähneln. Nicht zuletzt auch in den rasanten, lustvollen Raps, mit denen sich die Figuren beschießen.
Die orale Tradition und das afroamerikanische Idiom, die ebonics, wurden lange in der Betrachtung afroamerikanischer Literatur vernachlässigt. Schwarze Schriftsteller wurden zumeist unter sozialrealistischen Aspekten gelesen. Die Spezifik der Sprache hat ihren Ursprung in der Sklaverei, wo es Sklaven verboten war, sich anders als in der Herrensprache zu verständigen. Zur unkontrollierten Kommunikation waren also besondere Kanäle ins Englische zu ziehen. Ebonics formulieren daher kein Defizit gegenüber dem Hochenglisch, wie der amerikanische Schriftsteller und Harvard-Professor Henry Louis Gates einmal ausführte. Sie erweitern sie vielmehr um eine kritisch-ironische Dimension, in der die feststehenden Muster und Bedeutungen der herrschenden Sprache aufgegriffen und gleichzeitig verschlüsselt und parodiert werden. So funktionieren auch die Texte. Sie beziehen sich immer auch auf die Mythen von "Blackness" und schreiben sie weiter. Wer alles wörtlich nimmt, liest nur die Hälfte.
Houston A. Baker ergänzt diesen zeichentheoretischen Ansatz um eine "Blues-Matrix", die im wesentlichen davon ausgeht, dass der drastische Realismus afroamerikanischer Stories nicht nur auf der geteilten Wirklichkeit einer black experience beruht, sondern ebenso klug mit den Erwartungen des weißen Marktes spielt. Darin liegt wohl die eigentliche Schwärze der schwarzen Geschichten. Übersetzer Berhard Schmids echter (oder erfundener?) deutscher Jargon mit seinen pantoffligen Anachronismen - wie "Fose" (für pussy oder bitch), "Knögel" (für Geldbündel), "Schmeck" (für Heroin) oder "Schupper" (für Dieb) - kann die sprachliche Doppeldeutigkeit naturgemäß nicht transportieren. Der Reiz, den die Iceberg Slim Stories noch immer auf die Jugend der Inner Cities ausüben, beruht aber nicht zuletzt auf der Wirklichkeit der Sprache und des Sprechens, auf dem krassen Flow, dem Fließen seines Straßen-Argots. So bleibt Pimp in der Übersetzung dann doch wieder ein soziologisches Zeugnis.
Die Frage nach der Authentizität der Biografie wird dabei zu einem erzählerischen Problem. Die Lust am Text, die sich über die Blaxploitationfilme um Dealer, Zuhälter und Gangster bis in die Hiphop-Fiktionen von heute fortsetzt, liegt wohl nicht an den grausamen Details des Gewerbes. Sondern an einer Machtphantasie, in der clevere Hustler den rassistischen Mythos der enormen Sinnlichkeit dazu benutzen, weißen Männern und Frauen zum Klang wilder Rhythmen das Geld aus der Tasche zu ziehen, und die prosperierende Schattenwirtschaft der gesamten USA mit geschmierten Polizisten und gekauften Politikern am Laufen halten. Das ist natürlich, vor einem bitteren Hintergrund, sehr amüsant. Tatsächlich fragten jedoch besorgte Journalistinnen den eleganten Herrn Beck, ob denn die meisten Zuhälter schwarz seien. Worauf Beck die würdige Antwort gibt: "Das weiß ich nicht. Ich würde allerdings vermuten, dass es angesichts der überproportionalen Größe der weißen Bevölkerung mehr weiße als schwarze Zuhälter gibt. Aber die schwarzen sind die besten, weil sie in diesem Schmelztiegel arbeiten."
Beck konnte darauf setzen, dass die Authentifizierung seines Buches mehr Erfolg sichern würde, als es sein Text je geschafft hätte. Gut möglich, dass hinter dem großspurigen Pseudonym ein ebenso breites Grinsen steckt. Auch die Rapper von heute können darauf setzen, dass Erzähler und Autor als identisch gelesen werden. Figuren wie Jay-Z und 50 Cent mit ihren gefährlichen Gettolegenden bauen auf die gleiche "realness". Und verkaufen sie eben nicht nur an ihre "homies", ihre eigene Szene. Sondern wie eh und je an die weißen Suburbs. Daher ist natürlich alles wahr, an diesen "schwärzesten Geschichten". Und Iceberg Slim ist der allerböseste, gemeinste und härteste Motherfucker von allen.
Iceberg Slim - Pimp. Story of My Life. Die schwärzeste Geschichte aus dem schwarzen Amerika. Mit einem Nachwort von Ice T und Sapphire sowie einem Glossar mit Slang-Ausdrücken. Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Schmid. Europa, Hamburg 2003, 351 S., 19,90 EUR
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