Die westliche Politik ist heuchlerisch

Afrika Howard French findet es nur logisch, dass der Kontinent das chinesische Entwicklungsmodell wählt
Ausgabe 26/2019

Jüngst war der Journalist Howard French zu Gast in Kenia, wo dieses Gespräch stattfand. US-Präsident Trump hatte da gerade seine Attacke auf Huawei angekündigt, den chinesischen Konzern, der den Großteil der Mobilnetzwerke und Internetinfrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent errichtet hat. Welche Rolle spielt Afrika also im Handelskrieg? French, ehemaliger Korrespondent der New York Times, hat sowohl in West- und Zentralafrika als auch in China gelebt.

der Freitag: Herr French, Anfang der 1990er Jahre begann China in Afrika zu investieren. Warum?

Howard French: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatten die USA, Europa und natürlich auch Russland ganz andere Prioritäten. Die westeuropäischen Staaten wandten sich Osteuropa zu. Die USA verwickelten sich in mehrere Kriege im Nahen Osten. Afrika stand für China weit offen.

Und so entschied damals die Führung in Beijing, Afrika zu „Chinas zweitem Kontinent“ zu machen, wie eines Ihrer Bücher heißt?

Nein, anders als das heute viele glauben, hat es nie einen Masterplan gegeben. Als sich das Land unter Deng Xiaoping auf den kapitalistischen Weg begab, wurden in Shenzhen und anderswo Sonderwirtschaftszonen errichtet, um Kapital anzulocken und Exportgüter zu produzieren. Doch das allein reichte nicht, um die Wirtschaft langfristig zu entwickeln. Dengs Nachfolger Jiang Zemin wies kurz nach seinem Amtsantritt Ende 1989 die Führungsebene der Provinzen an, außerhalb Chinas neue Märkte zu erschließen und Dinge zu produzieren, die dort nachgefragt werden.

Wie kamen die chinesischen Provinzen dann auf Afrika?

Die Unternehmer erkannten, dass der Kontinent vor ähnlichen Herausforderungen stand wie China in den Jahrzehnten zuvor: Die afrikanischen Staaten wollten ihre kleinbäuerlich geprägten Wirtschaftsstrukturen industrialisieren. Für diese Entwicklung brauchte es insbesondere Infrastruktur: Energie, Städtebau, Verkehrswege. Dass China riesige Bauvorhaben rasch und günstig umsetzen konnte, hat das Land hinlänglich bewiesen – man denke nur daran, wie die verschlafene Provinzstadt Shenzhen innerhalb einiger Jahre zu einem extrem produktiven, exportorientierten Industriezentrum entwickelt wurde, zu einer Millionenstadt mit Wolkenkratzern. So kam es, dass China sein Know-how im Infrastrukturbereich nach Afrika zu exportieren begann.

Manche sagen, China sei dadurch in Afrika zum bedeutendsten Akteur der Entwicklungszusammenarbeit geworden.

Was China tut, ist keine Entwicklungshilfe. Es ist ein Geschäft, finanziert durch kommerzielle Kredite.

Aber das chinesische Engagement hat in verschiedenen Ländern Afrikas die wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben?

Sicherlich, und ich will damit auch nicht sagen, dass westliche Entwicklungshilfe mehr gebracht hat. Für viele Länder war es auf jeden Fall förderlich, dass es dank China einen Anbieter gab, der die benötigte Infrastruktur rasch und günstig erstellte. Zumindest oberflächlich betrachtet. Denn besonders in den Anfangsjahren waren die chinesischen Bauten oftmals von so schlechter Qualität, dass teure Nachbesserungen notwendig wurden. Für die afrikanischen Regierungen ist auch attraktiv, dass die chinesischen Angebote keine politischen oder ökologischen Bedingungen beinhalten. Aber die Verträge, die grundsätzlich geheim sind, beinhalten oft Klauseln, die die unternehmerischen Risiken voll auf die afrikanischen Staaten – und damit die Steuerzahlenden – abwälzen.

Solche Abkommen, wie sie in jüngster Zeit etwa in Kenia geleakt worden sind, führen auch dazu, dass sich viele Länder massiv verschulden. Von Kenias Auslandsschulden entfallen 72 Prozent auf China. Stellt Beijing den afrikanischen Partnerländern bewusst die „Schuldenfalle“, wie das immer wieder gesagt wird?

Bestimmt nicht. Das wäre sehr kurzfristig gedacht. Es könnte vielleicht die eine oder andere Struktur übernehmen, wie dies beim Hafen in Sri Lanka geschehen ist. Aber die chinesischen Unternehmen sind nach Afrika gekommen, um Geschäfte zu machen. Das ist immer noch so. Dafür sind sie auf ein gutes Image angewiesen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Projekte in Afrika oder Südasien.

Sondern?

In Afrika hat China quasi das Business-Modell getestet, das nun fast auf der ganzen Welt ausgerollt wird, etwa in Griechenland oder Italien: die „Belt and Road Initiative“ (BRI), die Neue Seidenstraße.

Wie läuft das Geschäftsmodell?

Chinesische Unternehmen, die meist staatlich kontrolliert sind, schließen mit Regierungen Verträge ab, in denen festgeschrieben ist, dass ein Großteil der Materialien und der Arbeitskräfte aus China kommt. Chinesische Staatsbanken sorgen für die Finanzierung; sie leihen faktisch Geld an chinesische Unternehmen aus, während die Partnerstaaten die Schuldzinsen übernehmen. Für China läuft es also sehr gut, die Erträge der Investitionen fließen zu einem großen Teil zurück.

Mit der BRI baut China seinen globalen Einfluss massiv aus.

In China würde man sagen: Es ist eine Angleichung an die historische Normalität. Jahrhundertelang war China die dominante Wirtschaftsmacht der Welt, bis im 19. Jahrhundert der europäische und später der japanische Imperialismus dem ein Ende setzte. Man sollte dabei die BRI aber auch nicht überschätzen.

Warum nicht?

BRI ist nicht viel mehr als ein Slogan, mit dem nach außen ein profanes Geschäftsmodell verkleidet wird. Selbst höhere chinesische Manager von BRI-Projekten können mit dem Begriff nichts anfangen. Eigentlich handelt China nicht einmal aus einem Bewusstsein der Stärke heraus, sondern im Gegenteil aufgrund großer Ängste.

Zur Person

Howard W. French , 61, lehrt an der Journalism School der Columbia University in New York. In den 1980ern arbeitete er in Côte d’Ivoire/Westafrika als Französisch-Englisch-Übersetzer und Universitätsprofessor. French wurde Journalist und schrieb zwischen 1990 und 2008 als Korrespondent für die New York Times aus Zentralamerika, West- und Zentralafrika, Japan, Korea und China. Von ihm sind auf Englisch drei Sachbücher zu China und zu den afrikanisch-chinesischen Beziehungen erschienen

Ängste?

Es geht um Demografie. Die Einkindpolitik war Teil von Chinas Entwicklungsstrategie. Doch nun werden jedes Jahr fünf Millionen Chinesen und Chinesinnen mehr pensioniert, als junge Arbeitskräfte nachrücken. Die abnehmende Arbeiterschaft wird eine exponentiell wachsende Rentnerschar unterstützen müssen. Dieses demografische Problem wird China wegen der Einkindpolitik viel stärker treffen als andere Länder. Bei der Führung in Beijing herrscht deswegen viel Nervosität, auch wenn sie das in der Öffentlichkeit nicht zeigt. China nutzt nun die letzten Jahre mit demografischer Dividende, um seine bald überalterte Gesellschaft zu finanzieren.

Zurück nach Afrika …

China hat dank des Bewusstseins für Demografie auch erkannt, dass Afrika der Zukunftsmarkt schlechthin ist. Denn nirgendwo wächst die Bevölkerung so rasch wie hier, und selbst wenn die meisten arm bleiben, rücken viele andere in die Mittelschicht auf.

Selbst ein Kleinbauer, eine Slumbewohnerin kann sich ein günstiges Handy aus China leisten.

Ja, weil chinesische Tech-Unternehmen wie Transsion und Huawei einfache, aber langlebige Geräte anbieten, sind sie sehr erfolgreich. Huawei hat zudem weit über die Hälfte der 4G-Netzwerke Afrikas erstellt und dürfte bei 5G eine noch dominantere Rolle spielen. Die beiden Konzerne haben früh das Potenzial des afrikanischen Markts erkannt.

Wie ist Afrika vom Handels- und Technologiekonflikt zwischen den USA und China betroffen?

Sollte Huawei tatsächlich keinen Zugriff mehr auf Android oder Google erhalten, sähen sich Regierungen und Nutzer möglicherweise gezwungen, zwischen westlicher und chinesischer Technologie zu wählen. Da würde wohl letztere das Rennen machen, weil sie weitverbreitet und günstig ist.

Chinas Entwicklungsmodell genießt in Afrika einige Reputation. Taugt es als Vorbild?

Nun, der Westen hatte Afrika im Zeitalter des Kolonialismus ausgebeutet und dann den unabhängig gewordenen Ländern ein Entwicklungsmodell aufgezwungen, in dem der Staat möglichst keine Rolle spielen sollte. Dabei hatten sich die USA und die Länder Europas einst selbst dank staatlicher Industriepolitik entwickelt. Es ist also verständlich, dass die heuchlerische westliche Afrikapolitik nicht hoch im Kurs steht.

Aber können afrikanische Länder den gleichen Weg der Industrialisierung beschreiten?

Für viele ist das nicht realistisch. Die zahlreichen Binnenländer haben sowieso kaum eine Chance, solange sie nicht regional integriert sind. Afrika ist zwar ein riesiger und rasch wachsender Markt, wie China erkannt hat, aber die afrikanischen Staaten nutzen das Potenzial selbst praktisch nicht. Heute macht jeder Staat einen Deal mit China, anstatt dass sich die Staaten einer Region absprechen, gemeinsam Prioritäten festlegen, verhandeln und auch fordern, dass sie die Kontrolle über die Projekte behalten.

Wie kann sich das ändern?

Durch den Druck der Zivilgesellschaft, die Forderung nach Transparenz und einer wirklich nachhaltigen Entwicklung. Es braucht auch nicht für alles eine große Finanzierung von außen, sondern vor allem politischen Willen in Afrika. Etwa, um den Bildungsbereich zu verbessern, den Agrarsektor effektiver zu nutzen und den regionalen Handel zu fördern.

Das politische System Chinas scheint in Afrika hoch im Kurs zu stehen.

Bei gewissen Eliten vielleicht. Autoritär geführte Staaten wie Ruanda oder Äthiopien sind auch bei westlichen Entwicklungsakteuren beliebt, sie sind verlässlich und bringen Resultate. Aber undemokratische Staaten sind, längerfristig betrachtet, sehr krisenanfällig. In Ruanda gab es unter einem autoritären Regime einen unvorstellbaren Genozid, in Äthiopien eine der größten Hungersnöte der neueren Geschichte. Egal, wie groß der ökonomische Einfluss Chinas in Afrika ist: Letztlich ist die Idee der Demokratie weiterhin stark. Das zeigt sich auch in den jüngsten Entwicklungen in Äthiopien oder im Sudan.

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