Positiv, der Test war positiv, daran bestand kein Zweifel. Ich war gerade einmal neunzehn Jahre alt, als ich den positiven Schwangerschaftstest in Händen hielt. Ich war erledigt. Wenn dieser Tage über das Recht auf Abtreibung diskutiert und gestritten wird – in den USA wie in Deutschland –, dann ist das für mich weitaus mehr als eine abstrakte Debatte. Ich war betroffen, unmittelbar. Und vielleicht zeigt meine damalige Entscheidung, wie ernst man den Slogan „pro choice“ tatsächlich nehmen sollte. Denn eine Wahl zu haben, heißt nicht zwangsläufig immer, sich gegen ein Kind zu entscheiden. Aber von vorne.
Dieser Tage wird das Recht auf Abtreibung vor allem in seiner grundlegenden Dimension behandelt. Angesichts der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, das Recht auf Abtreibung durch die Bundesstaaten regeln zu lassen, droht nun vielen, besonders ärmeren Frauen in konservativen Bundesstaaten die weitere Beschneidung des so grundlegenden Rechtes auf reproduktive Selbstbestimmung. In den Debatten um das Recht auf Abtreibung werden vor allem Extremfälle diskutiert – etwa Fälle von Inzest, Teenagerschwangerschaften, Vergewaltigung oder die Bedrohung von Leib und Leben der Mutter. Natürlich zeigen solche Extreme, wie wichtig das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und die Zurückweisung fundamentalistischer religiöser Ansprüche auf ein „Recht auf Leben“ (für wen?) sind. Zugleich verengen sie die Perspektive und delegitimieren schlimmstenfalls die weitaus häufigeren, typischeren Fälle ungewollter Schwangerschaften. Das Kondom ist gerissen oder in der Hitze des Gefechts hat man gar nicht erst in das Nachtschränkchen gegriffen, um eines auszupacken. Vielleicht hat man die Pille vergessen oder man wird auf etwas brutale Art daran erinnert, dass kein Verhütungsmittel absolut sicher ist.
Was auch immer der Grund für eine ungewollte Schwangerschaft sein mag: Das Recht auf eine Wahl bedeutet auch das Recht auf eine aktive Entscheidung für Mutterschaft, selbst wenn das Kind – pardon – schon in den Brunnen gefallen ist.
Nach meinem ersten Schock im Badezimmer nahm ich mir eine Woche Zeit, um mich über meine Möglichkeiten zu informieren. Was würden Schwangerschaft und Mutterschaft konkret für mich bedeuten – physisch, psychisch, aber auch finanziell? Würde ich studieren können, wenn ja, wie? Hatte ich Angst vor dem Mutterwerden oder hatte ich Angst vor den gesellschaftlichen Implikationen der frühen Mutterschaft? Das waren nur einige der Fragen, die ich mir stellte. Entscheidend ist, dass ich sie mir stellen konnte. (Wie eine Abtreibung konkret vonstattengeht, blieb aufgrund des „Werbungsverbotes“ für Schwangerschaftsabbrüche dagegen eher im Dunkeln.)
Der Zettel, auf dem mir meine Frauenärztin die Nummer einer Beratungsstelle notiert hatte, blieb in meinem Portemonnaie. Ich hatte meine Wahl getroffen, ich bekam mein Kind. Diese positive Wahl war entscheidend. Auf psychologischer Ebene macht diese Wahl einen gewaltigen Unterschied.
Wie vermutlich jede andere Mutter habe auch ich Momente erlebt, in denen ich Mutterschaft bereute. Es waren Momente der absoluten Überforderung, der Einsamkeit, der Verzweiflung. Aber in diesen Momenten konnte ich mir in Erinnerung rufen, dass ich eine Entscheidung gefällt hatte. Ich war vielleicht in einer schwierigen Lage, aber niemand hatte mir diese Lage aufgezwungen. Es geht um nichts weniger als um Handlungsmacht, agency, ein wesentlicher Aspekt der Würde des Subjekts. „Pro choice“ bedeutet bisweilen schlichtweg, dass aus einer ungewollten Schwangerschaft gewollte Mutterschaft resultiert.
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