Anne Wünsche will abtreiben: Warum es mutig ist, das auf Social Media zu verkünden

Meinung Die Influencerin hat mit einem Posting unfreiwillig deutlich gezeigt: Die Entscheidung, ein Kind nicht zu bekommen, ist noch lange nicht selbstverständlich
Ausgabe 16/2023
Und jetzt?!
Und jetzt?!

Foto: ingimage

Ich muss gestehen, dass ich mich mit Reality Stars und Top-Influencern nicht gerade gut auskenne. Ich wusste jedenfalls nicht wirklich, wer Anne Wünsche war, als ich neulich eine Schlagzeile in meinem Facebook-Feed erblickte. Darin stand, dass die Influencerin ihren Followern verkündet habe, dass sie erneut schwanger sei, das Kind aber nicht behalten wolle. Sie hat bereits drei Kinder.

Selbstredend fand sich unter dem Beitrag die übliche Bandbreite der Reaktionen zum Thema Abtreibung. Von unterstellter Dummheit über Verantwortungslosigkeit bis hin zu der Frage, warum dieses Thema denn nun öffentlich gemacht werden müsse, waren alle denkbaren Reaktionen dabei.

Die Frage, warum jemand so etwas öffentlich macht, beantwortet sich da von selbst, wo das Sprechen über Abtreibung immer noch einen Skandal, ein moralisches Verdikt provoziert. Ich kann nicht in Worte fassen, wie satt ich es habe, dass ich noch immer beinahe täglich lesen muss, dass eine Frau eben selbst schuld sei, wenn sie nicht korrekt verhüten könne. Besonders scharf attackiert wurde Wünsches Aussage, sie habe doch „aufgepasst“ – aufpassen sei eben keine Verhütung, hieß es in den Kommentaren.

Dabei ist die banale Realität auch der sichersten Verhütungsmittel, dass sie nicht absolut sicher sind. Selbst bei korrekter Anwendung. Und selbst wenn eine Frau aus irgendeinem Grund nicht verhütet, muss sie das Recht haben, sich gegen das Kind entscheiden zu können.

Übrigens gehöre ich durchaus nicht zu jenen, die im Embryo einen „Zellklumpen“ sehen – so betrachtet wären wir alle nur Zellklumpen (ehrlich gesagt, finde ich diese Betrachtung zynisch). Nein, Abtreibung ist ein ethisches Dilemma, aber eines, bei dem es zugunsten der Frau – und wie in Wünsches Fall: der geborenen Kinder – zu entscheiden gilt.

Dann pass doch auf?!

Ohne mit Wünsches Œuvre vertraut zu sein, finde ich sie besonders mutig. Gerade ein Social-Media- und TV-Star muss nach solch einem Outing mit einem harten Backlash rechnen. Womöglich ist Wünsches Statement wichtiger als jede noch so kluge Anthologie über Abtreibung – wie etwa die zuletzt bei Hanser Berlin erschienene Sammlung von Abtreibungserzählungen mit dem provokanten Titel Glückwunsch. Nicht, dass die Texte nicht relevant wären. Aber die Reichweite von TV-Stars ist eben kaum zu überbieten. Daher wittert die Rheinische Post in der Ankündigung einen „Medienstunt“. Ernsthaft? Fraglich, ob ein Mensch mit einer Million Followern das noch nötig hat. Aber die Botschaft ist klar: Hier ist jemand berechnend.

Solch einen Vorwurf müssen allerdings nicht nur Influencerinnen fürchten. Noch vor Kurzem las ich das Statement eines schreibenden Kollegen, der Annie Ernaux’ viel gewürdigten Mut und ihre Radikalität angesichts ihres Romans Das Ereignis infrage stellte. Darin schildert sie ihre Abtreibungserfahrung unter den Händen einer Engelmacherin. Dass Ernaux erst im Jahr 2000 einen Roman darüber veröffentlicht habe, als Abtreibung längst legal war, spreche wohl kaum für Mut.

So kann vermutlich nur eine Person urteilen, die nie auch nur näherungsweise in der Situation war, sich in dieser Frage outen zu müssen.

Ich persönlich habe nie abgetrieben, bin aber gleich zweimal ungeplant schwanger geworden. Praktisch alle Frauen in meinem Freundeskreis sind schon einmal ungeplant schwanger geworden. Die meisten entschieden sich für das Kind. Aber die große Zahl ungeplanter Schwangerschaften – ja, auch unter Akademikerinnen – sollte doch zu denken geben. Nennen Sie’s Naivität, Dummheit oder einfach Leben, das bekanntermaßen ja immer dann passiert, wenn man gerade anders plant.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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