Arbeit, Arbeit über alles!

Die neuen Deutschen Jeder kann Deutscher sein, wenn er nur fleißig ist. In "Die neuen Deutschen" erklären Marina und Herfried Münkler Leistungsbereitschaft zum Kern deutscher Identität

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Es gibt viele Fantasien über die Deutschen. Vielleicht vermeidet man es lieber, einen Polen oder Engländer über seine Deutschland-Fantasien zu befragen. Wozu auch? Die deutschen Dichter und Denker überflügeln sich derzeit mit Fantasien über „die“ Deutschen. So nun auch das Professorenpaar Marina und Herfried Münkler, die mit ihrem Buch „Die neuen Deutschen“ offenkundig einen hoffnungsvoll-utopischen Kontrapunkt zu Botho Straußens Schwanengesang in „Der letzte Deutsche“ setzen wollen. Hingebungsvolle Dekadenz-Fantasie hier, metaphysischer Glaube an den kulturerneuernden Jungbrunnen namens "Einwanderung" da.

Doch was taugt zur Definition des Deutschseins? Und was ist das, die "deutsche Identität"? Die Münklers finden eine verblüffende Antwort. Weder Sprache noch Abstammung sind entscheidend; zum Zentrum des neuen Deutschseins wird bei den Münklers der Arbeitsethos:

„Als Deutscher soll […] ein jeder verstanden werden, der davon überzeugt ist, dass er für sich und seine Familie durch Arbeit (gegebenenfalls auch durch Vermögen) selbst sorgen kann und nur in Not- und Ausnahmefällen auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft angewiesen ist.“

In der Erläuterung dieser Definition wird ohne weitere Umstände der Leistungsgedanke zum Kern deutscher Identität erklärt und mit ihm die Bereitschaft zur „Selbstsorge“. Das führt nur konsequent und logisch dazu, wie es die Münklers freimütig eingestehen, dass auch diejenigen, die hier geboren wurden und diesen Anforderungen nicht genügen, einer deutschen Identität nicht gerecht werden.

Deutsch ist, wer arbeitet und die Solidargemeinschaft nur im Notfall belastet. Dahinter steckt auch eine Drohung: Der Faule ist undeutsch. Die neuen Deutschen sind tüchtige Wirtschaftsbürger. Eine Armee der Willigen.

Deutsche Intellektuelle wie Jürgen Habermas imaginierten die Geburtsstunde der (verspäteten) deutschen Nation einst in der Entwicklung des räsonierenden Bürgertums. Bei der Literaturwissenschaftlerin und dem Politikwissenschaftler ist davon nichts geblieben; aus dem Staatsbürger wird der sich „selbstversorgende Wirtschaftsbürger“. Nicht mal im Programm der FDP liest man das derart deutlich. Dass es ausgerechnet Geisteswissenschaftler sind, die umstandslos das Primat der Ökonomie über das gesellschaftliche Leben proklamieren, verblüfft doch. Zumal in der Welt der ökonomischen Kosten-Nutzen-Orientierung der Lehrstuhl der Litertaurwissenschaftlerin Münkler wohl umstandslos gestrichen würde.

Man mag von den nationalen Abschottungsfantasien, die von links bis rechts reichen, halten, was man will. Bei den Münklers werden sie umgedichtet zum Beißreflex einer alternden, müden Gesellschaft, die sich der globalen Leistungskonkurrenz zu entziehen sucht. Diese Leistungskonkurrenz freilich bekommen die Bürger von Mecklenburg-Vorpommern gar nicht mehr zu spüren, denn da, wo es flächendeckend an Arbeit mangelt, vermag auch die Leistungskonkurrenz nicht zu schrecken. Und auch der den ängstlichen Deutschen attestierte Wunsch nach Privilegienerhalt wirkt etwas zynisch angesichts der Konkurrenz von Hartz IV- Familien und geduldeten Flüchtlingen um bezahlbaren Wohnraum.

Der neue Mensch als Wirtschaftsbürger

Natürlich wünschen sich die beiden Professoren eine Integration der Neubürger auf allen Ebenen. Aber die Anpassung an eine Kultur ist ein langwieriger Prozess. Die Neuankömmlinge ihr "Glück" als Putzfrau und Bauarbeiter suchen zu lassen, geht dagegen schnell. Man muss nur arbeiten wollen, schon ist man Deutscher, was konsequent zur Blitz-Auflösung jeder nationalen Grenze führen müsste: Denn auch Engländer und Polen kennen Arbeitsethos. Dann aber erübrigt sich die Frage nach nationaler Identität vollkommen. Hauptsache, man ist in dieser - nun globalen - Wirtschaftsgemeinschaft nützlich.

Arbeit, Arbeit über alles. Wer das jetzt als Ausgeburt neoliberaler Fantasien anprangert, der vergisst, dass die Vorstellung der „Integration“ durch Arbeit sehr viel älter ist. Wer arbeitet, dem steigen keine Flausen in den Kopf. Wer arbeitet, hinterfragt kein System.

Es ist kein Zufall, dass alle totalitären Systeme ihre Arbeits- und Zuchthäuser besaßen. Und man muss hier gar nicht an die schlimmste Version des „Arbeit macht frei“ der Nationalsozialisten denken. Wer den Menschen an die Arbeit bindet, der kollektiviert ihn, und das entspricht gleichsam den Fantasien von links bis rechts. Vergiss alle Individualität, du bist Teil des (Wirtschafts-)Kollektivs! Das braucht keine gemeinsame Sprache und kann auf Kultur gut verzichten. Die ist im Zweifelsfalle eher abträglich.

Man möchte die Münklers fragen, wie zukunftsfähig ihr Konzept der Integration durch Arbeit in die Leistungsgesellschaft ist, wenn in absehbarer Zeit eine viel tiefergreifende industrielle Revolution basierend auf künstlicher Intelligenz und weiterentwickelter Robotik bevorsteht, und die einzig verbliebene Arbeit – welche Pointe – die Geistesarbeit sein wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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