Seit meiner Kindheit bin ich ein begeisterter Wrestling-Fan. Daran konnte auch die permanent geäußerte Frage von Mitschülern nichts ändern: „Weißt du denn nicht, dass das Fake ist?“ In meiner Familie war Wrestling eine Leidenschaft der Frauen. Meine liebe, schüchterne, zurückhaltende Mutter belegte „Heels“ – die Bösewichte im Wrestling – mit den schlimmsten Kraftwörtern, die man sich nur denken kann. Als ich ein kleines Mädchen war, gab es nur wenige Frauen im Wrestling, mit denen ich mich identifizieren konnte. Aber seit einigen Jahren explodiert die Zahl der Wrestlerinnen in Shows etwa der Veranstalter WWE und AEW geradezu. Und nicht nur das: Man sieht immer häufiger wrestlende Mütter, darunter Becky Lynch und Ronda Rousey, die derzeit größten Stars der Branche.
Wrestlende Väter gab es hingegen immer. Der legendäre Bret Hart trug für jedes seiner vier Kinder ein Herz auf seinem pinken Nylon-Ganzkörperanzug, AJ Styles hat die Geburtsdaten seiner vier Kinder auf die Flanken tätowiert. Da viele Wrestler dauerhaft von Stadt zu Stadt reisen und häufig an dreihundert Tagen des Jahres auf Tour gehen, sind Wrestler-Väter oft abwesende Väter. Auch das ändern die wrestlenden Mütter, die ihre Kinder mit sich auf Reisen nehmen. Becky Lynch postete ein Bild auf ihrem Instagram-Account, das sie nachts mit ihrer einjährigen Tochter am Flughafen zeigt. Aber die Wrestlerinnen tragen ihre Kinder natürlich auch im unmittelbaren Sinne in ihrem Körper.
Damit werden Schwangerschaft, Geburt und postnatale Fitness zum Thema im Wrestling. Ronda Rousey kehrte vier Monate nach der Geburt ihrer Tochter in den Ring zurück, Becky Lynch nach neun Monaten. Der Körper der Mutter zeigte sich in diesen Matches als durchtrainiert, erstaunlich fit und stark. Strong is the new sexy, hieß es vor einigen Jahren auf Instagram, was die Abkehr von einem Frauenkörperideal markierte, das vor allem dürr und muskellos daherkommt. Becky Lynch inszeniert sich seit der Geburt ihrer Tochter offensiv sexy. Das ist auch deshalb interessant, weil Lynch die typischen sexy Posen, in denen viele Wrestlerinnen sich ablichten lassen, immer vermied und bei allen Posing-Versuchen offensichtlich peinlich berührt wirkte. Es ist, als hätte die Mutterschaft Lynch ein anderes sexuelles Selbstbewusstsein verliehen.
Wrestling-Stars Becky Lynch und Ronda Rousey: Kein Karriereknick nach Mutterschaft
Becky Lynch ist ohnehin die mit Abstand interessanteste Figur im Wrestling, weil ihr endgültiger Siegeszug an die Spitze der WWE damit begann, dass sie sich als „The Man“ bezeichnete. Was vorher in hitzigen Wortgefechten zwischen Männern an pavianhaftes Dominanzverhalten erinnerte (who’s THE MAN?!), avancierte zum augenzwinkernden Kommentar über Klischeevorstellungen von Weiblichkeit. Als „The Man“ Mutter wurde, verkaufte sie T-Shirts mit dem Slogan THE MAN is THE MOM. Was nur bewies: Auch Männer können Mutter werden. Anders als so viele andere Mütter erlebten weder sie noch Ronda Rousey einen Karriereknick durch Mutterschaft. Im Gegenteil, es wirkt so, als gebe es bei den Zuschauern eine große Sehnsucht nach neuen Mutterfiguren des Typus „warrior“, der Kriegerin.
Der Siegeszug Lynchs entspricht einem allgemeinen Aufwind für Frauen im Sports Entertainment, der sich zeigte, als die WWE in Saudi-Arabien tourte. Die Wrestlerinnen mussten im Ring zwar Ganzkörperanzüge tragen, aber zum ersten Mal überhaupt sah man zwei Frauen, Becky Lynch und Lita, auf der großen Werbetafel vor dem Stadion. Dass im Publikum unzählige Mädchen und Frauen den Wrestlerinnen zujubelten, war ein Signal in Fragen der Gleichberechtigung – sicher ein Teil der Inszenierung der Saudis, aber der Geist ist aus der Flasche. Und die Mutti schlägt zurück.
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