Bodypositiviere meinen Hintern!

Body Positivity Wir sollen über Körper sprechen. Immerzu. Wir sollen unseren Körper lieben. Warum auch nicht? Nur kaschiert das Sprechen über 'Body Positivity' echte Probleme von Frauen

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Taryn Brumfitt tourt auch im Zuge ihres Films "Embrace" in Sachen Body Positivity um den Globus
Taryn Brumfitt tourt auch im Zuge ihres Films "Embrace" in Sachen Body Positivity um den Globus

Jeff Spicer/Getty Images for Leapfrog Films

Trigger-Warnung: Dieser Text enthält Spuren von Ironie, Sarkasmus und Zynismus. Wenn Sie die drei nicht unterscheiden können, lesen Sie besser nicht weiter!

Margarete Stokowski hat im Rahmen ihrer SPON-Kolumne ein kleines Manifest veröffentlicht. Ein feministisches Manifest? Durch mein Hirn fegten spontan zyklonhafte Begeisterungsstürme, die leider leider rasch abflauten. Sie ahnen es im Kontext der Überschrift dieses Textes, das Manifest dreht sich um „Body Positivity“ (nicht zu verwechseln mit Adipositas).

Falls Sie nicht wissen, was Body Positivity ist: Sie müssen, um bodypositiv zu sein, einen Körper haben und sich positiv dazu verhalten. Tägliches stundenlanges Hüftfett-Beschimpfen ist also Body Negativity. Oder so. Body Positivity dagegen soll uns, den Frauen, die Liebe zu unserem Körper lehren. Gott sei Dank gibt es einen Kinofilm, der genau das tut und hübsch bebildert, so sparen wir uns das teure Geld für Selbsthilfekurse. Über besagten Hype-Kinofilm Embrace der Australierin Taryn Brumfitt hat Heike-Melba Fendel einen köstlichen Beitrag verfasst. Ich will daher lieber über das stokowskische Manifest sprechen.

'Manifestus' bedeutet übrigens 'handgreiflich machen', ich habe das schnell mal gegoogelt. Gilt aber nicht für runde Popos, sondern eher für Forderungen. Was macht sie da handgreiflich? Die erste Emphase lautet:

1. Für mehr dicke Mädchen in Leggins!

Absolut! Vielleicht darf ich folgende Forderung hinzufügen: Mehr 80-jährige mit ledriger Selbstbräunerhaut in Leopardenstrings! Weil’s die Welt bunter macht. Was sagt die Kolumnistin außerdem?

Alter ist Erfahrung, Lachen über Alter ist Dummheit.

Social Media-Gemeinplätze für Hausfrauen. Alles, was durch solche Erkenntnisse handgreiflich gemacht wird, ist eine fatale Inhaltsleere, nicht nur der Kolumne, sondern auch des neuen feministischen Körperkults. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Natürlich kann man Stokowskis Text nicht „dem“ Feminismus zum Vorwurf machen, es gibt ja auch andere, gehaltvollere feministische Stimmen; und als Kulturwissenschaftlerin finde ich das Sprechen über Körper und Körperpolitiken, über Normierungszwänge und Schönheitsideale spannend. Nur schreibt Stokowski eine Kolumne für ein politisches Magazin und ist als feministische Stimme exponiert. Was bedeutet, dass sie Sendezeit, Spaltenbreite, Zeichenzahl für wichtige feministische Anliegen nutzen könnte.

Was könnte man da nicht alles thematisieren in einem – ich hab’s überschlagen – 6000 Zeichen-Text: Altersarmut von Frauen, die Situation Alleinerziehender (91 % der Alleinerziehenden sind Frauen, 40% von ihnen müssen mit einem Einkommen von unter 1300 Euro monatlich auskommen), Lohnunterschiede, gläserne Decken. Oder globale Themen wie Müttersterblichkeit, Genitalverstümmelung, Ehrenmorde, Ausbeutung von Sexarbeiterinnen, systematische Benachteiligung von Mädchen und Frauen, die Hinderung am Schulbesuch – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Aber klar, dicke Mädchen in Leggings sind auch ein wichtiges Thema. Obendrein eines, das sich ohne große Rechercheleistung bequem abtippen und anschließend via Social Media gut vermarkten lässt.

Vielleicht fehlt mir einfach die geistige Kapazität, die Wichtigkeit des Themas zu erkennen, mag sein. Nur könnte man darüber doch auf Facebook oder Twitter sprechen. Und was bringt ein 6000 Zeichen-Text, der uns muttihaft eintrichtert, bitte in Zukunft unseren Körper etwas milder zu bewerten, während parallel 16-jährige Mädchen dem Kardashian-Clan auf Instagram folgen und mit perfektem Contouring-Maskengesicht in die Schule staksen?

Die Body Positivity Logik scheint ja zu lauten: Ist die Sache mit dem Körperbild einmal geklärt, erledigen sich alle anderen Frauenprobleme ganz von selbst. Sie wissen schon, das ist die Dichotomie von Haupt- und Nebenwiderspruch. Nur geschieht natürlich genau das Gegenteil. Weil wir wichtige Sendezeit mit dem Sprechen über Körper füllen, werden wir natürlich nie zu den systemischen Problemkernen vordringen, die sozialer, ökonomischer und politischer Natur sind. Und mit Verlaub: Gerade deswegen bekommen Stimmen wie Stokowski entsprechende Sendezeit, weil sie überhaupt nicht gefährlich sind. Nicht für chauvinistische Politik, nicht für die ökonomisch Mächtigen, nicht einmal für die Beauty Konzerne, denen die Body Positivity-Bewegung doch das Geschäft mit der weiblichen Unsicherheit verderben will. Denn wie viele der Zuschauerinnen von Embrace werden sich danach trotzdem Maskara und Antifaltenprodukte, Spanx und Diätshakes kaufen?

Stokowski durchschaut nicht das Hauptproblem, das darin besteht, dass wir dazu gezwungen werden, den Körper zum Thema zu machen, und dabei klandestin dem alten Denkschema Frau = Körper folgen. Es reicht eben nicht, untenrum frei zu, es hilft auch, obenrum befreit über den Tellerrand zu schauen und sich eventuell zu fragen, ob das Hauptproblem einer alleinerziehenden Krankenpflegerin (Griff in die Metaphernmottenkiste, schuldig!) wirklich ihre Hosengröße ist?

Fakt ist, dass eine Frau wie Taryn Brumfitt, die offenbar Zeit und Muße hat, in Sachen Body Positivity um den Globus zu reisen, vermutlich ansonsten einfach zu wenige Sorgen hat, was man ihr gönnen mag. Tue ich auch! Wenn dann aber jede feministische Stimme den für wahlweise gut oder schlecht befundenen Film kommentieren muss, dann hat „die Macht“, das, was uns da über Körper sprechen lässt, schon gewonnen. Klingt ein wenig nach Verschwörungstheorie, gebe ich schon zu.

Jedenfalls müssen die Mächtigen nicht vor uns zittern, solange wir wahlweise über unsere Pfunde oder die Bewertung unserer Pfunde oder die Positivität der Pfunde sprechen. Etwas gewonnen haben wir erst, wenn wir nicht länger über unsere schwabbeligen Ärsche sprechen. Irgendwann werden auch „die anderen“, vielleicht sogar die Stimmen in unserem Kopf - die ewig nörgelnden, überkritischen - aufgeben, weil’s nichts mehr zu holen gibt.

Deswegen zum Abschluss mein persönliches, wütend-genervtes Manifest:

1. Hört auf über Körper zu sprechen!

2. Hört auf über Körper zu sprechen!

3. Hört auf über Körper zu sprechen!

4. Hört auf über Körper zu sprechen!

5. Hört auf über Körper zu sprechen!

Ach ja, und:

6. Hört auf über Körper zu sprechen!

Und wenn euch dann gar nichts mehr einfällt, worüber es sich zu sprechen lohnt, dann lasst das Sprechen, denn nicht jeder, der sprechen darf, muss es auch tun. So, ich höre jetzt auf zu sprechen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

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Marlen Hobrack

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