Dada und Ekstase

Porträt Jan Kummer hat als Sänger von AG Geige Elektropop in die DDR gebracht. Heute malt er gerne Hunde sowie Arbeiter. Und würde nie aus Chemnitz wegziehen
Ausgabe 45/2017
„Wir haben so getan, als wären wir in New York“
„Wir haben so getan, als wären wir in New York“

Foto: Stephan Floss für der Freitag

Es ist einer der letzten Tage im Oktober. Als wir uns von Dresden auf den Weg nach Chemnitz machen, verfallen wir schnell in den westsächsischen Dialektsingsang. Auch der Fotograf der Geschichte kann von dieser Stadt nicht auf Hochdeutsch sprechen. Chemnitz ist noch verschlafen an diesem Oktobermorgen. Eine junge Mutter mit Pink im Haar schiebt ihren Buggy mit Kleinkind über den Vorplatz der Chemnitzer Kunstsammlungen. Jan Kummer hat diesen Ort für das Treffen vorgeschlagen, er möchte uns durch seine Ausstellung führen, Ohnmacht & Ekstase.

Jan Kummer erscheint pünktlich am Hintereingang und winkt uns durch die Glasscheibe. Er muss erst noch zu Ende rauchen. Er steht im dunklen Anorak im nasskalten Oktoberwetter. Er trägt eine große Hornbrille. Als er das Haus betritt, schütteln ihm manche Mitarbeiter die Hand, strahlen die Gesichter. Jan Kummer, 1965 in Weimar geboren, war Mitbegründer der DDR-Kultband AG Geige. Nach deren Auflösung kurz nach der Wende musste sich Kummer umorientieren, er wurde Plattenhändler und eröffnete dann seinen eigenen Club. Der 52-Jährige führt durch die Ausstellung, in der Arbeiten aus den Jahren 2002 bis 2017 gezeigt werden. Aus dem Experimental-Musiker von früher ist ein bildender Künstler geworden: Kummer nutzt die Technik der Eglomisierung, die Hinterglasmalerei. Sie reicht bis in die späte Antike zurück: Es wird mit kräftigen, undurchsichtigen Farben gearbeitet. Verschiedene Mal- und Papierschichten werden hinter Glas collagiert.

Trauriges Essen aus der Dose

Arbeiter sind eines der auffällig häufigen Bildsujets. Sie tragen auf Kummers Werken Kittel und Schürzen und gehen konzentriert ihrer Tätigkeit nach. Man muss unweigerlich an sozialistische Kunst denken. Nur fehlt diesen Bildern das überhöhende Pathos; niemand soll hier eine bessere Gesellschaft schaffen, nur schrauben. Kummer betrachtet seine Werke, fast väterlich blickt er auf das Arbeitersubjekt. In einem anderen Raum zeigt er das Bild Kameraden, man sieht einen Arbeiter am Werktisch mit Roboter. Die Vergesellschaftung von Mensch und Maschine, sie funktioniert hier ganz wunderbar. Vor einer Mondlandschaft tanzen dicke weiße Punkte wie White-Noise-Schneeflocken. Der Roboterfreund wirkt wie eine Mischung aus Bender, dem Roboter aus der Zeichentrickserie Futurama, und einem Schneemann. Jan Kummer malt auch trauriges Essen aus der Dose. Erbsen, immer wieder Erbsen, lieblos neben Würstchen auf den Teller geklatscht: Die Küche des einfachen Mannes soll das wohl sein, aber man speist auf feinem weißen Tischtuch, wie in den alten Mitropa-Gaststätten. „Hauptsache, eine weiße Tischdecke unter dem miesen Essen“, so erklärt es Kummer. Er sucht das Absurde im Alltäglichen. Seine Malerei steht in der ostdeutschen Tradition, die gerade nicht auf Abstraktion setzte. Die Menschen in seinem Werk sind im comichaften Stil gemalt, ihre leicht fahle Haut- und Kleiderfarbe ist von schwarzen Linien umrissen.

Ein Streuner zwischen den Linien

Zwischen 1981 und 1991 arbeitete Jan Kummer unter anderem für das Fernsehen der DDR und durchlief eine Schreinerlehre für Kulissenbau und Dekoration. In dieser Zeit begann seine Beschäftigung mit Musik und Malerei. Kummer, 1965 in Weimar geboren, belegte in den 1980ern Abendkurse der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg, ist ansonsten jedoch künst-lerischer Autodidakt. Der Kunstprofessor Rainer Beck bezeichnete ihn als „Streuner zwischen den Linien“, weil er sich nicht nahtlos in den klassischen Kunstbetrieb einfügt und ein Grenzgänger zwischen den darstellenden und bildenden Künsten ist.

Die Sozialisation in der DDR und seine Erfahrungen der Wendejahre sind wichtiger Gegenstand seiner Kunst. Zentraler Bezugspunkt seiner Arbeiten sind dabei seine eigene Lebenswirklichkeit sowie Alltag und Arbeitswelt, die er mit einem humorvollen Blick thematisiert. Bekannt wurde er als Mitbegründer des legendären DDR-Künstlerkollektivs „AG Geige“, das elektronische Musik und Performance auf der Bühne zusammenführte und dessen Texte sich auf den Dadaismus des frühen 20. Jahrhunderts beziehen. Die Band löste sich trotz Plattenvertrags 1993 auf. Heute betreibt Kummer den Musikclub Atomino und seine Kunst. Aus seiner Ehe mit Ina Kummer, ebenfalls Gründungsmitglied von AG Geige, stammen die Söhne Till und Felix, die mit ihrer Band Kraftklub Hallen füllen Auch Kummers Töchter Nina und Lotta Kummer sind Musikerinnen und touren mit ihrer Band Blond.

Die Erbsendosen sieht er als Referenz an Andy Warhol und seine Heinz-Dosen. Dabei wirken sie bei Kummer mehrdeutiger, auch wegen der Etikette mit pseudokyrillischen Schriftzeichen darauf. Der große sowjetische Bruder isst mit? „Das waren eben doch die großen Meister. Eine Mangelwirtschaft, die Kochbücher rausbringt.“Ein Bild aus dem Jahr 2002 heißt Fernweh, auf einem anderen Gemälde, Hundestaffel, versammeln sich zahlreiche Hunde, in deren Zentrum ein gehässiges kleines Biest hockt, kein echter Terrier, aber von ihm inspiriert; bissig, wie ein kleiner Teufel. Das Böse inmitten des treu-doofen Schoß- und Jagdgetiers: Ein so abgründiges wie schönes Sinnbild. Hier könnte man den Künstler Jan Kummer in Szene setzen, findet der Fotograf, engagiert zwei Museumsmitarbeiterinnen, die sollen Leuchtstäbe gegen Kummers Gesicht recken. Wie Fackelträgerinnen in griechischer Bauplastik: Kummer guckt gequält.

Wir sind in einem Museum in Sachsen, da muss Jan Kummer über den deutsch-deutschen Bilderstreit reden. Und über die Frage, ob und wie bis heute Kunst von DDR-Künstlern in den ostdeutschen Museen gezeigt wird. „Sollte fortan ein Tourist durch die einst der ostdeutschen Kunst vorbehaltenen Räume flanieren, könnte er auf die Idee verfallen, dass es die DDR nie gegeben habe“, kritisierte der Kunstwissenschaftler Paul Kaiser im September in der Sächsischen Zeitung. Man kann das auch bei der Schau Geniale Dilletanten im Albertinum, die sich der avantgardistischen Musikszene der 1980er zwischen Punk-Attitüde und Performancekunst vor allem auch in Ostdeutschland widmet, erleben. Dort werden nur die großen Namen ostdeutscher Kunst gezeigt: Gerhard Richter, Neo Rauch und A. R. Penck. In der öffentlichen Wahrnehmung von DDR-Kunst gebe es ohnehin nur zwei Künstlertypen, sagt Jan Kummer: den Dissidenten, der am besten „in Bautzen eingesessen“ hatte, oder den Systemkünstler. Schwarz oder weiß, ohne Grauzonen. Aber das habe wenig mit dem Selbstverständnis der meisten DDR-Künstler zu tun. Kummer muss es wissen, er war Teil dieser Szene. Viele DDR-Künstler lebten eher bewusst am System vorbei, so wie Jan Kummer und seine Freunde. „Wir haben die DDR einfach ignoriert, was die Kunst betraf. Wir haben so getan, als wären wir in New York, haben die Vorhänge zugezogen und völlig unabhängig vom System gearbeitet.“ In seiner Band AG Geige, die sich 1986 im damaligen Karl-Marx-Stadt gegründet hat, ließ sich das Potenzial dieser Herangehensweise bestaunen: Elektronische Musik kombiniert mit einer dadaistischen Bühnenshow. Das verwirrte, und wurde populär. Aber wie kam der Dada in die Musik? „Das war im Grunde eine Lebenseinstellung. Man lebt in einer unglaublich hässlichen Stadt mit Neubaugebieten, da pfeift der Wind durch, und wir fanden das alles eben schräg, diesen ‚blühenden Sozialismus‘.“ Steckt in dem Rückgriff auf Dada als künstlerisches Mittel nicht auch eine Verbindung zur Weimarer Republik, zwei todgeweihte Systeme? „Ist schwierig zu vergleichen! Das Weimarer System war trotzdem noch an kapitalistische Prinzipien geknüpft. Auch der ärmste Künstler musste irgendwie gucken, dass er seine warme Suppe kriegt“, sagt Kummer. „Das war das Bemerkenswerte an der DDR: Geld spielte keine Rolle. Zu vergleichen wäre das Morbide, das Zusammenrutschende. Gegen Ende der DDR brach ja wirklich alles zusammen, das war ein Elend ohne Ende.“

Jan Kummer trauert dem Land nicht nach („Das war von Anfang an fantastisch, dass dieser Spießerstaat zugrunde ging.“). Für ihn sei die Zeit nach dem Mauerfall eine Möglichkeit gewesen, sich auf neue Wagnisse einzulassen. Er konnte durch Westeuropa touren, noch eine Weile vom AG-Geige-Untergrund-Ruhm zehren.

Dann aber kamen für ihn und die Band lauter praktische Probleme. „Mühevoll aufgebaute künstlerische Netzwerke wurden von einem Tag auf den anderen gekappt, weil’s die Zeitung nicht mehr gab, das Radio nicht mehr gibt, die Galerien nicht mehr gab.“ Im Grunde ziehe sich der Wiederaufbau von Netzwerken bis ins Jetzt.

Die Band AG Geige löste sich trotz Plattenvertrag kurz nach der Wende auf. Man hatte künstlerisch-musikalischnichts mehr zu sagen. Jan Kummer, der sich nach einer Phase der Suche der bildenden Kunst zuwandte, musste das auch gar nicht mehr. Seine Söhne Felix und Till Kummer haben später mit ihrer Band Kraftklub ihren Herkunftsort, die ehemalige Karl-Marx-Stadt, gefeiert. Ich will nicht nach Berlin heißt eines der bekannten Lieder von 2012, der Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der „Provinz“ gegenüber der Großstadt. Es geht um Stolz, um Herkunft, Identität. Auch Kummers Töchter Nina und Lotta sind in einer Indie-Pop-Band. Jan Kummer hat in seinem Leben in gewisser Weise mehr Musik produziert als der VEB Deutsche Schallplatten.

Sein Musikclub „Atomino“ liegt zentral in der Chemnitzer Innenstadt, es war der Ort, an dem junge Bands experimentierten. Der Club wirkt von außen ganz unscheinbar. Über der Treppe, die hinunter zum eigentlichen Innenraum führt, hängen Gemälde der Bürgermeisterin und ihres Vorgängers an den kahlen Wänden; ihre Porträts leuchten vor goldgrundierter Gloriole. Kummer hat eine ganze Serie mit Bildnissen des ehemaligen Bürgermeisters von Chemnitz gemalt. Vielleicht steht nichts sinnbildlicher für seinen Humor: einen Politiker als Heiligen inklusive einer Heiligenvita zu malen, und sein Antlitz auf Sammeltassen zu drucken. Chemnitz war lange eine vergessene Stadt, ein Nicht-Ort irgendwie, so sehen es zumindest Leute, die nicht aus Chemnitz kommen.

Tausendfach zogen die Leute weg nach der Wende. Man redete über Leipzig oder Dresden, nicht über Chemnitz. Wie lebt es sich heute dort? Er finde seine Stadt schön offen, erzählt Jan Kummer. „Es ist noch längst nicht raus, wohin es geht. Das mag ich an Chemnitz. Das hat zum Teil so chinesische Züge, wo eben irgendwelche Häuser gebaut werden, die dann aber auch ohne großes Federlesen wieder abgerissen werden.“ Vielleicht erklärt die allgemeine Gelassenheit der Chemnitzer auch, warum kein Pegida-Ableger in der Stadt Fuß fassen konnte: „Am gefährlichsten ist immer der Spießbürger. Und Chemnitz ist eine Prolo-Stadt, ist sie schon immer gewesen. Chemnitz wurde ja monströs zerstört, aber es gab niemanden, der da gejammert hätte, wie man das immer so von Dresden kennt“, sagt er und lächelt. Trotzdem wurde die AfD auch hier bei den Bundestagswahlen zweitstärkste Kraft nach der CDU. Jan Kummer sieht auch dieses Ergebnis mit Humor. „Wenn man in einer Diktatur groß geworden ist, schreckt einen sowieso nichts.“ Außerdem sei das starke AfD-Wahlergebnis auch mit der „Schlafmützenregierung“ der CDU zu erklären. Da ist sie wieder, die Chemnitzer Gelassenheit.

Kaffee, Qualm und Pantoffeln

Weiter zu Jan Kummers Wohnung. Der Künstler residiert in einer alten Strumpfveredelungsfabrik, deren roter Klinkerbau aus den Nachwendeflachbauten herausragt. Hier hat Kummer auch sein Atelier. Die Wohnung wirkt wie ein Industrieloft mit Altbauflair. An den Wänden hängen Kunstwerke, Kindergemälde und ein Wildschweinkopf (nicht echt). Kummer führt dann in sein Atelier, das vollgestopft ist mit Materialien und Yogamatten. Seine Frau Beate gibt hier Yogakurse. Der Fotograf will jetzt unbedingt noch ein Bild.

Jan Kummer hält den Kopf nicht ganz gerade, das bemerkt auch seine Frau, die am Küchentisch sitzt: „Dein Kopf ist auf Bildern immer so schief.“ „Ja, warum sagst du denn dann nichts, Beate?“, stöhnt er. Es ist fast eine Loriot-Szene. Jan Kummer soll im Atelier noch eine Zigarette rauchen. „Aber gerne doch!“ Noch ein paar Bilder mit Kaffeepott, Qualm und Pantoffeln: Es sind die typischen Insignien des Künstlers. Der etablierte Jan-Kummer-Topos, er steht ihm immer noch irgendwie gut.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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