Hat man da etwa einen hörbaren Seufzer der Erleichterung vernommen? Sicher nicht bei Harvey Weinstein, der gerade von einer New Yorker Jury der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung für schuldig befunden wurde. Womöglich aber in der restlichen Filmbranche. Wie das?
Weinsteins Fall war und ist mehr als ein Einzelfall. Hier wurde nicht nur über die sexuellen Übergriffe eines Mannes befunden, sondern über ein System, das Gefallen für die „Ehre“ einfordert, von einem Produzenten „erwählt“ zu werden. Schauspielerische Leistung allein, die genügt nicht.
Wer die Wahl hat, hat die Macht. Hegt jemand ernsthaft Zweifel daran, dass das System Weinstein (an dieser Stelle ließen sich vermutlich auch andere Produzentennamen einsetzen), die sprichwörtliche Besetzungscouch, weiterexistiert? Gerade für dieses System ist das Urteil ein Segen, denn es hat endlich seinen Sündenbock gefunden. Was nicht heißt, dass Weinstein ein Unschuldslamm gewesen wäre. Aber es könnte die Hoffnung nähren, endlich einen Schlussstrich unter das von vielen als unsäglich empfundene Kapitel „Metoo“ zu ziehen. Das Damoklesschwert, so paradox es klingt, es schwebt dank des Urteils nicht mehr über den Köpfen der Mächtigen. Das ist fatal.
Denn noch immer liest man in zahllosen Kommentaren, dass die Schauspielerinnen die Wahl gehabt hätten – muss man denn Hollywoodstar werden? Man könne doch einen anständigen Beruf ergreifen! Diese Aussagen rechtfertigen nicht nur geschlechterungerechte Machtverhältnisse und deren Missbrauch. Sie behaupten Handlungsmacht der Opfer, während sie Tätern bescheinigen, quasi machtlos und unbewusst die Möglichkeiten des Systems genutzt zu haben.
Immerhin: Für die meisten Vergewaltigungsprozesse gilt, dass es zu keiner Verurteilung kommt. Eindeutige physische Beweise erfordern ein brutales Vorgehen, ein psychischer Zwang hinterlässt keine blauen Flecken. Am Ende steht Aussage gegen Aussage. Im Falle Weinstein sind es allerdings viele Aussagen.
Er, der zuletzt auf eine Gehhilfe gestützt den Gerichtssaal betrat, hatte nichts mehr zu tun mit dem Mann, der breitschultrig und dickbäuchig viel Raum beanspruchte. Doch noch immer ist von ihm als „Mogul“ die Rede. Als Herrscher also.
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