Die ewige Wiederkehr des Gleichen

Palmyra Im Zusammenhang mit Palmyra spricht die Welt vor allem von Kulturgütern. Aber Palmyra wirft auch ein Schlaglicht auf Assads Machtstrategien. Die werden sich noch rächen

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Palmyra: Dunkle Wolken ziehen auf
Palmyra: Dunkle Wolken ziehen auf

Bild: JOSEPH EID/AFP/Getty Images

Palmyra. Ein seltsamer Zufall scheint Zeugnisse von 6000 Jahren Menschheitsgeschichte ausgerechnet auf diesem Fleckchen Erde versammelt zu haben. Nicht nur wenn es um Altertümer geht, ist Palmyra ein geschichtsträchtiger Ort. Die Weltgemeinschaft hat verdrängt, dass Palmyra schon einmal in jüngerer Geschichte zum Schauplatz von Gewalt und Rache wurde. Genauer: im Jahr 1980.

Damals entkam Hafez al-Assad, der Vater des heutigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad, nur knapp einem Attentat durch Muslimbrüder. Sein Bruder, Rifaat al-Assad, führte daraufhin seine Verteidigungsbrigade in das Gefangenenlager von Tadmur/Palmyra, wo man hunderte, zuvor inhaftierte Muslimbrüder tötete. Es war der Auftakt zu Assads Vergeltung.

In Hama wurde zwei Jahre später die Zivilbevölkerung Opfer von Granatenangriffen und erneuten gezielten Massakern durch Rifaat al-Assads Truppen, nachdem sich Muslimbrüder in der Stadt zum Kampf erhoben hatten. Assad statuierte ein Exempel, nicht nur gegen die Muslimbrüder. Jedem Teil der Zivilbevölkerung sollte deutlich gemacht werden, dass die Verbrüderung mit den Feinden des Assad-Regimes Folgen haben würde.

Die Massaker wurden in Syrien offiziell nie thematisiert. Die Angst vor der Vergeltung durch das Regime hing über der Bevölkerung und lähmte jeden politischen Widerstand. Zudem profitierte das Assad-Regime von dem Desinteresse der Weltöffentlichkeit, die blind sein wollte.

Weil das Assad-Regime, unbeachtet von der Weltgemeinschaft, offen gegen ganze Städte vorgehen konnte, schien es nicht einmal eine Marionetten-Opposition installieren zu müssen, um die Bevölkerung ruhig zu stellen. Hama bestärkte Assad in dem Glauben, Gewalt werde Aufständische dauerhaft unterdrücken können.

Tod der Opposition

Palmyra und Hama – diese beiden Namen stehen synonym für den Grund, warum die Muslimbrüder in Syrien nie eine entscheidende machtpolitische Position innehatten, anders als in Ägypten. Zwar wurden die Muslimbrüder in Ägypten mehrmals verboten – u.a. 1954 nach ihrem missglückten Attentat auf Machthaber Gamal Abdel-Nasser. Aber ein radikaler Wandel in ihrer politischen Strategie – weg von Anschlägen hin zu sozialem Engagement - sicherte das Fortbestehen der Organisation und ihren politischen Einfluss.

Die ägyptischen Machthaber Sadat und Mubarak hatten verstanden, dass man sich mit den Muslimbrüdern aus pragmatischen Gründen arrangieren konnte. Und so bildeten die Muslimbrüder in Ägypten eine Art Ventil für die Unzufriedenheit der Bevölkerung und verhinderten dadurch womöglich für lange Zeit eine Revolution, wie wir sie schließlich im Jahr 2011 erlebten.

Baschar al-Assad bedient sich im Kampf gegen die Aufständischen im eigenen Land der gleichen Methoden wie sein Vater und dessen Bruder, aber es gibt zwei wesentliche Veränderungen seit 1980: Da ist einerseits die Allgegenwärtigkeit der Medien – und zwar nicht nur der Fernsehsender, sondern vor allem der sozialen Medien. Die Echtzeitübertragung von Handybildern und Videos sorgte wesentlich dafür, dass die Weltöffentlichkeit und die internationalen Regierungschefs – ob sie nun wollten oder nicht – die Gewalt des Assad-Regimes nicht mehr ignorieren konnten.

Assad übersah aber einen noch wichtigeren Umstand: Das radikale Vorgehen der Machthaber in der arabischen Welt gegen die eigene Bevölkerung wie auch die Kriege der USA in der Region hatten eine zugleich gedemütigte wie zu allem entschlossene, leicht zu radikalisierende Jugend erzeugt. Leichte Beute für den IS.

Wer Wind sät...

Erst Assads gnadenloser Umgang mit seinen Feinden im Inneren öffnete den Terroristen des IS ein Einfallstor, das immer größer wurde, je unübersichtlicher die Lage im Bürgerkrieg wurde. Assads Versuch, seine Feinde im Kampf gegen seine Feinde einzusetzen, offenbart die Schwäche seines Systems der Gnadenlosigkeit, das nicht mehr zwischen äußeren Feinden und inneren Widersachern unterscheidet – unterscheiden kann. Und das ernsthaft versucht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

Der Journalist Daniel Gerlach vertritt die These, dass man von einer Form der Koexistenz von IS und Assad ausgehen müsse, und dass beide Seiten an einem Fortbestehen dieser Koexistenz interessiert seien. Dass Assad den IS zu instrumentalisieren sucht, scheint außer Frage zu stehen. Aber erinnert die Situation nicht fatal an die Unterstüzung al-Qaidas durch die USA im Rahmen der Afghanistan-Invasion Russlands? Der Feind meines Feindes kann schon morgen mein größter Feind sein. Vielleicht besteht die "Koexistenz" längst nur noch aufgrund der Gnade des IS.

Die ewige Wiederkehr

Geschichte wiederholt sich – bisweilen mit verkehrten Vorzeichen. Und sie holt die Menschen ein, die Geschichte machen und bestimmen.

Wenn der IS heute am Ort der maximalen Niederlage der Muslimbrüder gegen das Assad-Regime siegreich ist, dann ist es ein Signal in mindestens drei Richtungen: Ein Signal an Assad, dass er es in Form des IS mit einer weit radikaleren und vor allem grausameren Bewegung zu tun hat, als es die Muslimbrüder je waren. Die IS-Führung erreichte sowohl auf militärischem als auch (und vor allem) auf propagandistischem Gebiet Erfolge, die mittlerweile sogar al-Qaida in den Schatten stellen.

Es ist ein Signal in Richtung der Araber, dass keine sanften Revolutionen die Machthaber und Despoten der arabischen Welt zu stürzen vermögen, sondern nur ein Schluck von ihrer eigenen grausamen Medizin. Eine zynische Botschaft, aber zugleich eine, die verfangen könnte, angesichts der Folgen der Revolutionen in Tunesien, Libyen und Ägypten.

Es ist aber auch ein Signal an die Muslimbrüder: Nicht Muslimbrüder verwirklichten den Traum vom arabisch-islamistischen Kalifat, sondern der IS. Nicht die Suche nach Nähe zu Machthabern führte für den IS zur Macht, sondern entfesselte Gewalt, die selbst die Gewaltbereitschafts al-Qaidas übersteigt (hierzu ein prägnantes Interview mit Jürgen Todenhöfer).

Und diese Botschaft erreicht die Muslimbrüder ausgerechnet in jenen Tagen, in denen der erste Präsident aus den Reihen der Muslimbrüder, Mohammed Mursi, in Ägypten zum Tode verurteilt wurde. Dieses Todesurteil kann wiederum nur als deutliches Signal an islamistische Bewegungen gedeutet werden. In Ägypten und anderswo. Heute oder morgen.

Geschichte wiederholt sich.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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