Auch Teenagerinnen haben sexuelle Bedürfnisse

Erziehung und Feminismus Jungs denken nur an „das eine“? Mädchen auch, weiß unsere Kolumnistin. Väter denken daran aber überhaupt nicht gern
Ausgabe 23/2022

Neulich trafen mein Partner und ich ein befreundetes Elternpaar, das wie wir ein Kleinkind hat. Das Kind der Freunde ist ein Mädchen, wir dagegen sind Eltern eines Jungen. Im Verlauf des Gesprächs kamen wir auf die Teenagerjahre zu sprechen. Der befreundete Vater machte eine scherzhafte Bemerkung darüber, wie er zukünftige Freunde seiner Tochter genauestens unter die Lupe nehmen werde. Damit adressierte er etwas, das ich schon immer ärgerlich fand: Väter, die den Körper der Tochter als schützenswertes Territorium begreifen. Sie wissen schon, die Art von Vater, die den neuen Freund der Tochter einer hochnotpeinlichen, quasi-inquisitorischen Befragung unterzieht, die dem Jungen Verführungswünsche andichtet. Die beiden Väter waren sich einig, dass ein Teenager-Junge nur das eine wolle, weswegen Vorsicht geboten sei. Woraufhin ich bemerkte, dass auch Teenagerinnen nur an „das eine“ denken.

Das Lachen der Männer blieb ihnen im Halse stecken. Tatsächlich scheint es für viele Väter gar nicht so leicht zu verdauen zu sein, dass auch ihre Töchter sexuelle Bedürfnisse haben und keineswegs Unschuldslämmer sind, die erst durch den schädlichen Einfluss eines Jungen dazu verführt werden, zum Äußersten zu gehen (ganz davon abgesehen, dass die Konversation zwangsläufig davon ausging, dass die Töchter nur heterosexuelles Begehren entwickeln können). Ich rede hier nicht von Lolita-Fantasien, die kleinen Mädchen unterstellen, sie wollten erwachsene Männer „verführen“. Ich halte es aber für ebenso entsetzlich, pubertierenden Mädchen sexuelle Regungen und körperliche Lust kurzerhand abzusprechen. Auch deswegen ist die Rede von der „Frühsexualisierung“ fatal: Jeder Mensch ist von Geburt an ein sexuelles Wesen. Verwerflich ist nur die Instrumentalisierung kindlicher Körper für die sexuellen Interessen Erwachsener.

Das Thema wird etwa in den USA verhandelt, wenn Schülerinnen von Lehrern nach Hause geschickt werden, weil sie zu aufreizend gekleidet seien. Die typische feministische Reaktion lautet dann: Kleidung und Mädchen seien unschuldig, der männliche Blick sei das Problem. Obwohl es wahr ist, dass hier der Blick des anderen eine Rolle spielt, operiert die Aussage wiederum mit der Vorstellung, dass Teenagerinnen völlig unbedarft knappe oder sexy Kleidung tragen. Dass sie also Hotpants oder bauchfreie Tops der Praktikabilität halber tragen. Das blendet aus, dass diese Mädchen Gefallen an ihrem Körper finden, ihn zeigen wollen und womöglich den Blick der anderen auf ihrem Körper spüren möchten. Das ist das Ambivalente der sexuellen Entwicklung junger Frauen: Sie werden sozialisiert mit der Vorstellung, dass der weibliche Körper sich ausstellen soll, begehrenswert sein muss, sich aber niemandem hingeben darf, um nicht als „schlampenhaft“ zu gelten. Insofern ist auch das Spiel einer Pubertierenden mit Dresscodes oder körperlicher Zurschaustellung immer schon ambivalent.

Als Mütter zweier Söhne wiederum ärgert es mich, wenn Teenager-Jungs kurzerhand auf „das eine“ reduziert werden, ganz so, als bewegten nicht auch sie sich in der ambivalenten Kultur, die eine Vielzahl von Sexualkontakten als Ausdruck von Männlichkeit par excellence wertet und sie obendrein mit hardcorepornografischen Bildern flutet. Als sei nicht auch ihre Sexualität und der Drang, sie zu erforschen, natürlich und normal. Stellt man das Zwanghafte daran heraus, pathologisiert man ein normales Begehren. Zugleich liefert man eine Entschuldigung für erwachsene Männer, die sich bei sexuellem Fehlverhalten jederzeit darauf berufen können, „nur“ Männer zu sein. Dabei sind wir alle doch gleich einfach gestrickt.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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