Die Zufriedenheit der Grünen

Wahlkampf Zieht in den Kampf und nutzt die Salatschleuder, statt in schwarz-grün-trüben Gewässern blind zu fischen!
Ausgabe 33/2017
Back to the roots!
Back to the roots!

Foto: Duane Prokop/Getty Images

Relativ jung, weiblich und gebildet – ich bin eine typische Grünenwählerin, obwohl mir das Kreuzchen in den letzten Jahren immer mehr Kopfzerbrechen bereitet hat. Es gibt ja etwas im Verhältnis zwischen (potenziellem) Wähler und Partei: dieses Gefühl der Zufriedenheit mit dem, wofür sie steht. Und das ewige Schielen der Grünen auf die Mitte mit dem Anspruch, Umfrageergebnisse im hohen zweistelligen Bereich zu erzielen, ist mir zuwider. Das war nicht immer so: Mit 14 verfolgte ich Grünen-Parteitage. Mit 17 wurde ich Mitglied der Grünen Jugend; meine Mitgliedschaft bestand vor allem aus dem Ordern von „Atomkraft? Nein danke!“-Stickern. Bitte lachen Sie jetzt nicht! Ich erinnere mich an Entscheidungsschlachten, Lagerwahlkämpfe und das Gefühl: Wenn Rot-Grün nicht gewinnt, steht’s wirklich schlecht um dieses Land. Am Ende kriegen wir noch eine schwarz-gelbe Koalition. Joschka Fischer bewahre! Die Grünen liegen gemäß aktuellen Umfragen nur noch bei acht Prozent. Gut so! Schließlich besteht der Sinn einer „kleinen“ Partei im Vergleich zu den Volksparteien doch darin, Ideen zu formulieren, die vielleicht nicht mehrheitsfähig sind, aber den empörungsbereiten Mainstream piesacken. Kaum ein Deutscher wollte 1998 fünf Mark für den Liter Benzin zahlen, aber die Frage, wie wir mit einem kostbaren und begrenzten Rohstoff, dessen Verbrennung fürs Klima katastrophale Folgen zeitigt, umgehen sollen, ist längst nicht obsolet. Die Fünf-Mark-Forderung „entlarvte“ die Grünen als weltfremd, was in diesem Falle hieß: mit einer Form von Realitätssinn begabt, die den so vernünftigen Realpolitikern der großen Parteien abging. Und heute: Nach jedem halbwegs vernünftigen Vorstoß, auf den die vor Empörung geifernde Social-Media-Öffentlichkeit mit Stuhlgangstürmen reagiert, wird die Partei verzagter. Dabei müsste auf die Empörung über einen Veggie-Day schon aus Prinzip die Forderung nach einem zweiten Veggie-Day pro Woche folgen. Wenn die „Liberalen“ uns weismachen, dass die Freiheit der Deutschen an der Zigeunerschnitzeltheke verteidigt wird, muss man mit der Salatschleuder kontern. Vielleicht würde eine neugewonnene Streitbereitschaft der Partei dabei helfen, ihr Wählerpotenzial auszuschöpfen, statt in schwarz-grün-trüben Gewässern blind zu fischen.

Übrigens: Die immerzu weltverbesserungswilligen und als solche verlachten Grünen sind in Wahrheit ziemlich glückliche Optimisten. Gemäß einer YouGov-Umfrage, die die Zeit ausgewertet hat, stimmten unterdurchschnittlich wenige Grünen-Wähler der Aussage „Dieses Land geht vor die Hunde“ zu. Überdurchschnittlich häufig kaufen Grüne dagegen Bücher. Na, wenn es da mal keinen Zusammenhang gibt! Besagte Umfrage widerlegt auch den Mythos der Besserverdienenden-Partei, quasi einer Art FDP mit umweltfreundlichem Anstrich: So liegt das Einkommen der Grünen-Wähler nicht über dem Durchschnitt anderer Wählergruppen. Für Biokatzenstreu und vegane Schnitzel kratzen sie dennoch ihr Geld zusammen. Unzufriedenheit erzeugt dagegen vor allem das Selbstbild der Grünen-Führung. Die scheint nicht recht zu wissen, ob man mit den Roten, Schwarzen oder gar exotischen Mischkoalitionen flirten soll. Vielleicht könnte die Partei in einem Strick-Workshop zur altbewährten Spaltung zwischen Fundis und Realos zurückfinden. Therapeutisches Stricken knüpfte nicht nur an altbewährte Traditionen an, sondern entspräche dann dem DIY-Kreativzeitgeist der – oh je! – Mitte.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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