Eine Frage der Potenz

Literatur Schwanger werden zu können, ist eine Fähigkeit, die die Hälfte der Menschheit nicht hat. Antje Schrupp durchdenkt die Konsequenzen
Ausgabe 36/2019
Dem Gouverneur ist nichts zu schwör
Dem Gouverneur ist nichts zu schwör

Foto: Imago Images

Neulich im Geburtsvorbereitungskurs sinnierten die werdenden Väter, ob es ihnen nicht zukünftig möglich sein könnte, Kinder auszutragen. Eine Gebärmutter könnte man doch transplantieren? „Aber wie kommt das Kind dann raus?“ Nun ja, ein Kaiserschnitt wäre immerhin eine Option. Es brauchte keine Gedankenleser, um die Gesichtsausdrücke der anwesenden Frauen zu deuten: Wollt ihr das tatsächlich? Schwangerwerdenkönnen?

Ein interessantes Gedankenspiel ist es auf jeden Fall: Was, wenn nicht mehr nur 50 Prozent der Menschheit Kinder gebären könnten? Was würde sich dann an der Betrachtung des Phänomens Schwangerschaft ändern? Solche und weitere Fragestellungen wirft auch Antje Schrupp in ihrem Essay Schwangerwerdenkönnen auf. Antje Schrupp studierte Politikwissenschaft, Theologie und Philosophie. Die promovierte Wissenschaftlerin, Journalistin und Bloggerin, die sich aus feministischer Perspektive intensiv mit aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten auseinandersetzt, beleuchtet in ihrem Essayband das scheinbar so banale Phänomen – schwanger wird man, oder eben nicht – in seinen vielfältigen sozialen und kulturellen Implikationen.

Es gibt Menschen, die schwanger werden können, und Menschen, die es nicht können. Diese beiden Gruppen sind nicht exakt identisch mit dem, was wir gemeinhin als Frau oder Mann bezeichnen. Nicht alle Frauen können schwanger werden. Auch Trans-Männer können schwanger werden. Und vielleicht gelingt es irgendwann auch Cis-Männern, einen Fötus zur vollen Reife auszutragen. Bis dahin aber bleibt eine binäre Ordnung bestehen, in der circa 97 Prozent aller Frauen immerhin über das Potenzial verfügen, ein Kind auszutragen.

Schwangerwerdenkönnen ist ein biologischer Fakt. Aus ihm aber leiten sich nicht zwingend die gesellschaftlichen Regeln und Normen ab, mit denen wir alltäglich als Mütter oder Väter konfrontiert werden. Schwangerwerdenkönnen hat Folgen für die Berufsbiografien von Frauen. Selbst eine Frau, die unter keinen Umständen Kinder kriegen kann oder will, wird implizit oder explizit in Bewerbungsgesprächen mit der Frage nach dem Kinderwunsch konfrontiert. Sie könnte potenziell zum Problemfall werden innerhalb einer Arbeitswelt, für die der Normarbeitnehmer noch immer männlich ist oder jedenfalls so gedacht wird.

Vor Kurzem veröffentlichte Die Zeit ein umfangreiches Dossier zu Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz. Fast alle Fallgeschichten besaßen ein Thema: Mit Bekanntwerden der Schwangerschaft wurden zugesagte Stellen plötzlich hinfällig. Nach Rückkehr aus der Elternzeit waren die befragten Frauen Schikanen ausgesetzt. Oft blieb nur der Gang zum Anwalt. Diese Ungerechtigkeiten haben nichts mit Schwangerwerdenkönnen per se zu tun, sondern mit den sozialen Rahmensetzungen. Das führt unmittelbar zur Frage: Wird die Schwangere als schwangerer Mensch diskriminiert, oder als Frau, die schwanger ist?

Schwangerwerdenkönnen führt uns zwangsläufig zur binären Geschlechterordnung, in der biologisches und soziales Geschlecht in eins fallen. Mit dem Ende der patriarchalen Ordnung, mit dem Aufbrechen heteronormativer Strukturen und der zunehmenden Akzeptanz von „Regenbogenfamilien“ wie auch homosexueller Eheschließungen stellt sich die gesellschaftliche Frage nach dem Schwangerwerdenkönnen auf ganz neue Art. Zugleich zeigt sich, dass auch hier die gesellschaftliche Debatte oft zu kurz greift. So wird oft von homosexueller Ehe und Elternschaft gesprochen, als mache es keinen Unterschied, ob zwei Männer oder zwei Frauen verpartnert sind. Im Falle einer lesbischen Beziehung aber haben wir es mit zwei Menschen zu tun, die potenziell schwanger werden können. Das hat Konsequenzen für unsere Vorstellungen von Mutterschaft, offenbart es doch beispielsweise die Differenz zwischen biologischer und sozialer Mutterschaft.

Mutterschaft, sagt Schrupp, beginnt de facto mit der Geburt des Kindes. Dann, wenn aus einem Organismus, der vollkommen abhängig ist von einem anderen Organismus, ein getrennter, lebensfähiger Körper wird. In der gängigen kulturellen Vorstellung aber beginnt Mutterschaft quasi mit der Zeugung eines Kindes. Deswegen liegt auf dem Schreibtisch vor mir ein „Mutterpass“, kein „Schwangerenpass“. Eine „echte“ und „gute“ Mutter ist man auch vor der Geburt des Kindes nur dann, wenn man alles für die gesunde Entwicklung des Kindes tut, Risiken vermeidet und selbstsüchtiges und potenziell schädliches Verhalten unterlässt. Der schwangere Körper scheint andere, eingeschränkte Subjektrechte zu genießen als der nicht schwangere. Das schwangere Ich ist nicht Herr im eigenen Hause, pardon, Herrin.

Hier nun eröffnet sich die philosophische Dimension des Schwangerwerdenkönnens, die in der westlichen Philosophiegeschichte, sehr männlich geprägt, wie sie ist, eigentlich nie zur Sprache kommt: So fehlt ein Bild davon, was Schwangerschaft fürs Menschsein bedeutet. Wie lässt sich der seltsame Zustand des Nicht-Eins-, aber auch Nicht-Zwei-Seins deuten? Schwangersein überfordert unser binäres Denken in Nullen und Einsen. Ein Embryo ist absolut und fundamental abhängig vom Körper einer Frau. Er ist nicht sie, aber er ist in sie eingebettet. Macht sie das aber zu einem passiven Gefäß?

Schrupp analysiert die Vorstellung, die vor allem bei Lebensschützern im Kontext des Themas Abtreibung so weit verbreitet ist: dass der mütterliche Körper als Gefäß für einen eigentlich schon kompletten menschlichen Organismus fungiert. Gemäß dieser Vorstellung ist Abtreibung Mord, denn der Embryo ist ein potenzielles, wenn auch noch nicht ganz reifes Subjekt. Dass diese Vorstellung unhaltbar ist, da ein Fötus vor der 23. Woche außerhalb des Mutterleibs nicht lebensfähig ist, zeigt aber, dass dem nicht so ist. Übrigens: Auch im Kompositum „Mutterleib“ offenbart sich die Vorstellung des Frauenkörpers als Fötusträger sowie der Mutterschaft ab Zeugung.

Jenseits von Mann und Frau

Umgekehrt wäre es naiv, zu behaupten, dass der Embryo so etwas wie ein Körperteil einer Frau sei. Auch das ist er nicht. Insofern greift der feministische Slogan „my body, my choice“ etwas zu kurz. Hier nun stoßen wir auf Probleme im feministischen Diskurs. Während der Kampf um reproduktive Rechte nach wie vor und in letzter Zeit sogar verstärkt geführt werden muss, wirkt das Schwangerwerdenkönnen selbst unterbeleuchtet. Stets scheint es mit der Gefahr der binären Festschreibung von Rollen- und Verhaltensmustern zu konfrontieren, letztlich zeigt es auch eine unüberwindbare biologische Differenz zwischen Mann und Frau auf, oder eben besser: zwischen Menschen, die schwanger werden können oder nicht. Diese biologische Differenz ist es ja, die über Jahrhunderte soziale Unterschiede begründen sollte.

TERFs, also transexklusive Feministinnen (fälschlicherweise als „transfeindlich“ deklariert), verhandeln Themen wie Schwangerschaft als exklusive Frauenthemen – weil sie politisch so weitreichende Implikationen haben. Das wird von queerfeministischer Seite oft als essenzialistisches Denken gedeutet. Immer wieder offenbart sich das in dem Satz „Auch Männer können schwanger werden!“. Schrupp löst den Konflikt auf, indem sie Schwangerwerdenkönnen als menschliches Potenzial versteht, über das nicht alle verfügen. Ihr Essay ist unbedingt lesenswert, weil er das fundamental menschliche Phänomen mit anderen Augen betrachtet. Und damit auch Anstöße für – nun ja – fruchtbare feministische Debatten liefert. Auf gutes Gedeihen!

Info

Schwangerwerdenkönnen. Essay über Körper, Geschlecht und Politik Antje Schrupp Ulrike Helmer Verlag 2019, 192 S., 17 €

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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