Eine Mutter sieht rosa

Gender Unsere Kolumnistin wundert sich, wie leicht sie mit einer Farbe Verwirrung unter ihren Mitmenschen stiften kann
Ausgabe 31/2019
„Er trägt ja rosa!“
„Er trägt ja rosa!“

Foto: Imago/Westend61

In letzter Zeit häufen sie sich, die quasi inquisitorischen Fragen nach dem Geschlecht meines ungeborenen Kindes. Es ist das erste und wichtigste Smalltalk-Thema. Warum Wildfremde ein Interesse an der Frage haben sollten, ob in mir ein Penis oder eine Vulva heranreift – ich weiß es beim besten Willen nicht!

Der Tag der offiziellen Ausrufung des Geschlechts, dieser bedeutungsträchtigste Moment im Leben, der nicht einfach nur feststellt, sondern eine ganze Reihe von Erwartungen an ein Kind formuliert („Du bist ein Junge, sei ein Junge!“), er liegt noch in der Zukunft. Aber schon müssen Vorbereitungen getroffen werden, die auf die ein oder andere Art nach Geschlechterwissen verlangen, meinen unsere Freunde: „Wie wollt ihr denn jetzt das Kinderzimmer streichen?“ Na ja, auf jeden Fall nicht pink.

Auffällig ist, dass mit wachsender Offenheit der Diskussion über Genderrollen und nicht-binäre Geschlechterordnung die Rosa-Blau-Fokussierung bei Babykleidung und Zimmereinrichtung nur wächst. Wie immer sind uns die angelsächsischen Länder um Meilen voraus: Aus England kenne ich Shops, in denen identische Babykleidung in Rosa und Blau angeboten wird. Die Läden, das ist der Clou, verfügen über eine Trennwand und zwei Eingänge, die zur Wahl zwingen: Yea Or Nay? Ein Geschlechterhammelsprung. Wählen Sie Rosa oder Blau, es gibt nichts dazwischen.

In den USA wiederum erfreuen sich Gender-Reveal-Partys großer Beliebtheit. Das Geschlecht des Kindes wird durch das Öffnen einer Box verkündet. Mal entsteigen der Geschlechter-Blackbox Luftballons, mal Rauch. Habemus papam, nicht ganz, aber fast.

Ich wiederum versuche, neutrale Babykleidung zu kaufen, und bemerke dabei, dass „neutral“ für die unterschiedlichen Geschlechter nicht dasselbe bedeutet. Ein Mädchen in einer blauen Hose? Kein Problem, ist doch neutral. Aber ein Junge in Rosa? Das will nicht passen. Ich erinnere mich lebhaft an eine ältere Dame, die in den Kinderwagen mit meinem erstgeborenen Sohn blickte und sich sichtlich über „das süße Mädchen“ freute.

„Es ist ein Junge“, stellte ich fest.

„Sie trägt ja Rosa!“

„Es ist ein Junge“, wiederholte ich.

„Es trägt Rosa“, gab die Frau mit finsterem Blick zurück. Aus einem mir unerfindlichen Grunde wirkte sie wütend.

Da hilft es nichts, zu beteuern, dass ein Junge durch die Farbe, die obendrein einst die Prinzenfarbe in Königshäusern war, gewiss in seiner Entwicklung nicht beeinträchtigt wird.

Wenn das Rosa am Jungen enerviert, dann nicht nur, weil es die Eindeutigkeit einer Geschlechterzuordnung in Frage stellt. Beinahe scheint es so, als könnte das, was man mit Weiblichkeit identifiziert, die Männlichkeit des Säuglings kontaminieren. Rosa ist da nur ein Symbol. Vermeintlich weibliches Verhalten – wie das Weinen – gehört ebenso dazu wie das Interesse für Spielsachen, die soziale Rollenmuster jenseits von männlicher Härte illustrieren.

Da fällt mir eine hübsche Anekdote ein, die mir ein Psychoanalytiker erzählte. Sein kleiner Enkelsohn habe einmal ein Geldstück in den Lüftungsschlitz des Autos gesteckt. „Jungen und Mädchen unterscheiden sich eben doch, der alte Freud hätte sich gefreut!“, lachte der Analytiker.

Ein harmloses Steckspiel als Beweis für den Trieb des Knaben, sein Ding irgendwo hineinzustecken, als quasi-sexuelles Vor-Spiel? Hm, ich habe da ja meine Zweifel. Eher ist seine Geschichte ein schönes Beispiel für die Lust, noch jede kindliche Verhaltensweise entlang der Geschlechtersegregationslinien zu deuten. Ein Junge ist, wer Jungenhaftes tut. Und um Gottes willen kein Rosa trägt.

Nur für kurze Zeit!

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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