Frau rettet die Welt

Gesellschaftsfantasie Vom Fantasy-Film bis zur ganz realen Finanzmarktkrise: Frauen sollen die Welt retten. Über die Sehnsucht nach dem besseren Menschen

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Vielleicht haben wir uns schon zu sehr daran gewöhnt, neu erschienene Filme mit weiblichen Hauptfiguren auf ihr emanzipatorisches Potenzial „abzuklopfen“. Ebenso sehr hat sich die Kritik an eben jener Methode eingebürgert: Man müsse einen Film als Film betrachten, und nicht als cineastisches Gender Mainstreaming. Aber nirgendwo werden die Politiken des Körpers und des Geschlechts deutlicher als auf der Leinwand Hollywoods. Allein die Frage nach dem emanzipatorischen Potenzial eines Films ist daher Ausdruck einer Sehnsucht: dass das Massenmedium Film, jene mächtige Mythenmaschine, neue Bilder von Weiblichkeit kreieren möge.

Neulich schaute ich, ohne große cineastische Erwartungen, den letzten Teil der „Tribute von Panem“-Reihe: Mockingjay Teil 2. Nach kurzer Zeit fiel mir auf, dass etwas anders war. Was denn? Frauen. Frauen! Dieser Film ist voll von Frauen, von jungen und alten Frauen, hell- und dunkelhäutigen Frauen. Von Soldatinnen, Kommandeurinnen und Offizierinnen. Politikerinnen. Kämpferinnen. Heldinnen. Fast alle Hauptfiguren sind, tatsächlich, weiblich. Und der Umstand, dass mir das auffiel als etwas Ungesehenes ist doch bemerkenswert. Denn ich saß ganz bestimmt noch nie in einem Streifen wie Mission Impossible oder Star Trek und dachte bei mir: „Wahnsinn! So viele männliche Helden!“

Aber die Verwunderung reichte noch weiter. Dieser Film würde ja nicht nur jederzeit den Bechdel-Test bestehen – für den mindestens zwei Frauen ein Gespräch miteinander führen müssen, das nicht um Männer kreist. Dieser Film besteht einen Bechdel-Test hoch 10.

Das ist umso bemerkenswerter, da die Zielgruppe der Buch- und Filmreihe eher weiblich ist. Mit anderen Worten: Hier sehen mehr oder weniger junge Frauen eine Imagination der Welt, in der Frauen das Geschehen dominieren. Wobei dieser Film die Zielgruppe durchaus vor den Kopf stößt: Er verwandelt sich in einen Film, dessen Optik zunächst an Kriegsvideospiele und -filme erinnert. Mit den auftauchenden Mutanten übertritt der Film die Genregrenze zum Horror-Actionfilm. Allesamt dem Klischee nach keine sonderlich „weiblichen“ Genres.

Eine dystopische Horror-Action-Romanze mit beinahe ausschließlich weiblichen Helden – das wäre für sich genommen spektakulär genug. Aber meine Verzückung reichte noch weiter: Die auftretenden Heldinnen bilden den Kern der „neuen“ Weiblichkeit Hollywoods, einfach deshalb, weil Jennifer Lawrence es wagt, die Geschlechter-Ungerechtigkeiten des Systems Hollywood anzusprechen und sich weigert, für Rollen abzunehmen. Aber auch „Game of Thrones“-Darstellerin Gwendoline Christie alias Commander Lyme in Mockingjay konterkariert durch ihre körperliche Größe Bilder klassischer, fragiler Weiblichkeit. In normalen Maßstäben gemessen sind Lawrence oder Christie immer noch recht uniforme Repräsentationen von Weiblichkeit, alle fraglos körperlich attraktiv. Aber selbst diese scheinbar so kleinen Abweichungen vom Hollywood-Standard tragen doch eine Botschaft in die Welt.

Noch bemerkenswerter – und das durchaus im Widerspruch zu dem Filmplakat: Katniss tritt nicht in ihrem engen Cat-Suite auf, der sie als Bogenschützerin ikonografisch irgendwo zwischen Lara Croft und Tauriel aus dem „Hobbit“ verortet. Katniss und die anderen Frauen tragen Uniformen, die echte Uniformen sind und ihre Körper weitestgehend verschwinden lassen. Sie tragen schwere Boots, Armeehosen und dicke Westen. Das sind nicht die sexy Star Trek-Uniformen oder hautengen Prinzessin Leya-Outfits, die wir aus Filmen und Serien kennen.

Bei all der Freude über diese Bilder von Weiblichkeit überkommt mich im Kino aber rasch eine Sorge: Katniss beginnt ihre Heldenreise aus Liebe zu ihrer Schwester, die sie vor den tödlichen Hungerspielen bewahrt; Katniss gewinnt die Spiele wegen der Liebe zu Peeta. Wird Katniss mit dem Programm der Liebe auch ihre Welt retten müssen? Mir graust es bei der Vorstellung, der Film könnte ein Szenario durchspielen, bei dem die ach so weibliche Tugend „Liebe“ die Welt rettet.

Spoiler-Alarm: Frau rettet nicht die Welt

Weibliche Tugenden als Rettungsanker: Das ist ein vertrautes Denkmodell auch der ganz realen Welt, nicht nur seit der Finanzmarktkrise. Schon diese hatte ja den Forderungen nach Quoten für weibliche Führungskräfte neuen Auftrieb gegeben. Sogar ein EU-Kommissionspapier zu weiblichen Führungskräften stellt 2010 die Frage, ob die Finanzkrise „männlich“ sei. Und beantwortet sogleich die rhetorische Frage, indem es aufzeigt, dass alle Führungskräfte der von der Krise betroffenen Banken männlich sind. Daraus folgt quasi zwangsläufig die Forderung nach mehr weiblichen Führungskräften, denn, so die Hoffnung: Frauen retten die (Finanz-)Welt.

Aber die realen, professionellen politischen Akteurinnen – von Lagarde bis Clinton – scheinen überhaupt nicht zu halten, was sie versprechen. Juliane Moore, die Präsidentin Alma Coin in Mockingjay spielt, verkörpert genau diesen Typus der professionellen Politikerin: Eine Frau, die längst durch die Machtspiele des Systems korrumpiert wurde und ihren Erfolg vor allem der Anpassung an das System verdankt. Sie avanciert, und das mag man dem Film vorwerfen, binnen kürzester Zeit zum noch böseren Bösen: Rasch wird klar, dass die korrumpierte Weiblichkeit noch gefährlicher ist als das männliche Böse in Form des Präsidenten Snow. Denn all das Blut, das vergossen wurde, um den Präsidenten aus dem Amt zu jagen, würde nach dem Willen der Politikerin Coin doch nur den Status quo wiederherstellen – unter nun weiblichen Vorzeichen.

Damit erkennt der Film einerseits, dass das bestehende Machtsystem, unabhängig vom Geschlecht der Akteure, immer wieder das gleiche Ergebnis produziert. Ganz so, wie wir ja ahnen, dass die Banken und Konzerne dieser Welt auch nicht anders agieren würden, wenn Frauen Machtpositionen innehätten. Zugleich exerziert er die Bestrafung an der korrumpierten Frau ohne Gnade durch. Während Präsident Snow, als ginge er an seiner eigenen Kälte zugrunde, den beinahe poetischen Lungentod stirbt, wird Coin (ein sprechender Name, der sie in die Nähe des Silbermünzen annehmenden Judas rückt) kurzerhand mit einem Pfeil durchbohrt. Der Tyrannenmord, der doch eigentlich für den Präsidenten vorgesehen war, ereilt die Frau, und zwar noch vor ihrer ersten bösen Tat. Er wird ausgeführt von der Heldin Katniss. Es ist das weibliche Prinzip, das die korrumpierte Weiblichkeit ausmerzen muss.

Das mag man fragwürdig finden. Aber dann geschieht etwas noch Tragischeres für den Film: Er endet 15 Minuten zu spät. Hätte der Regisseur Francis Lawrence die letzten 15 Minuten weggeschnitten: Der Film wäre eine Herausforderung für unsere Sehgewohnheiten geworden, mit einer Heldin, die ziemlich kaltherzig einen Tyrannenmord praktiziert – an einem weiblichen Tyrannen. So aber wird das Ende in einem verstörenden Bild aus Hollywood-Kitsch ertränkt, das den Zuschauer ratlos zurücklässt: Katniss wird im Kreise ihrer Familie gezeigt, im gelben Blümchenkleid, einen Säugling im Arm haltend. Die heilige Familie, geboren aus dem Krieg der Distrikte: Am Ende wartet als Belohnung für die Heldin der Rückzug in die Mutterrolle mit Puffärmeln.

Diese Ende spiegelt unsere Sehnsucht nach hemdsärmeliger Weiblichkeit, die tagsüber die Welt – oder wenigstens einen Konzern rettet-, aber abends am Bettchen der lieben Kleinen sitzt und Wiegenlieder singt. Katniss Everdeen als Maryssa Mayer unter Mutanten. Es ist ein Ausdruck von Sehnsucht und Irritation gleichermaßen. Weil es die Liebe ist, die Katniss in den Kampf geführt hat, kann auch nur die Liebe sie in die Welt zurückführen. Traumatisiert von der brutalen Welt kehrt die Partisanin wie eine Bäuerin auf ihre Scholle zurück, in eine ansonsten menschenleere Umgebung. Ein wenig erinnert dieses Szenario an Kleists Erdbeben in Chili, an die kurzen Momente des Glücks der Liebenden Jeronimo und Josephe unter dem Granatapfelbaum, bevor der hasserfüllte Mob die kleine Familie in der Kirche niedermetzelt. Kleist zögert nicht, uns unsere Illusionen sogleich zu Nichte zu machen.

Vielleicht lese ich dieses Ende aber auch falsch. Vielleicht verkörpert es das Wissen darüber, dass die Partisanin Katniss eigentlich gar nicht in ein Leben zurückkehren kann. Dass sie im Film sterben müsste – was freilich ein unzumutbares Unhappy End für den Filmzuschauer wäre. Und gerade deshalb, weil sie in die scheinbare Utopie eines einfachen Landlebens entlassen wird, muss das Trauma des Freiheitskampfes umso deutlicher hervortreten.

Genau besehen – und in dieser Hinsicht ist das Ende von Mockingjay enorm dystopisch – hat das Opfer von Katniss gar nichts ausgerichtet. Denn das System bleibt, was es ist. Angedeutet wird, dass die „Spielmacher“, jene ominösen Strippenzieher hinter den Politikern, an der Macht bleiben und die Politiker lenken; dass mörderische „Spiele“ und Kriege das Ergebnis ihres Tuns sind. Weibliche Heldinnen hin oder her.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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