Haarscham

Rückkopplung Das Museum der bildenden Künste erkundet in Leipzig, wie eine neue Generation von Netzkünstlerinnen den Körper der Frau in den Blick nimmt
Ausgabe 03/2018

Lasziv spreizt eine junge Frau die Beine. Ihre kirschroten Lippen sind halb geöffnet, ihre Augen taxieren den Betrachter herausfordernd. Sie ist scheinbar ganz nackt, aber ihr Rumpf wird von einer Bildmontage bedeckt, in der sich dasselbe Selfie unendlich wiederholt. Nicht zufällig denkt man hier an das berühmte Gemälde Der Ursprung der Welt von Gustave Courbet. Das Bildrechteck, das die Scham bedeckt, bildet visuell zugleich einen Tunnel. Und tatsächlich hat unsere Bildkultur eine Art Tunnelblick auf das weibliche Geschlecht entwickelt. Es ist das Ende und der Anfang des Bildes, schwarzes Quadrat und weiße Leinwand.

Die Frau im Foto erwidert nicht nur den Blick eines anonymen Betrachters. Sie schaut sich selbst an. Selbstgenügsamkeit in endloser Rückkopplung. Das Infinity Selfie von Leah Schrager empfängt den Besucher in der Ausstellung Virtual Normality, die das Museum für bildende Künste in Leipzig den Netzkünstlerinnen 2.0 widmet. Zu sehen ist eine Fülle von Arbeiten, vom Selfie bis zur Virtual-Reality-Installation.

Selbstbild und Körper der Frau sind das wiederkehrende Sujet der gezeigten Arbeiten, aber immer wieder blitzt zwischen den Zeilen auch die Frage auf: Ist das jetzt Kunst? Täglich werden schließlich Millionen von Selfies auf Instagram hochgeladen, was also hebt das eine oder andere aus dem scheinbar endlosen Strom der bunten Quadrate hervor?

Zwanghafte Arbeit am Selbst

Ein Selbstbildnis war stets mehr als die Darstellung der eigenen Gesichtszüge in einer künstlerischen Form; das Selbstbildnis der Netzkünstlerinnen ist der konkrete Versuch, mit den Mitteln der Onlinemedien diese selbst und die von ihnen propagierten Frauen- und Körperbilder zu hinterfragen. Es geht aber auch um die Praxis der Selbstinszenierung, wie sie tagtäglich von Millionen von Usern demonstriert wird. Die zwanghafte Arbeit am Selbst und die Erschöpfung, die sich daraus bisweilen ergibt, blitzen in dieser Ausstellung immer wieder auf. Das Selbst ist nicht nur auf Social Media stets präsent; in den Selbstbildnissen und Arbeiten der Netzkünstlerinnen wird es zum Kern der Arbeit. Es wird beobachtet, mit Blicken seziert. How do I look? Sitzt zum Beispiel mein Haar heute gut?

Die afroamerikanische Künstlerin Nakeya Brown widmet dem Frauenhaar eine Bildserie. Kaum etwas gilt als „femininer“ als eine lange Löwenmähne, bei der glattes Haar in sanften Wellen über die Schultern der Frau fließt. Wer die Voraussetzungen für solches Prachthaar nicht besitzt, lässt es sich notfalls in Form einer Haarverlängerung anlöten. Gerade aber für schwarze Frauen ist der Inbegriff von weiblicher Schönheit häufig mit dem Tragen von Perücken oder permanenter Haarglättung verbunden. Ein „Afro“ kann cool sein und ein Statement-Look; er transportiert jedoch fehlende Konformität, Exotik und Disco-Dancing. Wie stark solche kulturellen Bilder nachwirken, zeigt sich auch darin, dass sogar die ehemalige First Lady Michelle Obama erst nach dem Ende der Amtszeit ihres Mannes mit krausem Haar auf einem Urlaubstrip zu sehen war.

Überhaupt, das Körperhaar: Auf Instagram sorgen unrasierte Beine oder Schamhaare, die aus Bikinis hervorblitzen, regelmäßig dafür, dass Bilder und ganze Accounts gelöscht werden. Kaum etwas ist schwerer zu verstehen als die Angst vor dem Haar am weiblichen Körper – wenn es denn an der „falschen“ Stelle wächst. Die Ausstellung zeigt daher auch den Bildband Pics or It Didn’t Happen von Molly Soda. Darin versammelt sind Bilder, die von Instagram gelöscht wurden, weil sie den Community-Richtlinien nicht entsprachen und als „gefährlich“ eingestuft wurden.

Skandalös ist keines dieser Bilder. Ab und an sieht man einen Camel Toe – Labien, deren Umriss sich durch den Slip oder die Hose abzeichnet – oder auch mal (nicht ganz echtes) Periodenblut. Während im Splatter Horror das Blut nur so spritzen muss, darf das weibliche Unterhöschen, wir wissen es inzwischen, weder Spuren von Blut noch Ausfluss enthalten.

Die Community Guidelines von Instagram wirken de facto wie eine Zensur, zugleich sind es ausgerechnet die Regeln, die gebrochen werden, die dabei helfen, die eigentlichen Tabus zu erforschen und zu befragen. Mehr noch: Instagram ist eben auch eine Distributionsplattform, die Künstlerinnen von Kunstmarkt, Kuratoren und Museen unabhängiger macht. Buchstäblich jede kann ohne Voraussetzungen ihre Bilder teilen.

Nicht immer geht es dabei um feministischen Aktivismus. Die Selbstporträts von Izumi Miyazaki sind oft unterhaltsame, meist surreal und bizarr anmutende Selbstbildnisse, in denen die Künstlerin sich auch schon einmal in ein Sushi-Stückchen verwandelt. Sie zeigt auf schöne Art, dass der permanente Verdacht, es ginge hier nur um Eitelkeiten im Kontext von (Künstlerinnen-)Selbstbildnissen, voreilig geäußert wird. Denn gerade dort, wo die Frau zum appetitlichen Häppchen wird, schwingt natürlich auch Gesellschaftskritik mit.

Alle sind sie jung und schön

Was die Werke dieser Ausstellung eint, ist eine unermüdliche Form der Autognosie. Fragend oder lustvoll richtet sich der Blick auf das eigene Abbild. Nach Jahrhunderten, in denen männliche Künstler den Körper der Frau erforschten und abbildeten, ist es ein genuin weiblicher Blick. Natürlich haben auch Künstlerinnen wie Cindy Sherman die wechselnden und doch immer gleichen Masken der Frau fotografisch erkundet. Das aber im Rahmen einer anderen Bildkultur. In der virtuellen Welt kreieren täglich Millionen von Frauen Selbstbildnisse, stellen sich dar oder suchen nach Anerkennung. Diagnostiziert wird dann oft Narzissmus, so als sei die Auseinandersetzung mit dem Selbstbild eine pathologische Ich-Schwäche anstatt das Ergebnis einer Bildkultur, die weibliche Schönheit und Güte zum Selbstkorsett verschnürt hat, in dem der Frau schon mal die Luft wegbleibt.

Wer Instagram und dessen Bildkultur dekonstruieren und aufbrechen will, muss sich aber doch auf die inhärente Logik der Plattform einlassen. Es ist kein Zufall, dass die Künstlerinnen, die ihre Selbstbildnisse in Pink online teilen, jung und schön sind. Sie sind eben instagramkompatibel. Das entwertet nicht die künstlerische Arbeit, zeigt aber, dass die Vorbedingung für die erfolgreiche Verbreitung auf Instagram wiederum ein ansprechender Künstlerinnenkörper ist. Sie alle sind „Wifi Material“, wie eine Selbstbeschreibung der Netzkünstlerinnen lautet. Überhaupt rückt der weibliche Körper damit nicht aus dem Zentrum der Bildkultur. Es scheint, als könne er als Sinnbild des Weiblichen schlechthin nicht überwunden werden. Zum Bruch mit der im abendländischen Denken so fest verankerten Vorstellung „Frau ist gleich Körper, Mann ist gleich Geist“ führt all das nicht.

Info

Virtual Normality. Netzkünstlerinnen 2.0 Museum der bildenden Künste, Leipzig bis 8. April 2018

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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