Heikler Verdacht: Sind Mütter sexuelle Wesen?

Empörung Eine vermeintlich sexistische Werbung bringt Kritiker auf die Palme. Müsste man es nicht feiern, wenn ältere Frauen als begehrenswert dargestellt werden?
Ausgabe 24/2020
„Hast du schon gehört, was eine ,MILF‘ ist?“
„Hast du schon gehört, was eine ,MILF‘ ist?“

Foto: George Marks/Retrofile/Getty Images

Feministische Kritik an Datingshows hat so ihre Tücken. Das zeigt die Empörung über die Sendung M.O.M. des Streaming-Senders Joyn, die derzeit die sozialen Netzwerke überschwemmt. Das Akronym steht für „Missy oder MILF“. In der Show dürfen sich zwei Männer, 57 und 28 Jahre alt, aus insgesamt 14 Frauen „die Richtige“ heraussuchen – fürs Bett, für einen Luxus-Kurzurlaub, fürs Leben? Wer weiß. Natürlich werden hier furchtbare Rollenklischees dargestellt: Sie bietet Körper, er bietet Geld. Natürlich ist diese Form der Unterhaltung so seicht, dass jedes Bordsteinrinnsal mehr Tiefgang verspricht. Aber wer erwartet bei einem solchen Format schon tiefgründige Unterhaltung?

Empörend ist für Kritikerinnen nicht nur das Hahn-im-Korb-Prinzip, dass also viele Frauen um die Gunst eines Mannes werben, wobei der Mann weniger durch Persönlichkeit als vielmehr durch monetäre Möglichkeiten überzeugen muss. Oder die Darstellung von Rollenklischees, bei denen Frauen geldgeile Luder sind, die sich vor Kamera und Kerl quasi prostituieren. Das kennt man ja. Wirklich schlimm erscheint den Kritikerinnen die Rolle der sogenannten MILFs. Sie, die früher nur ein Nischendasein als Fetisch-Kategorie auf einschlägigen, ähm, Internetseiten fristeten, haben sich einen Platz im popkulturellen Mainstream erarbeitet. Die „Mom I’d like to fuck“, die Mutter, die man gerne mal beschlafen würde, muss übrigens gar keine Mutter sein, nur eine deutlich ältere Frau (aus Sicht des Mannes), die theoretisch seine Mutter sein könnte. Eine klassische MILF ist also keine junge Frau, die ein Kind hat.

Müsste man die Tatsache, dass „ältere“ Frauen (die älteste Frau bei M.O.M. ist 46) als begehrenswerte Wesen dargestellt werden, nicht feiern? Nein, schreien die Kritiker. Hier werden Mütter respektive ältere Frauen zu Sexualobjekten degradiert! Nun ist es aber das Wesen jedes Begehrens, dass man den anderen zum Objekt macht. Aber doch nicht in Corona-Zeiten, wo Mütter schon so viel Bullshit ertragen müssen! Warum denn nicht? Sexueller Eskapismus könnte der beste Weg des Umgangs mit der Krise sein. Vielleicht entspannt Mutti auch gerne vor dem TV-Gerät und träumt davon, von einem metrosexuellen Mann umgarnt zu werden? Beim Blick auf Vati im Feinripphemd vielleicht verständlich? Verbirgt sich hinter der Wut auf die Sendung am Ende gar die verdrängte Einsicht – oh Graus –, dass auch die eigene Mutter ein sexuelles Wesen sein könnte? Das wäre dann wohl ein Fall für Sigmund Freud. Dem übrigens widmet sich aktuell eine Netflix-Serie.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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