Und wieder einmal geht es um Sichtbarkeit. Nachdem das Kunstgewerbemuseum in Dresden Designerinnen des frühen 20. Jahrhunderts in den Fokus einer Sonderausstellung rückte und das Albertinum DDR-Kunst aus den Depots in eine Sonderschau überführte, eröffnete nun im Lipsiusbau nebenan eine weitere Ausstellung mit wenig bekannten und selten gezeigten Kunstwerken. Medea muckt auf legt den Fokus dabei auf Künstlerinnen, die östlich des Eisernen Vorhangs sozialisiert wurden und tätig waren. Gut die Hälfte von ihnen arbeitete in der DDR, die anderen stammen aus der ehemaligen Tschechoslowakei, Polen und Rumänien.
Die Ausstellung wird von einem internationalen Kolloquium begleitet, bevor sie im nächsten Jahr in den USA gezeigt wird. Auf der anderen Seite des Atlantiks wächst das Interesse an der „Ostblock“-Kunst, auch deshalb, weil es viel Unbekanntes zu entdecken gibt. Zudem ist das Sammlungsgebiet abgeschlossen.
Immer dann, wenn sehr unterschiedliche Künstler unter einem Motto gebündelt werden, besteht die Gefahr, dass die Klammer zu grob, die Verknüpfung zu lose ist, als dass sie erhellende Zusammenhänge schaffen könnte. Dass diese Form der Ausstellung oft für Frauen oder für Künstler des Ostblocks gewählt wird, spricht Bände, sind sonst doch Individualität und Unverwechselbarkeit entscheidende Kriterien auf dem Kunstmarkt.
In der Ausstellung stehen die dokumentarischen Fotoserien von Evelyn Richter, Gundula Schulze Eldowy und Zofia Rydet neben Rauminstallationen und Assemblagen von Geta Brătescu und Christa Jeitner. Künstlerinnen also mit einer jeweils sehr eigenwilligen Formensprache. Als radikale Blaupause hat die Schau in Dresden mythische Frauengestalten gewählt. Tatsächlich findet sich dieses Phänomen nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Literatur. Am Prominentesten dürften Christa Wolfs Kassandra und die titelgebende Medea sein.
„Kassandra. Ich sah sie gleich. Sie, die Gefangene, sie nahm mich gefangen, sie, selbst Objekt fremder Zwecke, besetzte mich“, sagte Christa Wolf in ihrer Vorlesungsreihe zu Kassandra. Auch Medea und Philomela bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Fremdbestimmung und dem Kampf ums Gehörtwerden. Als Chiffren für Befreiungskämpfe, für radikale Weiblichkeit liefern sie starke Bilder. Zugleich besteht die Gefahr, durch den Rückgriff auf diese Mythen die Künstlerinnen nur als Ungehörte, kaum Gesehene zu betrachten.
„Ich will nicht niemand sein“, sagt Christa Wolfs Medea. Auch das wäre ein gutes Motto. Denn die Künstlerinnen jenseits des Eisernen Vorhangs kämpften gegen mehrfache Marginalisierung: In der sozialistischen Gegenwart gegen Männer, das politische und patriarchale System und den Kunstbegriff. Die sozialistische Kunstdoktrin bevorzugte gegenständliche Malerei, nicht zufällig waren die großen Vier der DDR-Malerei Männer. Auch in der Subkultur entwickelten sich eher die Männer zu Wortführern. Frauen wie Christa Jeitner tat man als Kunsthandwerkerinnen ab.
Explizit nicht feministisch
Hilke Wagner, Direktorin des Albertinums Dresden, will die Ausstellung explizit nicht als feministische Ausstellung verstanden wissen, und dennoch steht sie in der Tradition der Bemühungen um eine Herstory im Gegensatz zur History, um das Einschreiben der Frauen in die (Kunst-)Geschichte.
Zugleich könnte der Umstand, dass die Frauen so radikal ignoriert wurden, auch ihre künstlerischen Freiheiten positiv beeinflusst haben. Wer weniger sichtbar ist, bleibt unter dem Radar der Zensur. Allerdings heißt das keineswegs, dass die Künstlerinnen stets für Stasi und Co. unsichtbar blieben: Tatsächlich wurde Gabriele Stötzer als Dissidentin inhaftiert. Stötzer hatte eine Petition gegen den Ausschluss eines Kommilitonen unterschrieben, später gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert. Nach ihrer Haftstrafe musste Stötzer zur Bewährung in die Produktion.
Auch Christa Jeitner, deren Akte vermerkte, dass sie aus kirchlichen Kreisen stammte, hatte mit Repressionen zu kämpfen, ab 1965 hatte sie kaum noch die Möglichkeit auszustellen. In der Schau ist sie mit dem Werk Dreiflüglige Säule (1978) vertreten. Wie ein Pendel schwingt die aus robusten Fäden geknüpfte Arbeit den Raum ab. Jeitner bezeichnet Schnürwerke wie dieses als passive Annäherung an ihr Material: „Es gilt, nicht gewaltsam zu sein.“ Ein Ansatz, der konträr zu häufig männlich geprägten Ideen von Schöpfertum steht. Textile Skulpturen begegnen uns auch beim Berliner Modetheater Allerleirauh. In deren Performances spiegelt sich nicht nur der Protest gegen DDR-Einheitsmode, sondern auch Theatralität als Kernelement von Mode. Die Märchengestalt Allerleirauh entzieht sich den inzestuösen Wünschen des Vaters, indem sie sich in Pelze hüllt und das Gesicht rußt: Mode als Entstellungstheater.
Man muss diese Ausstellung als nötigen Umweg zur Rezeption des künstlerischen Œuvres verstehen: Was diskutiert und eingeordnet werden soll, muss zunächst sichtbar sein. Eine solche Ausstellung, so grob ihre thematische Klammer auch sein mag, leistet zumindest das.
Info
Medea muckt auf. Radikale Künstlerinnen hinter dem Eisernen Vorhang Kunsthalle im Lipsiusbau Dresden, bis 31. März 2019
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