Im Fadenkreuz

Kunst Auf Instagram wird das Sticken wiederentdeckt – natürlich von Frauen. Warum wird deren Kunsthandwerk nicht ernst genommen?
Ausgabe 35/2018

Expressive Farben und Strukturen auf kleinem, kreisrundem Grund, unendliches Fadengeflecht, scheinbar chaotische Farbfelder, Strukturen aus Perlen und Knoten: So sehen die Stickereien aus, die ich zuletzt häufig auf Instagram sehe. Meist hält eine zarte Frauenhand einen kleinen Stickrahmen in die Kamera. Künstlerin und Werk verschmelzen visuell als Produkt ihrer Hände Arbeit – zum Hand-Werk. Der Rest von ihr bleibt unsichtbar. Faszinierend sind diese kleinen Textilkunstwerke, vielleicht auch deshalb, weil auf der Plattform Instagram traditionelle Handwerkskunst, neues Künstlerinnenselbstverständnis und netzaffines Marketing eine eigentümliche, aber letztlich nur konsequente Verbindung eingehen.

All das fing jedenfalls vor etwa einem Jahr an. Die wachsende Popularität von Stickrahmen und klassischer Handarbeit wurde in den quadratischen Bildkacheln, die meinen Instagram-Feed durchrauschten, immer auffälliger. Das Foto des runden Rahmens auf quadratischem Grund schien ubiquitär. Man hätte natürlich damit rechnen müssen, dass nach dem großen Strick-Hype der letzten Jahre nun eine weitere klassische handwerkliche Tätigkeit an Beliebtheit gewinnt. Das Sticken passt eben so schön in den allgemeinen Hygge-Trend, zu den Versuchen gestresster Millennials – und nicht nur dieser –, ein wenig Ruhe und Behaglichkeit in ihr Leben zu bringen. Sticken braucht ja Zeit, wirklich sehr viel Zeit. Zwar kann man nebenbei Serien streamen oder das Kind am Spielplatzrand beaufsichtigen, aber es ist eben kein Hobby, das sich mit 14-Stunden-Manager-Tagen in Einklang bringen lässt. Es verbindet seelische Tiefenentspannung mit körperlicher Anspannung – Nacken und Gelenke leiden ganz erheblich, Augen und Fingerkuppen sowieso. Vor allem aber ist es eine neue alte künstlerische Ausdrucksform. Besonders für Frauen.

Spieglein, Spieglein

Von Anfang an war das Sticken nämlich politisch. Ausgerechnet! Zunächst sah man Instagram-tauglich inszenierte Stickrahmen, mit politischen Botschaften ausgefüllt: „We should all be feminists“, wurde mit etwas zittriger Hand und dünnem schwarzen Faden auf weiße Shirts gestickt. Die politische Wirkmacht sei hier einmal nicht hinterfragt. Oder es wurden Blumendekore auf Blusen, Shirts oder Jeanshosen gestickt. Als individueller Ausdruck eines allgemeinen Modetrends von Stickereien auf Kleidung, den man überall in Modekaufhäusern beobachten konnte. Dass nun aber abstrakte Kunst in den Rahmen gespannt wird, die – wie alle Formen abstrakter Kunst – zwar dekorativ ist, aber nicht den klassischen Ansprüchen von Textilkunst genügt, die eben Gebrauchsgegenstände verschönern möchte – dass sich also das Handwerk des Stickens von Gegenstand und Gebrauch löst –, das ist wahrlich spannend.

Der bisweilen so verbraucht wirkende McLuhan’sche Slogan „The medium is the message“ bestätigt sich hier aufs Neue. Das Medium ist doppelt bedeutungsvoll, gewissermaßen überdeterminiert. Einerseits, weil das Medium der Textilkunst selbst in jeder Hinsicht weiblich konnotiert ist. Andererseits, weil auch Instagram als „weibliches“ Medium gelesen werden kann. Dabei geht es gar nicht um die Frage, wer Instagram mehrheitlich nutzt. Sondern darum, dass das Bild, das wir uns von Instagram machen, ein weibliches ist: Schönes Mädchen mit Handykamera vor Spiegel.

Zugleich entwickelte sich Instagram in den letzten Jahren zum Medium weiblicher künstlerischer Selbstdarstellung, bei der das Bild als Spiegelfläche des Ichs untersucht und dekonstruiert wurde. Gerne wird mit dem Generalverdacht gespielt, es handle sich dabei immer schon um narzisstische Selbstbespiegelung.

Soweit ich es überblicken kann, sind die Stickkünstler auf Instagram weiblich. Selbst wenn ein männlicher Künstler sich des Stickens oder anderer Varianten der Textilkunst annähme, blieben es doch weiblich konnotierte Kunstformen. Schließlich war über Jahrtausende der Umgang mit Textilien zur Schaffung von Kleidung meist Sache der Frau, zumindest im Rahmen traditioneller Hausarbeit. Weil sie Gebrauchsgegenstände fabrizierte, galt ihre Arbeit nicht als Kunst. Was allerdings nicht heißt, dass es ein Mann, im Gegensatz zu vielen Frauen, mit Textilkunst nicht zu Prestige bringen könnte. Denn das ist ja das Eigentümliche am „weiblichen“ Kunsthandwerk: Sobald es in die Hände der Männer fällt, können sie es damit zu Starruhm bringen. Man denke nur an das Modehaus Chanel, für das Karl Lagerfeld kühne, inspirierte Skizzen aufs Papier wirft, die dann in monatelanger harter Handarbeit von für die Öffentlichkeit namen- und gesichtslosen Schneiderinnen zu textilem Luxusdesign verarbeitet werden. Diese Mode gilt als Kunst, ihre Schöpferinnen jedoch nicht als Künstlerinnen.

Mit der bildenden Kunst verhält es sich ähnlich. Der Konzeptkünstler Olaf Holzapfel beispielsweise ließ für eine Serie abstrakte Designs von Frauen der indigenen Wichí-Gemeinschaft in traditioneller Technik in Kunstgewebe übersetzen. Natürlich werden auch diese Frauen unsichtbar hinter der Handarbeit. Es gilt eben das Factory-Prinzip: Der Künstler steht in regem Kontakt mit dem Reich der Ideen, die Arbeiter werken und machen. Und Fabrik und Arbeiterin gehören zusammen wie Butter und Brot.

Selbst die Bauhaus-Künstlerinnen, die in die Textilabteilung des Hauses mehr oder minder abgeschoben wurden, traf das gleiche Schicksal der mangelnden Sichtbarkeit. Zwar öffnete das Bauhaus seine Türen auch für Frauen; der Zugang zu den prestigeträchtigen Abteilungen blieb ihnen jedoch verwehrt. Nur Textilkunst galt als angemessene Beschäftigung für Frauen. Nur folgerichtig sollten die Studentinnen also weben, was das Zeug hielt. Wobei man mit der (erzwungenen) Dominanz der Frauen im Fach die Textilkunst kurzerhand zum Handwerk umdeutete und damit abwertete. Wobei: Warum soll Handwerk denn weniger wert sein als Kunst? Warum geht dem handgefertigten Objekt die Aura ab, die das Kunstwerk so reichlich versprüht – oder warum wird sie ihm abgesprochen?

Der Effekt jedenfalls ist bis heute zu besichtigen: Während wir alle den Breuer-Stuhl kennen, sind die Textilentwürfe von Gunta Stölzl für einen Breuer-Stuhl eher wenig bekannt. Das hat auch konservatorische Gründe. Ausgerechnet die Textilkunst, die Muster produziert, die dann vermeintlich unendlich reproduziert werden können, leidet still unter den Tücken des Materials, das nur schwer konserviert und aufgrund großer Licht- und Raumklima-empfindlichkeit noch schwerer ausgestellt werden kann. Die textilen Entwürfe lassen sich aufgrund fehlender Garne und veränderter Herstellungsweisen der Industrie auch nicht einfach reproduzieren.

Abstraktion statt Kitsch

Im Rahmen der Textilkunst-Ausstellung „Das Ereignis eines Fadens“ im Kunsthaus Dresden, die eigens eine Art Pop-up-Bauhaus-Ausstellung integrierte und Originalentwürfe unter anderem von Anni Albers zeigte, konnte man die Schwierigkeiten, die die Bewahrung von Textilkunst macht, gewissermaßen mit Händen greifen. Zu sehen waren nur so originalgetreu wie möglich gefertigte Replikate. Bei der Textilkunst ist die Aura des Originals jederzeit bedroht.

Es wird spannend bleiben, zu sehen, wie das große Bauhaus-Jubiläum im Jahre 2019 mit seinen so stiefmütterlich behandelten Künstlerinnen umgehen wird. Einen ersten beachtenswerten Anfang machte die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, die Anni Albers und ihrem aufregenden Werk zwischen Design und Kunst eine Ausstellung widmete (sie läuft noch bis zum 9. September).

In vielerlei Hinsicht zeichnete die Bauhäuslerin Anni Albers übrigens den Weg vor, den viele Textilkünstlerinnen heute gehen, wenn sie ihre Arbeit von figürlicher Darstellung oder Slogan-Stickerei lösen und sich der Abstraktion zuwenden. Atemberaubend schöne Oberflächenstrukturen entstehen dabei. Der Schritt zur Abstraktion ist nur folgerichtig, weil gegenständliche Textilverzierungen oft feminin bis lieblich-kitschig wirken, während der Abstraktion eine gewisse Schroffheit, Härte und Kantigkeit (allesamt ja eher männliche Attribute) anhaftet.

Dabei kann das Garn im Gegensatz zur Farbe nicht im expressiven Gestus – in Form von Wischen, Klatschen, Tropfen oder Sprühen – aufgetragen werden. Nichts mit Aktionskunst. Das abstrakte Stickobjekt bewegt sich im Spannungsfeld zwischen expressivem Ausdruck und kontemplativer Herstellung, vielleicht wie bei den großen Meistern der stillen Abstraktion, Josef Albers oder Mark Rothko. Aber während deren Bilder sich in zumeist großen, bei Rothko übergroßen rechteckigen Rahmen präsentieren, männlich-kantig und obendrein etwas größenwahnsinnig also, zeigen die Stickereien feine Zurückhaltung in runder Form. Das allerdings ist keine feminine Geste, sondern allein dem rahmenden Medium geschuldet.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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