Yoko Ono – muss man die kennen?“, fragt ein junger Mann seinen Freund, während er zügig über den Vorplatz des Leipziger Museums der bildenden Künste eilt. Offensichtlich ist er nicht wegen ihr hier. Hunderte andere Menschen dagegen wollen die Yoko-Ono-Ausstellung am Eröffnungsabend sehen. Sie wollen Yoko Ono sehen. Dafür haben sie sich ordentlich in Schale geworfen, die grünen Haare zum Messy Bun gestylt, der hochrote Lippenstift sitzt, und auch die ausrasierten Kopfseiten sehen heute top aus. Ein wenig hat all das hier den Charakter eines Happenings.
Drinnen bestaunen unterdessen die ersten Besucher, jene also, die zeitig genug da waren, die durch und durch partizipative Ausstellung Peace is Power. Darin zu sehen sind insgesamt 70 Arbeiten und Werkreihen der Konzeptkünstlerin und Beatles-Mörderin (nur ein Spaß!). Von raumgreifenden Arbeiten bis zu filigranen, sehr zarten Grafiken ist alles dabei. Interessanterweise verbindet man Grafiken ja weniger mit Yoko Ono; man kennt sie eher als Performance-Künstlerin und die musikalischen Kollaborationen mit ihrem ermordeten Mann John Lennon. In der Ausstellung jedenfalls steht der Fluxus-Gedanke im Vordergrund: Das Werk ist nicht abgeschlossen, wenn der Künstler es platziert. Erst im Zusammenwirken mit dem Rezipienten entsteht es. Deswegen wird hier gemalt und geklebt – nach den „Instructions“ der Künstlerin.
Orangenbäume aus Särgen
Noch am Vormittag, beim Presserundgang durch die Ausstellung, vermochte Museumsdirektor Alfred Weidinger nicht zu sagen, ob die Künstlerin am Abend anwesend sein würde. An diesem Vormittag vertritt sie ihr langjähriger Kurator Jon Hendricks. Diese Ausstellung, so informiert er, sei die beste Ono-Schau. Ich bin nicht ganz sicher, ob er hier etwas anderes sagen dürfte. Jedenfalls ist die Schau enorm wichtig für das Museum – wie auch die Stadt Leipzig. Der Glanz der in New York lebenden und in Tokio geborenen 86-Jährigen soll der Messestadt etwas Gloria verleihen. Leipzig mag Ono brauchen, aber Ono braucht Leipzig nicht. Sie wird an diesem Tag nicht erscheinen.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Natürlich muss man Yoko Ono kennen, und natürlich sollte man sie nicht nur als Lennons Witwe betrachten. Ono war eine Wegbereiterin der Fluxus-Bewegung in den USA. Sie taugt durchaus auch zur feministischen Ikone. Sie, das Mädchen aus wohlhabendem japanischen Hause, heiratete gegen den Willen ihrer Eltern, bekam eine Tochter und verließ deren Vater für Lennon. Ono lebte die Freiheit, die sich ihr in den USA bot, und befreite sich aus patriarchalen Festschreibungen darüber, wie das Leben eines Mädchens aus gutem Hause zu verlaufen hat. Ono selbst ist ein Zeichen für Ermächtigung und Macht.
Aber zurück zur Ausstellung: Auch ihr hat sich Leipzig eingeschrieben. Ono hat einige ihrer bekannten Arbeiten für Leipzig noch einmal neu interpretiert: Morning Beams, eine Installation aus gespannten Stricken, zieht sich durch eine der Seitenhallen des Museums. Grandios verbindet sich die Architektur des Hauses mit den zwischen die marmorierten Wände gespannten Stricken. Sie wirken wie Laserstrahlen, die den Raum durchschneiden. Die Installation ist ein schönes Bild für das Zusammenspiel von Licht und Raum in der Architektur; kaum ein Museum hätte so viel Platz dafür zu bieten.
In der zweiten Etage hat Yoko Ono für die Installation Ex it einen Hain aus Orangen- und Zitronenbäumen anlegen lassen. Die duftenden Bäumchen aber sprießen aus Särgen. Jener Art von Särgen, die in Katastrophenfällen, wenn zahlreiche Menschen auf einmal beerdigt werden müssen, an den Schreckensort geliefert werden. Einfache Holzkisten, die hier Quelle erblühenden Lebens werden. Duft und Vogelsounds formen eine immersive Umgebung, in die man eintaucht. Beim Betrachten ist man sich nicht ganz sicher, ob es ein poetisches Gleichnis oder doch eher Kitsch ist.
Das gilt auch für die Zettelchen, die die Besucher mit Friedensbotschaften beschriften dürfen. Das ist ein wenig, nun ja, niedlich. Dem Zettel, der dem so basalen wie beinahe utopischen Wunsch nach Frieden Rechnung trägt, haftet der Charakter eines Briefs an den Weihnachtsmann an. Oder anders: Angesichts von mörderischen Bürgerkriegen weltweit wirken sie etwas zu banal. Nicht, dass eine Künstlerin ein Konzept für die Erlangung des Weltfriedens vorlegen müsste. Aber gerade dann, wenn sich ein Künstler mit Krieg und Frieden auseinandersetzt – und das ist das große Lebensthema Onos –, erwartet man etwas mehr Relevanz.
Diese Relevanz ergibt sich häufig ja erst aus der Doppel- oder Vielbödigkeit im Werk, die sich dem Künstler selbst womöglich verschließt. Denken wir nur an das legendäre Bed-In von Yoko Ono und John Lennon im Rahmen ihrer Flitterwochen, das sich letzten Monat zum 50. Mal jährte. Die Bilder zeigen Ono und Lennon, messianisch erleuchtet, gänzlich in Weiß gekleidet. Vor Kurzem kursierte in den Social Media ein interessantes Bild, das den eigentlichen Kern der Performance offenbarte. Das Paar ist aufgestanden, weil das Zimmermädchen soeben die Betten macht. Ono schaut ins Leere, auch Lennon blickt an dem Dienstmädchen vorbei. Es ist ein wunderbares und trauriges Bild; es offenbart unfreiwillig das Verhältnis zwischen globaler Unter- und Oberschicht, das sehr viel mit der Realität von Krieg und Frieden, von Macht und Machtlosigkeit zu tun hat.
Das Bild verbindet wie in einem Brennpunkt die Frage von Geschlecht, Klasse und Macht: Das Zimmermädchen ist ja nur zufällig hier; es ist austauschbar und eigentlich ist es seine Aufgabe, ungesehen zu bleiben. Das Zimmermädchen zeigt das Bed-In als das, was es ist: eine für die globale Mittel- und Oberschicht befriedigende Form von künstlerisch-politischem Engagement, das die Verhältnisse nicht unbedingt ändert, aber immerhin guten Willen demonstriert. Auch das Zimmermädchen, wie die Museumsbesucher, folgt Instruktionen: Richte das Bett (Maid) oder: Klebe das Geschirr (Besucher). „Free you – Free me – Free us – Free them“, wie Ono einmal zusammenfasste, es gilt wohl nicht für die Arbeiterklasse.
Ist Ono auch nicht physisch anwesend: als messianische Heilsbringerin ist sie spürbar. Für Water Event lieferten Leipziger Künstler Gefäße, die von der Künstlerin eigenhändig ausgewählt und mit Wasser befüllt wurden. Die Dialektik ist klar: Wasser ist Lebensspender. Machtvoll und geduldig. Wasser gehört in jeden Zen-Garten und beruhigt durch sein sanftes Plätschern Seele und Geist. Aber Ono, die sich Gefäße reichen lässt, befüllt und damit gewissermaßen heiligt, erinnert natürlich auch an die messianischen Züge der Kunst. Man müsste mal nachprüfen, ob sich das Wasser so nicht doch in Wein verwandelt hat.
Gesegnetes Wasser
Zugegeben, das klingt nun etwas zynisch. Vielleicht ist es aber die hochästhetische, tatsächlich schöne Ausstellung, die diesen Zynismus inspiriert. Es stimmt schon, hier wirkt alles recht friedlich, obwohl es eine zweite Ebene gibt, die aufrüttelt – zum Beispiel die Tatsache, dass sich binnen wenigen Tagen Dutzende Leipziger Frauen meldeten, um für die beklemmende Videoinstallation Arising von ihren Gewalterfahrungen zu sprechen. Auch die hübschen Puzzle-Stücke, die der Besucher als Souvenir von der Ausstellung mitnehmen darf, verlieren ihren spielerischen Charakter, weil sie in Stahlhelmen präsentiert werden.
Särge und Helme sind nun aber keine ganz überraschenden Symbole für Krieg. Vielleicht sorgt das für das Gefühl des Unbefriedigtseins im Angesicht der Ausstellung, die – noch mal – auch beeindruckend schön ist. Peace is Power wirkt hier wie eine Zen-Vision von Frieden. Zwar sind die globalen, kriegerischen Kontexte präsent; sie werden aber in Watte gepackt. Der Aspekt der Power, Kraft und Stärke fehlt. Jedenfalls als eruptive Kraft.
Eigentlich ist es nur folgerichtig und logisch, dass Ono an diesem Tag nicht anwesend ist. Ihre Abwesenheit als Leerstelle steigert die Rolle der Künstlerin als Symbolfigur, als Projektionsfläche für unsere Wünsche nach Frieden – und irgendwie auch nach Erlösung vom Krieg. Sie hat die Macht. Sie muss nicht da sein, um Präsenz zu demonstrieren. Wir folgen ihren Instruktionen so oder so.
Info
Yoko Ono. Peace is Power Museum der bildenden Künste, Leipzig, bis 7. Juli
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