Immer wieder Bautzen

Rechtsextremismus Die Stadt Bautzen ist erneut zum Schauplatz rechter Gewalt und Proteste geworden. Stadt und Bürgermeister senden mit der Ausgangssperre für Flüchtlinge das falsche Signal

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Flüchtlinge haben Ausgangssperre, die Rechten den Kornmarkt
Die Flüchtlinge haben Ausgangssperre, die Rechten den Kornmarkt

Bild: Christian Mang/imago

Bautzen. Ausgerechnet und immer wieder Bautzen. Bautzen, meine Heimatstadt. Wo eine Flüchtlingsunterkunft angezündet wurde, der Bundespräsident als „Volksverräter“ beschimpft wurde. Bautzen, wo am Abend des 14. Septembers Polizeiangaben zufolge mindestens 80 Rechte auf 20 Flüchtlinge trafen. Die Meldungen über den Vorfall überschlagen sich am Nachmittag des 15. Septembers. Zunächst heißt es, es sei zu Ausschreitungen gekommen. Bei der taz entwickelten sich die Ausschreitungen rasch zur einer „Hetzjagd“ auf Flüchtlinge. Das passt natürlich gut in das Bild von Sachsen. Der rechte Mob jagt Flüchtlinge durch die Stadt. Pogromstimmung.

Eine Hetzjagd gab es wohl nicht, wobei eine Straßenschlacht zwischen Rechten und Flüchtlingen kaum weniger beunruhigend ist. In vielen Medienberichten heißt es, es werde noch untersucht, wer angefangen habe. Das ist ein bisschen wie im Kindergarten: „Der da war’s!“ Rasch aber verkündete die Stadt Bautzen die Konsequenzen aus dem Vorfall: Die Flüchtlinge bekommen Ausgangssperre nach 19 Uhr und ein Alkoholverbot. Schuldige gefunden? Der Sprecher der Bautzner Polizei sagte, die Gewalt sei von den Flüchtlingen ausgegangen, das ergäbe sich aus Zeugenberichten. Dass aber 20 Flüchtlinge auf ebenfalls bezeugte 80 bis 100 gewaltbereite Rechte losgehen, erscheint zumindest fragwürdig.

Eine pittoreske, leere Stadt

Man muss Nicht-Bautznern kurz erklären, was der Kornmarkt ist: Er ist der zentrale Ort in der Bautzner Innenstadt, umgeben von den touristischen Attraktionen der sehr pittoresk anmutenden Stadt. Im Grunde handelt es sich um einen großen leeren Platz vor dem Stadtmuseum, auf dem Wochen- und Weihnachtsmärkte stattfinden, Jugendliche skaten. Oder seit einiger Zeit gewaltbereite Menschen aufeinandertreffen. Denn das Geschehen von Mittwochnacht ist nicht das erste dieser Art. Es stellt lediglich eine neue Eskalationsstufe dar.

Direkt gegenüber befindet sich das Kornmarkt-Center, eine jener riesigen gesichtslosen Shopping Malls, die in so viele ostdeutsche Innenstädte gepflanzt wurden und stets die Anmutung eines Fremdkörpers besitzen. Der Ort jedenfalls ist ein sprechender Ort: Hier die Leere, da der Shoppinghimmel. Wenn man ihn sich denn leisten kann. Davor die Abgehängten, die Dagebliebenen, die Dazugekommenen. Keine gute Mischung.

Dabei sollte dieser Markt doch der wichtigste Ort der Stadt sein. Wenn Bautzen hier die Kontrolle verliert, die Markthoheit, sozusagen, dann im Herzen der Stadt. Der Markt ist ja schon lange kein Handelsplatz mehr, weder für Einheimische noch für Durchreisende. Und schon gar kein Ort des politisch-philosophischen Austausches wie im Falle der griechischen Agora. Wenn der Markt, der traditionell der Ort der Begegnung ist, nun aber zum Konfrontationsraum wird, von dem sich die meisten Bürger ab 17 Uhr abends zurückziehen, weil es zu gefährlich wird, dann kollabiert der städtische Raum ins Nichts des unvermittelten Nebeneinanderher-Lebens. Der Kornmarkt ist, obgleich er ein großer leerer Platz ist, eben doch kein unmarkierter Ort. Nun aber erhält er eine neue Markierung, als Schauplatz interkultureller Auseinandersetzung.

Als die Skinheads nach 1990 wie Pilze aus dem Boden schossen, in Bautzen wie anderswo in Sachsen, besetzten sie auch öffentliche Räume, aber es waren die Räume der Peripherie: im Gesundbrunnen, der großen Plattenbausiedlung in Bautzen, oder anderswo am Stadtrand. Die Bushaltestellen gehörten ihnen. Die Spielplätze, die Kioske. Nun aber dringen die Rechten ins Herz der Gemeinschaft vor. Dass sie fordern, dass Bautzen und der Kornmarkt wieder den Deutschen gehören solle, ist beinahe komisch angesichts der sorbischen Stadtgeschichte. Oder wäre es, wenn man nicht abwechselnd weinen oder schreien wollte angesichts der Ignoranz dieser Menschen. Die bloße Anwesenheit der Flüchtlinge ist den Rechten und letztlich einer Vielzahl der Stadtbewohner eine Provokation; aber diese Provokation ist nur deshalb möglich, weil der Flüchtling eine optische Markierung trägt und als „der Andere“ auffällt.

Der Fremde als Provokation

Immer wieder wird in Diskussionen um Fremdenfeindlichkeit in Sachsen festgestellt, dass Sachsen doch so gut wie keine Fremden habe. Woher also stamme die Fremdenfeindlichkeit? Dabei liegt genau hier das Problem: Jeder Fremde fällt auf. Jeder, dessen Hautfarbe und Habitus anders ist, wird zur Provokation fürs Auge. Das ist nicht möglich in Städten und Landkreisen, die über Jahrzehnte Einwanderung zum Beispiel aus der Türkei oder arabischen Ländern erfahren haben.

Das Problem wird noch verstärkt durch den Umstand, dass Bautzen eine Kleinstadt ist und in der kleinstädtischen Gemeinschaft Verhalten und unausgesprochene Normen in viel höherem Maße kontrolliert werden, als das in Großstädten oder gar Metropolen der Fall wäre. Richard Sennett verweist in seinem Buch Civitas (2009) darauf, dass die Stadt stets mehr ist als nur ein Ort auf der Landkarte und sie immer auch als moralische Ordnung zu begreifen sei. Als Civitas eben. In der Stadt werde die „Kultur des Unterschieds“ erfahrbar. Sie biete immer auch die „Provokationen eines Andersseins“. Diese Erfahrungen aber verwehrt die Kleinstadt, zumal eine Kleinstadt in einer Region, die über vierzig Jahre weitestgehend von der Welt abgeschlossen existierte. Bautzen ist eine Gemeinschaft der Alten und (am Ort) Zurückgebliebenen. Für diese aber ist der Flüchtling, der tausende Kilometer gereist ist, eine offene Provokation.

Eine Ausgangssperre für Flüchtlinge ist das falsche Signal. Sie verbannt das Fremde, das Angst erregt, in eine Sperrzone und verbirgt es vor den Augen der provozierten Betrachter. Im Gegensatz zu einem Platzverweis für diejenigen, die sich nachweislich eines Verstoßes schuldig gemacht haben, betrifft der Platzverweis in Sündenbock-Manier alle, die zu einer sozialen Gruppe gehören. Ob beabsichtigt oder nicht: Die Stadt bestärkt in ihrem Versuch, die Ordnung wiederherzustellen, gerade diejenigen, die diese Ordnung vernichten wollen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden