Ist Instagram wie Tiktok für Heidi Klum? Eine kleine Lehrstunde in Reichweitenproduktion

Soziale Medien Stories, Reels und Bauchfett-Weg-Werbung: Instagram verliert seinen Markenkern – und Nutzer kämpfen per Petition für ihr gutes altes Medium. Was daran verlogen ist? So einiges
Ausgabe 31/2022

Ich bin auf den Hund gekommen. Nun, mein Instagram-Feed ist es. Neuerdings sehe ich, sobald ich Instagram öffne, ein fluffig-weißes Etwas mit schwarzer Nase und schwarzen Knopfaugen. Ich habe nachgeschlagen, die Hunderasse nennt sich Samojede, eine sibirische Züchtung. Man muss schon Sinn für Humor haben, um in Zeiten der globalen Erwärmung einen Schneehund zur Trendrasse zu erheben. So niedlich der klimauntaugliche Fluffhund auch sein mag: Viel lieber sähe ich die Beiträge der Seiten, die ich abonniere. Doch geht es mir wie den meisten Insta-Usern, denen unzählige Reels von Personen, die sie nicht abonniert haben, in ihren Feed gespült werden.

Weswegen eine Fotografin namens Illumitati eine Petition startete. Make Instagram Instagram again. Es soll nicht großartig sein, es soll nur es selbst sein. Eine echte Wohlfühl-Botschaft für das 21. Jahrhundert. Auf ihren Insta-Aufruf folgte eine Change.org-Petition, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt, handelt es sich doch um eine Petitionsplattform, auf der sonst in hochpolitischen Fragen interveniert wird. Lasst Assange frei, stoppt Atomkraft, und jetzt eben: Verbannt die Reels aus meinem Feed. Doch was sind Reels, und was wollen sie von mir?

Selbst Heidi Klum war auf TikTok

Reels sind Videosequenzen, die mit Musik unterlegt werden und eindeutig an Tiktok-Videos angelehnt sind. Falls Sie nicht aus diesem Jahrhundert stammen: Tiktok wurde bekannt, weil Teenager sich darin zu Songschnipseln tanzend produzierten. Schließlich machte sogar Heidi Klum mit (sie ist aber keine Teenagerin mehr).

Wenn ich auf Insta nicht gerade Reels sehe, erklären mir Werbevideos, wie ich auf die Schnelle Bauchfett loswerde. Ich lasse dann zwar regelmäßig die Pralinenschachtel aus meinen Händen fallen; aber meinem Wunsch-Content bin ich damit keinen Schritt näher. Die Werbevideoflut ist das zweite große Problem der Plattform, das Produser vergrault. Der Produser ist die Kernfigur des Social-Media-Zeitalters, eben weil Produzent und Nutzer in einer Person zusammenfallen. Influencer wiederum sind Produser, die aus Reichweite Kapital schlagen. Gerade Instagram wurde berühmt für die schamlose Werbung der Influencer, die Produkte platzieren. Aber im Grunde stört sich niemand daran, weil man diesen Leuten nicht folgen muss und dementsprechend auch keinen Content sieht, den man nicht sehen will.

Anders mit den Werbekunden, die ihren Content durch Bezahlung in meinen Feed spülen. Wobei Instagram oder die Werbekunden völlig wahllos vorgehen. Ich zum Beispiel wurde im Mutti-Segment verortet – vielleicht liegt es an der Kolumne „Mutti Politics“ für diese Zeitung –, daher also die Werbeanzeigen für Bauchfett- und Zornesfaltenreduktion oder Beckenbodentrainingsapps. Da muss man schon aufpassen, dass man vor lauter Lachen nicht in die Hose nässt.

Quasi-magischer Instagram-Algorithmus

Paradoxerweise war es jeweils die wachsende Popularität konkurrierender Plattformen, die Instagram den Markenkern austrieben. Der Erfolgskurs von Snapchat führte zur Erfindung der Stories, die nach 24 Stunden verschwinden. Fortan musste, wer viele Follower erreichen wollte, täglich Stories posten. Denn Beiträge wurden nun nach Relevanz (die quasi-magisch vom Insta-Algorithmus ermittelt wurde) und nicht in chronologischer Folge angezeigt. Das Reel wiederum rückt Entertainment und Erheiterung für Menschen mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Meerschweinchens in den Vordergrund. Der eigentliche Markenkern, das quadratische Bildfeld, ging verloren. Dabei war dieser Markenkern die radikale Neuerung Instagrams. Denn Fotos werden normalerweise in Quer- oder Hochformat aufgenommen; die quadratische Form erzwang eine neue Art der Bildästhetik, die sich gerade aus der Beschränkung des Bildraumes ergab. Auch Twitter erzeugte einst mit seiner 140-Zeichen-Beschränkung einen eigenen Kommunikationsstil. The Medium is the Message.

Es ist allerdings verlogen, wenn Top-Influencer und Profi-Fotografen auf Instagram behaupten, sie seien traurig, dass sie „keine Bilder von Freunden“ mehr zu Gesicht bekämen. Man trauert wohl einfach der eigenen Reichweite nach. Instagram möchte nun behutsam einige Neuerungen zurücknehmen. Doch die Message ist klar: Instagram möchte nicht mehr Instagram sein.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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