Kauf den Bikini, du dickes Stück!

Bilder Idealschönheiten auf Bildern sind allgegenwärtig. Vor allem scheinen sie uns Körper-Normalos beleidigen zu wollen. Aber was wollen die Bilder wirklich? Eine Psychoanalyse

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Kauf den Bikini, du dickes Stück!

Foto: Jewel Samad/AFP/Getty Images

Neulich sah ich auf Facebook einen Thread mit einem Werbebild: Makellose sonnengebräunte Schönheit präsentiert Bikini. Auf der verglasten Werbefläche (wohl eine Bus/Bahn-Haltestelle) hatte ein Bilderstürmer mit Edding den Text „Mädels, so müsst ihr nicht aussehen!“ hinzugefügt.

Ach, wie spannend, dachte ich und begann den Thread zum Bild zu lesen. Der mit Abstand häufigste Kommentar von Userinnen lautete überraschenderweise: „Muss nicht, kann man aber!“ Selfie-Grinsen mit Bikini-vor-Spiegel inklusive. Schon verstanden: Ihr seht top aus, Mädels! Die andere Hälfte der Kommentare pflichtete bei: Wer so was schreibe, sei halt dick oder eine „Emanze“ oder beides.

Nun hätte ich spontan die Bildinschrift ganz anders gedeutet, nämlich als Botschaft eines Mannes an die Frauenwelt: „Mädels, ihr müsst gar nicht so mager und idealschön und vollkommen sein. Wir (also die Männer) mögen euch auch so, wie ihr seid.“

Vielleicht war das Wunschdenken, aber ich habe in letzter Zeit nicht wenige Gespräche mit Männern geführt, in denen mir gestenreich erläutert wurde, es dürfte an den entsprechenden Körperstellen auch gerne mal mehr sein (nicht nur obenrum). Da schien mir diese Lesart immerhin plausibel.

Böses Bild!

Bilder Bilder, überall Bilder!, und ständig scheinen sie uns normal attraktiven, normal schlanken, normal normalen Menschen eine Nase zu drehen, „Ätsch, wer das sieht und nicht so aussieht, ist doof!“

Bilder haben ein schlechtes Image. Wir halten Bilder für gehässig, weil sie dem Warenfetischismus Vorschub leisten und der Übersexualisierung von weiblichen Körpern. Vor allem scheinen sie zu wollen, dass wir uns schlecht fühlen, besonders dann, wenn sie uns in ihrem Herzen einen besonders schönen, erfolgreichen Menschen präsentieren.

Aber das alles wollen die Bilder doch gar nicht. Sie wollen nicht, dass wir magersüchtig werden, sie wollen nicht - ganz im Sinne der „kapitalistischen Logik“, wie sie Laurie Penny diagnostiziert – den weiblichen Körper zum Verschwinden bringen, symbolisch und real, so niederträchtig sind sie nicht.

Apropos: Laurie Penny hat ihre eigene Magersucht zum Thema gemacht; sie verortet die Ursachen der Magersucht – wie so viele – in den vom Kapitalismus in gemeiner Einigkeit mit dem Patriarchat produzierten Bildern und Fantasien von Weiblichkeit und weiblichen Körpern.

Aber hier erliegt sie ihren eigenen Fantasien – über den eigenen Körper und darüber, wer Kontrolle und Regulierungswut über den Körper ausübt:

"From time to time, I still miss my eating disorder," says Penny. "I miss the sense of control that comes when avoiding food is your highest ambition."

(Laurie Penny, zit. nach Independent)

Kontrolle und Selbstkasteiung - das macht nicht der Kapitalismus mit "uns" Frauen, nicht der Mann, nicht das Bild: Das machen wir selbst. Aber ach, wir haben dem Bild den Schwarzen Peter zugeschoben!

Das Leben der Bilder

Aber was will das Bild? Eine abwegige Frage, könnte der Leser nun sagen, denn was soll ein Bild schon wollen können? Aber so abwegig ist die Frage nicht.

Wir schreiben Bildern gerne magische Kräfte zu. Wir denken, sie könnten uns verführen (zum Kauf von Dingen), sie könnten uns oder unseren Gott beleidigen (Mohammed-Karikaturen) oder Narzissmus fördern (in Form des Selbstbildnisses/Selfies).

Uns schmerzt der Anblick der Verstümmelung antiker Skulpturen in Ninive und anderswo. Zugleich zerreißen wir die Bilder unserer Ex-Geliebten, wenn sie unsere Liebe nicht länger verdienen, als könnten wir den nicht mehr Geliebten so verletzen.

Der Umstand, dass auch heute noch Bilder zu Opfern von Messerattacken und Säureattentaten - allen möglichen Formen von Ikonoklasmus also - werden, zeigt, dass die Moderne der Magie der Bilder hoffnungslos verfallen ist.

Das sage übrigens nicht (nur) ich, das schreibt W. J. T. Mitchell in seinem Buch Das Leben der Bilder. Mitchell plädiert dafür, den Bildern genau das Eigenleben zuzugestehen, das ihnen in unserer Fantasie ohnehin schon innewohnt.

Er spricht ihnen, kurz gefasst, einen Willen, ein Begehren zu, und deswegen stellt er die schlichte Frage: Was will das Bild? Die Frage ähnelt übrigens nicht zufällig der Frage Sigmund Freuds danach, was das Weib wolle: Sie sind ja beide „nur“ Objekte des Diskurses, nicht wahr?

Bewundere mich!

Mitchell jedenfalls weiß, was das Bild begehrt: Es will bewundert werden. Es will den Betrachter fesseln, einspinnen, in seinen Bann ziehen.

Das Bild, man gestatte mir dieses Gleichnis, ist das Äquivalent zum aufmerksamkeitsgeilen It-Girl unserer Tage. Wenn es nur könnte, würde es sich permanent mittels Selfiestick und Smartphone bespiegeln. Aber im Grunde braucht es all das nicht, denn es hat ja uns, die Betrachter.

Bilder also mögen selbstverliebt sein, boshaft aber sind sie nicht. Könnte das oben genannte Bild sprechen, dann lauteten seine Worte wohl: „Hey du, ja du!, soll ich dir was zeigen? Guck mal, Brüste!, habe ich deine Aufmerksamkeit? Hier ist übrigens noch ein Bikini zu sehen. Nein, geh noch nicht weiter, guck mal, wie straff die Schenkel sind, huhu, Badeanzug!“

Nur würde das Bild all das so richtig sophisticated ausdrücken, nicht so plump wie ich.

Das Bild und seine Botschaft

Aber wir verstehen die Botschaft des Bildes nicht. Die Edding-Botschaft auf dem Bild sagt: "Ihr müsst nicht so aussehen!" Offenkundig ist das ein Versuch, die Botschaft des Bildes – oder das, was wir dafür halten – zu überschreiben. In unserer Imagination lautet die Botschaft nämlich: „Guck mal, wie perfekt die ist! So musst du auch aussehen!“

Es ist, als würde das Bild uns mutwillig beleidigen, mit den gezeigten straffen Schenkeln und dem schönen Busen. Aber ist das die Intention des Bildes?

„Wenn wir durch das, was ein Bild ‚sagt‘, gekränkt sind, verhalten wir uns wie der Bauchredner, der sich von seiner eigenen Puppe beleidigen lässt.“

(W.J.T. Mitchell, Das Leben der Bilder)

Das Bild bereitet uns (also, vielen Frauen) ein schlechtes Gefühl, weil wir seine Intention missverstehen, weil wir glauben, es könne ernsthaft wollen, dass wir so sind, wie die Frau auf dem Bild. Das Bild wäre ja verrückt, wenn es das wollte!

Denn Aufmerksamkeit funktioniert so: Abgesehen von Sex, der immer Aufmerksamkeit erzeugt, muss etwas schon besonderes sein, damit es unsere Aufmerksamkeit fesselt. Eine richtig schöne Frau, ein sehr attraktiver Mann, durchtrainiert und knackig, das bekommen wir nicht überall zu sehen.

Schon gar nicht, wenn wir früh in den Spiegel gucken (entschuldigen Sie, wenn ich Sie hier einfach mit eingemeinde, aber das macht die Sache wirklich leichter für mich!).

Besonders ist der Bildgegenstand nur, weil wir eben nicht alle so aussehen wie das Model auf dem Bild. Das Bild kann gar nicht wollen, dass wir alle so aussehen. Nein, es will ja etwas anderes zeigen, etwas, das einen Zeichenwert hat, weil es ungewöhnlich ist. Das Bild will also genau das Gegenteil von dem, was wir glauben, dass es will.

Kauf diesen Bikini!

Und was will der Werbemensch, der das Bild hergestellt hat? Hier ist die Frage schon komplizierter gelagert. Die Modebranche ist meiner Meinung nach die einzige Branche, die eine verzwickte Doppelbotschaft an uns Käufer sendet.

Sie sagt nicht nur: "Kauf dieses Produkt, dann fühlst du dich schön/reich/hip/unwiderstehlich." Sie sagt uns zugleich: "Kauf diesen Bikini, aber nimm erst mal 20 Kilo ab, du dickes Stück." Das ist keine nette Botschaft, wir müssten eigentlich alle kollektiv die Modebranche boykottieren. Warum wir uns das trotzdem gefallen lassen?

Ganz besonders wir Frauen neigen zu einem Masochismus, der mit sadistischer Freude das Selbst seziert. Die Modebranche wiederum macht sich unseren Sado-Masochismus zunutze. Ich ahne es schon, man wird mich nun wieder naiv schimpfen. Offenkundig durchschaue ich die Strategie des Kapitalismus und des Patriarchats nicht. Geschenkt.

Aber anders gefragt: Welches Interesse hat die Modebranche eigentlich daran, eine Vielzahl von Kundinnen schon deswegen auszuschließen, weil sie zu „dick“ sind (Mango erntete einen heftigen Shitstorm nachdem bekannt wurde, dass man Größe 38 bereits als Übergröße einstufte)?

Aus Sicht einer Branche oder eines einzelnen Unternehmens ist es nicht gerade schlau, ein breites Spektrum an Kunden zu vergrätzen, indem man ihnen sagt, sie seien zu fett. Das kann nur dann im Interesse einer Branche sein, wenn es das Interesse der Kunden spiegelt. Und vor allem dessen Distinktionsbestrebungen.

Distinktion als Bedürfnis

Die Modebranche und die von ihr produzierten Bilder befriedigen das Distinktionsbedürfnis vieler Frauen. Das bringt uns zurück zu den Facebook-Kommentaren von oben. Die kommentierenden Frauen kamen sich nicht albern dabei vor zu betonen, wie fit und schlank und sportlich sie seien. Und dass ihr Körper natürlich so schön sei wie der abgebildete: "Alles eine Frage der Disziplin!"

Was also, wenn es nicht die Bilder sind, die uns (und längst nicht mehr nur den Frauen) das Leben schwer machen, sondern die unbewusste Einsicht, dass schlank und schön zu sein das ultimative Distinktionsmerkmal ist.

Weil Schönheit einem genetischen Glücksspiel unterliegt (also die undemokratischste aller Eigenschaften ist) und auch Schlankheit auf Veranlagung beruht (u.a. hierzu eine wirklich wunderbare Diskussionsrunde mit dem Titel The Body And Its Image vom Philoctetes Center für interdisziplinäre Forschung).

Nicht das Bild sendet die gehässige Botschaft: "Guck her, die ist schön und du bist es nicht!" Ja, diese Botschaft ist nicht einmal Werkzeug der fiesen Konsum- und Warenwelt, die unser Selbstbild zu beeinflussen sucht. Es ist viel schlimmer: Die Botschaft des Bildes, das ewige du bist nicht gut/schön/schlank genug, ist unser eigener nagender Minderwertigkeitskomplex der nach Kompensation verlangt.

Wir projizieren die eigene Unzufriedenheit auf das Bild, und dem wir uns einreden, erst das Bild erzeuge die Komplexe, die uns krank machen. Dabei will das Bild doch nur eines: geliebt werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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