Keep calm and rolex, Sawsan!

Rolex-Gate Halb Deutschland, oder jedenfalls Twitter, schimpft über Sawsan Cheblis teure Rolex. Dabei ist das Bling-Bling-Ding seiner Trägerin gar nicht unähnlich

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Besetzt mit Steinen des Anstoßes: die Rolex
Besetzt mit Steinen des Anstoßes: die Rolex

Foto: Justin Tallis/AFP/Getty Images

Politiker sollen so sein wie wir, nicht wahr? Nicht allzu intelligent oder gar Absolventen von Elite-Unis, denn dann kämen wir Ottonormalbürger*innen uns unnötig dumm und erfolglos vor. Einem, wie dem Freiherrn von und zu Guttenberg, na ja, dem nahmen wir den Adelstitel, die Maßanzüge und den Doktor ab. Wirkte er doch so arg sympathisch mit seinem Faible für AC/DC. Und ist er nicht letztlich ein hart arbeitender Familienvater, so wie wir alle? Okay, nicht ich, ich bin kein Vater.

Zu peterhaft – Sie wissen schon, das Peter-Prinzip – sollen Politiker aber bitte auch nicht sein, jedenfalls nicht offensichtlich. Einer wie Maaßen, der fürstlich besoldet wird, und dabei fragwürdige Vorstellungen von Amt und Würde hat, berührt uns peinlich, macht gar wütend.

Einem Volk, das solche Idealpolitiker kennt, ist eine Politikerin wie Staatssekretärin Sawsan Chebli, SPD, nur schwer zu vermitteln: Als Kind von Migranten immer schon als "fremd" markiert, dabei aber außergewöhnlich erfolgreich, eben alles andere als durchschnittlich. Vielleicht ist sie ein Role Model für Muslimas, weil sie gläubig ist und durchgestylt, vielleicht repräsentiert sie auch ein doppelt patriarchales Rollenbild, weil sie gläubig ist und durchgestylt, man weiß es nicht, diese Chebli ist nicht zu fassen. Auch deswegen werden Artikel nicht müde zu betonen, DASS SIE SCHWIERIG IST.

Als Migrantin sowieso. Der Migrant hat im deutschen Integrationszirkus die Rolle des fleißig Lernenden zu spielen, er darf auch der ewige Versager sein, der sich die deutsche Sprache (ist auch wirklich schwer) nicht draufschaffen kann, weil er zu viel türkisches Fernsehen schaut. Dass er sein Auto so sehr liebt wie wir, macht ihn emotional zu einem von uns, aber warum zur Hölle muss er sein Auto tunen, und müssen Auspuffe (Auspüffe, oh Gott, die Sprache ist so schwer) wirklich so laut sein?

Sawsan Chebli jedenfalls wurde auf Twitter ausgeschimpft, weil sie Rolex trägt. Jaaa, die Luxusuhrenmarke. 7000 Euro!, rufen die Wähler entgeistert. Wie viel Pfand ein Rentner dafür sammeln muss! Sawsan, übe dich in deutscher Zurückhaltung und Bescheidenheit, all der Bling-Bling ist wirklich #ghetto, und davon wollten wir Deutschen noch nie was wissen.

Du darfst uns gerne erzählen, wie du mit deinen zwölf Geschwistern in einem Zimmer leben musstest, aber bitte zeig uns nicht, dass du nun ein größerer Erfolg bist, als die meisten von uns es je sein werden. Besoldungsgruppe B11, wem Besoldungsgruppe B11 gebührt. Also nicht dem Migrantenkind.

Natürlich befriedigt die Rolex unsere Vorurteile. Über Araber und so. Ich meine, haben Sie schon mal einen Shop für arabische Hochzeitsdeko besucht? Glänzt mehr als die eingeölte Miley Cyrus in Latex.

Chebli ist ja nicht die erste Sozialdemokratin, die über Luxus-Items stürzt, auch Peer Steinbrück wurde über die Bekundung, dass er gerne Wein FÜR ÜBER FÜNF EURO trinkt, die Befähigung, Kanzler für alle zu sein – also auch für diejenigen, die gerne Aldi-Wein aus dem 99Cent Tetra Pak trinken – abgesprochen. Sozialdemokraten, das lernen wir aus der Kritik an ihnen, sollen dem Schönen und Guten so fern wie möglich stehen. So bitter und trist soll ihr Alltag sein, dass sie sich unentwegt an das Leid der Arbeiterschaft in den Ausbeuterfabriken des 19. Jahrhunderts erinnert fühlen. Schmeckst du jetzt das bittere Brot, lieber Peer?

Man beachte bitte auch die Symbolik der Uhr, die natürlich niemand versteht, weswegen ich sie hier erkläre: Es handelt sich um ein völlig nutzloses Ding. Keiner muss mehr eine Uhr tragen, um zu wissen, wie spät es ist. Wozu gibt’s denn Smartphones? Also ist sie überkodiert als überflüssiges Luxusobjekt, ein Too-Much am Arm der Trägerin, unterstrichen wird das durch ihre schiere Größe: Damenuhren sind bekanntermaßen eher zierlich, damit sie (unter dem Blusenärmel getragen!) nicht allzu stark auffallen. Das Bling-Bling-Ding aber schreit: Hier bin ich, und ist der Trägerin darin nicht unähnlich.

Die Luxusuhr gemahnt an die Zeit, als nicht Zeit der Luxus war, sondern das Tragen der Uhr, die von Uhrmachern in mühevollster Handarbeit gefertigt wurde, um dann doch immer nachzugehen, weil man das Aufziehen vergaß. Chebli wiederum erinnert uns an den eigentlichen Traum des Arbeiters: Der will keinen armen Arbeiterführer (was wäre Marx ohne Engels' Money gewesen?) oder lediglich etwas weniger Armut. Der Arbeiter kämpft für eine satte Betriebsrente bei VW, von der er sich schließlich doch bescheidenen Luxus leisten kann. Er träumt davon, Zeit zu haben, diesen Luxus auch zu genießen – also nicht erst mit 77 in Rente zu gehen. Wollen wir nicht lieber über Renteneintrittsalter statt über Uhrenvorlieben sprechen?

Überhaupt, was soll die Forderung nach Bescheidenheit? Nehmen wir nur den Papst: Gefeiert wird er für eben diese, fährt er doch einen alten Fiat. „Fiat“ sagte auch die junge Frau Maria im Moment der Verkündigung durch den Engel, und dann hatte sie den Salat.

Der Papst mag sich seine Bescheidenheit leisten können. Nur ist die zur Schau gestellte „Armut“, die natürlich relativ ist, mehr als affirmativ. Sagt sie doch eigentlich: Ihr Ärmsten der Welt, wenn selbst der Papst auf Luxus verzichten kann, dann solltet auch ihr eure Träume von einem kleinen bisschen Luxus begraben. Die Armut des Papstes macht keinen Armen weniger arm, keinen Reichen ein bisschen weniger reich. Sie ist nicht vorbildlich, sie stützt den Status quo. Obendrein zeigt die Kirchengeschichte, dass es so etwas wie einen Exzess der Bescheidenheit geben kann. Der glanzvolle Exzess im Luxus der Kirchenausstattung hat Da Vincis und Fiorentinos hervorgebracht; die exzessive, bußfertige Selbstgeißelung eines Savonarolas dagegen was?

Ja ja, das waren noch Zeiten, als Kirchenräume vor Gold und Marmor übergingen, und Pontormos mit Michelangelos um die rosigsten Leiber und purpurrotesten Gewänder konkurrierten. Zeitgenössische Kirchenräume dagegen können gar nicht genug betonen, wie exzessiv sie den schwungvollen Protz ablehnen, von Manufactum-Verkaufsräumen unterscheidet sie überhaupt nur das dezentral platzierte Kreuz. Bescheidenheit is key, liebe Sawsan, und deswegen wirst du nie eine von uns sein. Schreib dir das auf, sonst vergisst du das wieder!

Mit der Kritik an Sawsan Chebli, und das macht sie zum gemeinschaftsstiftenden Akt, kann sich jeder Deutsche bequem identifizieren: Jene mit distinguiertem Geschmack, die ihre Wohnzimmer wie protestantische Kirchenräume einrichten, lehnen das Protzen ganz und gar ab. Dezent und reduziert muss der Stil sein, dann darf der Weinkühlschrank auch mal 10.000 Euro kosten. Für diejenigen, die am liebsten Migranten an allem die Schuld geben UND obendrein die Elite bashen, zu der sie selbst gerne gehören möchten, ist die Besoldung der Staatssekretärin ein Affront. Immerzu kriegen die Ausländerpolitiker unser Geld!

So muss sich dann auch eine wirklich kleine Minderheit – der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner – zur Verteidigung von Chebli aufschwingen. Die FDP bügelte ja noch jede Kritik an Reichtum als Neiddebatte ab. So haben alle etwas von der Empörung. Keep calm and rolex, liebe Sawsan! Du hast die Zeichen der Zeit erkannt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

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Marlen Hobrack

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