Laie vs. Experte? Ein Einwurf zum Fall Edathy

Justiz Die erste Empörungswelle zum Fall Edathy ist abgeebbt. Zeit, die Metaebene der Debatte zu betrachten und zu fragen: Darf der Laie bei diesem Thema überhaupt mitreden?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Laie vs. Experte? Ein Einwurf zum Fall Edathy

Bild: Imago / CommonLens

Ich muss gestehen, ich war ein wenig verwundert, als ich Jakob Augsteins Text Das ungesunde Volksempfinden zur Edathy-Debatte auf Spiegel.Online las. Augstein beklagt sich in seinem Artikel vor allem darüber, dass sich das Volk als Richter (und potenzieller Henker - was mitschwingt, Augstein aber nicht explizit sagt) aufspiele.


"Mindestens vier Jahre Jurastudium, zwei Jahre Referendariat, zwei Staatsexamen, alles mit hervorragenden Noten, dann die Probezeit. Das sind die Voraussetzungen, wenn man an einem ordentlichen Gericht über Schuld und Unschuld eines Angeklagten befinden will.
Im Internet geht es offenbar schneller. "

Natürlich wehrt sich Augstein hier gegen einen "Pöbel", der "Kinderschänder" oder Kinderpornokonsumenten am liebsten am Galgen baumeln sehen möchte oder, wenn dies nicht möglich ist, die betreffende Person moralisch und öffentlich zu vernichten trachtet.

Trotzdem besitzt Augsteins Text einen Subtext, der dem Nicht-Juristen das Recht abzusprechen scheint, öffentlich eine Meinung zum Falle Edathy vorzutragen. Eröffnet wird eine Kluft zwischen Wissenden und Nichtwissenden. Augstein richtet sich konkret gegen Till Schweiger (Journalisten und Schweiger scheint ja eine Hass-Liebe zu verbinden), meint aber im Grunde alle Laien.


"Er hat Germanistik und Medizin studiert und abgebrochen und seitdem unter anderem als Synchronsprecher für Pornofilme, als Schauspieler und als Regisseur gearbeitet. Warum nicht? Das sind alles Jobs, die gemacht werden müssen. Aber befähigen sie Schweiger dazu, der Causa Edathy etwas Sinnvolles hinzuzufügen?"


Nimmt man die Frage ernst, so müsste man auch die Mehrheit der Journalisten von der Diskussion von Urteilen ausschließen. Das aber kann nicht Sinn der Sache sein.

Augsteins Text konstruiert einen Spezialdiskurs, der wiederum nur durch Juristen kommentiert und geführt werden dürfe. Das erinnert ein wenig an die katholische Kirche. Was nicht sagen will, dass Juristen an eine höhere Macht (in dem Fall wohl sie selbst) glauben. Der juristische Laie soll vielmehr glauben, dass die Juristen wissen, was sie tun. Glaube statt Einsicht ("Selig sind, die nicht sehen und doch glauben." Johannes 20:29).


Unterschwellig suggeriert der Text, dass der Mangel an Wissen zwangsläufig zu Fehl- und Vorurteilen führen müsse, ein Risiko also, gegen das nur Fachwissen immunisiere. Dabei sind selbst Juristen nicht frei von Vorverurteilungen. In der Süddeutschen Zeitung vom 7./8. März gibt es einen Artikel zum 39. Strafverteidigertag, der sich mit dem Inertia-Effekt beschäftigt. Es geht dabei um vorgefasste Meinungen, die auch später durch Argumente nicht mehr widerlegt werden können, ein Effekt, der auch bei Richtern zu beobachten ist. Es scheint also, dass weder Laien noch professionelle Richter frei sind von Vorverurteilungen.

Spezialdiskurse für Laien aufbereiten

Nun mag man in unserer hochspezialisierten Welt viele Exempel für Praktiken finden, die nicht jeder verstehen und im Einzelfall bewerten kann. Das heißt aber nicht, dass wir "Laien" sie nicht debattieren dürfen.

Beispiel "Praena-Test" (Bluttest für Schwangere zur Feststellung von Trisomie 21, 18 und 13 beim Ungeborenen): Auch hier handelt es sich um ein durchaus komplexes Thema, das Statistik, Genetik, Ethik und Rechtswissenschaft berührt. Trotzdem habe ich noch von keinem Bioethiker oder Mediziner gehört, der Laie habe sich in diese Debatten gefälligst nicht einzumischen. Schließlich habe er keine Ahnung davon. Im Gegenteil: In allen großen Zeitungen schreiben Journalisten, Mediziner und Ethiker Texte, die vor allem dazu beitragen sollen, das Verständnis von Laien zu verbessern. Weil dieses Thema wichtige Grundsatzfragen berührt.

Und was macht die Juristerei? Richter Thomas Fischer schreibt in der Zeit einen mehr als arroganten Text, in dem er die Kritiker am Edathy-Nicht-Urteil als bigotte Pornokonsumenten abtut. Nun kann man bissig argumentieren und jene, die im Netz lautstark zur Hetzjagd auffordern, natürlich kritisieren. Nur darf man diese heuchelnde Empörungsrhetorik nicht seinerseits mit einer Rhetorik der Verachtung überbieten.

Als Laie finde ich es wichtig und richtig, dass ein Richter das Prinzip des Paragraphen 153a StPO verständlich erklärt und ggf. die Probleme darstellt. Gut so. Aber warum so viel Herablassung in dem Artikel? Denn dieser unterstellt ja, dass alle, die ein wenig verwundert angesichts des nicht vorhandenen Urteils dastehen, verlogen und imbezil sind.

Zudem vermischt Richter Fischer, beabsichtigt oder nicht, einige Ebenen der Debatte. Diese gliedert sich nämlich in zahlreiche implizit oder explizit angesprochene Unterthemen, u.a.:

1. Der Verfahrenseinstellung und die juristische Praxis im Umgang mit § 153a StPO: Das Thema ist komplex, und vielleicht nicht für jeden Laien leicht verständlich. Trotzdem muss auf den Unterschied zwischen Urteil und Verfahrenseinstellung hingewiesen werden. Juristischen Laien muss klar sein, dass die Geldauflage keine Strafe ist.

2. Die öffentliche Empörung angesichts des Vergehens einer öffentlichen Person: Dass hier rasch - besonders im Netz - ein Überbietungswettkampf in Vorverurteilungen aufkeimt, ist bedauernswert. Klar ist dabei allerlei dummes Zeugs und Bigotterie im Spiel. Geschenkt. Es ist richtig, der Vernichtung einer öffentlichen Person Einhalt zu gebieten. Zugleich ist das öffentliche Interesse an der Person bis zu einem gewissen Grade legitim.

3. Die Empörung angesichts von Straftaten an Kindern: Es ist zunächst einmal verständlich, dass die Gesellschaft hier besonders sensibel reagiert. Richter Fischer hat ja recht damit, dass es bigott ist, wenn wir Germany's Next Topmodel (wo Teenager in Strapsen auftreten und die Kamera auf wackelnde Popöchen zoomt) okay finden, aber ausrasten, wenn Edathy Bilder von Jugendlichen" in eindeutigen Posen" betrachtet. Diese Empörung hat auch damit zu tun, dass wir verklärend Kinder als Heiligtümer und schützenswerte Unschuld betrachten, zugleich aber nur allzu gut wissen, dass Gewalt an Kindern auch und vor allem im persönlichen Umfeld geschieht, viele Bieder- und Saubermänner (und -frauen) also Täter sind.
Man kann die Übersexualisierung und Verlogenheit unserer Gesellschaft beklagen, das ändert aber nichts daran, dass Empörung auch angesichts des Konsums "harmlosen Materials" entsteht.

4. Die Frage, in welchem Kontext das "harmlose" Material entstanden ist und wie dieses zu beurteilen ist: Wurden hier nur ein paar Jungen oder Jugendliche in "expliziten" Posen abgelichtet? Und was folgte auf diese Bilder? Muss der Konsument, der harmloses Material kauft, nicht damit rechnen, dass den Kindern und Jugendlichen Schlimmeres angetan wird? Ferner stellt sich die Frage, ob solche harmlosen Bilder in der Psyche der betroffenen Kinder und Jugendliche nicht trotzdem erhebliche Spuren hinterlassen können. Und: Ist das eine Frage, die die Justiz beschäftigen muss im Kontext des Falles Edathy?

5. Das öffentliche Interesse an der Frage, wie hart das betrachtete Material war: Fischer unterstellt dem empörten Biedermann in seinem Text eine Art pornografische Lust auf Kopfkino (wie furchtbar war das gezeigte Material?). Er könnte hier durchaus Recht haben. Susan Sontag stellt in ihrem Essay Das Leiden anderer betrachten fest, dass die Betrachtung des Leidens anderer immer auch eine pornografische Schaulust mit einschließt. Und dass diese Schaulust, die eigentlich Angstlust ist, für das Individuum extrem verstörend ist. Zugleich ist sie menschlich. Hieraus kann man der Öffentlichkeit keinen unmittelbaren Vorwurf machen. Und diese "Schaulust" ist nicht identisch mit der Erregung beim Betrachten der realen Bilder.

6. Das allgemeine Empfinden, dass Sexualdelikte zu lasch abgeurteilt und bisweilen Sachschäden (Steuerhinterziehung) härter bestraft werden.
In weiten Teilen dieser Debatte können Juristen sehr stichhaltig Gründe für das eine oder andere Urteil liefern. Aber natürlich kann man unmöglich jedes Urteil im Einzelnen erklären. Bis zu einem gewissen Grad werden Juristen also immer damit leben müssen, dass so manche Strafe als nicht tat- und schuldangemessen empfunden wird. Das macht die Debatte um dieselben jedoch nicht unangenemessen.


Viele dieser Themen haben mit dem Fall Edathy zunächst nur mittelbar zu tun, erklären aber, warum die Gemüter so rasch hochkochen. Und: All diese Themen schwingen immer mit, wenn wir den individuellen Fall betrachten.

Rechtspraxis und gesellschaftliche Normen

Juristen tun sich jedenfalls keinen Gefallen damit, wenn sie juristische Diskurse von "Laienbetrachtungen" abzuschirmen suchen. Wie Medizin, Ethik, Naturwissenschaft und Psychologie berührt auch die Rechtswissenschaft unser aller Leben. Gesetze reflektieren gesellschaftliche Normen und Normsetzungen. Und nicht zuletzt führen veränderte Normsetzungen zu Gesetzesneufassungen oder deren gänzlicher Abschaffung (Bsp.: § 175 StGB, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte).

Mit anderen Worten: Wer ernsthaft behauptet, der interessierte Laie solle sich aus juristischen Diskursen heraushalten, spricht einer Gesellschaft letztlich das Recht ab, gesellschaftliche Normen, die sich auch im Strafrecht niederschlagen, zu diskutieren und auszuhandeln.
Dass die Juristerei zudem nicht unfehlbar ist, und dass sie der Kontrolle durch Medien und interessierte Laien bedarf, zeigt der Fall Gustl Mollaths, in dem mittlerweile fast alle Verfahrensbeteiligten Fehler einräumen.

Schließlich und endlich zeigen Fälle wie Hoeneß und Edathy, dass Bürger allzu oft eine "Gerechtigkeitslücke" empfinden. Wenn diese Lücke lediglich eine "Empfindung", nicht aber eine gerechtfertigte Tatsache repräsentiert, dann ist es an der Justiz, Begründungen für gefällte Urteile zumindest in solchen Fällen, die besonders öffentlichkeitswirksam sind, nachzuliefern (nicht weil sie das müsste, sondern weil sie es kann).

Richter Fischer tut der Justiz einen Bärendienst, indem er jenen, die nicht einfach blind und stumm akzeptieren, Einfalt unterstellt. Kritisch zu hinterfragen, freilich auf anständigem (und hassfreiem) Niveau, muss Bürgern erlaubt sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden