Was nur will uns ein Autor mit seinem Werk sagen? So oder so ähnlich lautet ja die Grundfrage der Hermeneutik, einer Disziplin, die die Literaturwissenschaft heute so scheut wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser. Der Autor, so hieß es einmal, sei tot; dafür aber wirkt er ungeheuer lebendig. Das liegt nicht zuletzt am Verlangen des Lesers nach Medien der auktorialen Selbstvergewisserung. Tagebuch, Biografie und Briefe genießen, in Buchform gegossen, besondere Beliebtheit. Was liegt da näher, als dem Leser gleich alle drei Formen in einem Buch vorzulegen?
Bei Tomas Espedal wird der Titel Biografie, Tagebuch, Briefe Programm, oder umgekehrt. Und so gliedert sich der Text in drei Teile, oder soll man sagen, dass das Buch aus drei eigenständigen Texten
#228;ndigen Texten besteht – also dem Tagebuch, der Biografie und den Briefen? Nur ließen sich die Teile, wären sie nicht unterschiedlich betitelt, gar nicht so klar voneinander trennen.Oder einfach so ins NichtsEs handelt sich, natürlich, um ein Buch über das Schreiben von Büchern. Warum schreibt der Autor ein Buch? Weil er sonst mit sich und der Welt gar nichts anzufangen weiß, weil Schreiben Zeit ist, Zeit macht, und weil die Zeit viel zu schnell vergeht. Es findet sich ja schon bei Lessing der Hinweis, dass Schreiben und Lesen sich in der Zeit entfalten; Erzählungen sind Zeitmaschinen, die gleichzeitig vorwärts- und rückwärtslaufen. Man liest nämlich Zeile für Zeile in der Zeit das, was ein anderer in einer gewissen Zeit über eine bestimmte Zeit in seinem Leben geschrieben hat. Schaut man nicht gerade auf den unendlichen Fluss der Zeilen in der Zeit, wandert der Blick vom Buch in den Raum, oder zum Fenster hinaus, oder einfach so ins Nichts. Und wenn man nicht aufpasst, dann starrt das Nichts zurück. Also schaut man doch lieber wieder ins Buch.Es gibt diese Art von Büchern, die man ohne jede Hast lesen will; die das Gegenteil von Pageturnern sind. Aber eben nicht in dem Sinne, dass sie langweilig wären, sondern weil sich der Lesende beim Lesen in Kontemplation üben kann. Es ist ein Segen, wenn diese Art von Buch möglichst dick ist, weil sich so das Ende der Lektüre lang hinauszögern lässt. Diese Art von Buch also ist Espedals Buch. Ein bisschen mönchisch ist es. Ein sprachliches Gegenstück zur Kapelle, die Mark Rothko, der große Maler des Nichts, einst gestaltete: l’art pour l’art par excellence. Schreiben, das sich selbst zelebriert, aber nicht in seinen Übertreibungen, sondern im Gestus der Reduktion, und darin eins mit sich selbst ist.Wie sollte das Schreiben auch gespalten sein?, könnte man fragen. Aber Schreiben ist so gespalten wie das Ich, das von sich spricht. Einem Ich, das schreibt und sich selbst aufschreibt, muss man immer misstrauen und sich ihm doch ganz und gar anvertrauen. Espedals Ich erinnert sich an die Geburt der Tochter, die Hände der sterbenden, dann toten Mutter, zwischendrin nähert er sich schreibend den geliebten Frauen. Sie adressiert Espedal, sie schreibt er an. Anschreiben meint hier etwas mehr, als „etwas an jemanden zu richten“. Bevor etwas anschreibbar wird, muss es einen Namen erhalten, und mit dem Signifikanten erhält das Signifikat einen Überschuss. Es öffnet sich ein symbolischer Spalt. Denn natürlich geht es hier um mehr als um ein Ich, das sich mit Frauen am Strand sonnt, mit ihnen schwimmt und badet, ihnen beiwohnt, um das schöne alte Wort zu verwenden, und dabei die menschliche Nacktheit in schöne Worte kleidet.Geburt, Sex und Tod, das sind die drei Erscheinungsformen des Realen. Das aber lässt sich nie ganz im symbolischen Rahmen auflösen, es bleibt ein Rest, der wiederkehrt, zur Wiederholung drängt, wie man mit Lacan sagen könnte. Wiederholung, das Wort erscheint häufig bei Espedal. Er erschafft ein großes symbolisches Sprachgebäude, das die drei Realien umschließt, wie ein Raum, wie ein Haus; und wenn Espedal in Biografie, Tagebuch, Briefe immer wieder von den Häusern spricht, die der Schreibende bewohnt hat, dann sind sie eben genau das: Gefäße des Realen, in denen der Schreibende Zeichen um Zeichen produziert.Was und vor allem wie Espedal hier von der Liebe schreibt, unterscheidet sich nicht stark von seinem wunderbaren Roman Wider die Natur (Matthes & Seitz 2014) Hier haben wir es also wieder: Das biografische Erzählen, das immer wieder als Skandalon für Feuilletonzwecke herhalten muss, aber warum nur? Wenn einer schreiben kann wie Espedal, was kümmert es dann, ob er sich das, was er schreibt, ausgedacht hat? Und wenn einer von der Liebe an die Geliebte schreibt, wie es der Norweger tut, dann ist der Text immer schon ein ausgedachter. Weil auch die Geliebte nur die Füllung einer symbolischen Leerstelle ist. Die Liebe ist am Ende noch immer die größte Fiktion.Der 1961 in Bergen geborene Espedal befriedigt in diesem Sinne die große Lust am Realismus, wie es ja auch sein Freund, der norwegische Literaturstar Karl Ove Knausgård, macht, aber eben in einer anderen Sprache, einer, die nicht ausufert und mäandert. Dass Tomas Espedal „gut“ schreibe, habe ihm der Freund Knausgård vorgeworfen. Die Kritik habe er sich zu Herzen genommen. „Ich würde gern schlecht schreiben, das heißt, schneller schreiben, roher, wilder, weniger durchdacht und dafür direkter.“Man ist ihm dann aber dankbar, dass er es doch nicht macht. Man sieht, wie der Schreibende auch am Schreiben noch leidet, auf lustvolle Art, und es stimmt schon, wenn Tomas Espedal den Autor Harold Costello zitiert, der wiederum das bekannte Bonmot zitiert, wonach ein Autor ein Mensch sei, dem das Schreiben mehr Probleme bereite als anderen Menschen. Der Leser wohnt also einem Kampf bei. Nein, der martialische Begriff trifft es nicht. Bei Espedal ist es ein Ringen mit den Worten.Placeholder infobox-1Placeholder infobox-2
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