Lust auf Eroberung?

Sexualstrafrecht Sex ist, wenn der Mann dominant ist und Erotik braucht die Eroberung? Die Diskussion um das neue Sexualstrafrecht offenbart krude Vorstellungen von Sex und Erotik

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Die unter großem Applaus vom Bundestag verabschiedete Novelle des Sexualstrafrechts hat eine seltsame Debatte ausgelöst: Sie scheint bei vielen Männern eine Angst auszulösen. Wenn es nur um den ausgesprochenen Willen einer Frau geht: Kann eine Frau dann nicht jederzeit einfach so einen Mann beschuldigen? Die Rollen sind klar verteilt: Frau ist im Zweifelsfall niederträchtig und Mann das Opfer. Zumindest aus der Perspektive der Kritiker. Oder: Frau ist Opfer, der Mann ist Täter. Zumindest aus der Perspektive der Befürworter.

Im Gesetzestext aber steht nichts von Frauen und Männern. Der Gesetzestext spricht von Personen, von Tätern und Opfern. Die angebliche Viktimisierung von Frauen und die angebliche Verdächtigung der Männer entsteht also erst in den Köpfen der Kritiker. Es geht ganz allgemein um den Schutz von Menschen vor sexuellen Übergriffen, die auch in homosexuellen (egal ob schwul oder lesbischen) Beziehungen vorkommen können, und ja, auch in heterosexuellen Beziehungen von Frauen ausgehen können.

Sex in der Grauzone

Noch seltsamer und zugleich aufschlussreicher ist ein zweiter Aspekt der Diskussion um das Gesetz. Das mit Abstand häufigste Argument in der Diskussion, das sowohl von Frauen wie von Männern (z.B.: in der Süddeutschen) vorgebracht wird, lautet so: Erotik sei auf Grauzonen und Grenzübertretung angewiesen. Erotik brauche das Spiel, und nein heiße eben nicht immer nein. Sich über das Nein des anderen hinwegzusetzen, wird gleichgesetzt mit "Verführung". Dieser Gemeinplatz einer Erotik der Eroberung wird so häufig wiederholt, dass er gar nicht mehr in Frage gestellt wird. Aber natürlich muss er in Frage gestellt werden. Es ergeben sich sogar zwei Fragen (mindestens): Braucht Erotik die Eroberung? Und wo endet Eroberung, wo beginnt die Vergewaltigung?

Man muss schon begrifflich unterscheiden zwischen der Eroberung, die eine gewaltsame Einnahme darstellt, und der Verführung, die mit sanfteren Mitteln vorgeht. Ja, Erotik braucht Verführung, aber die sanfte Verführung wird traditionell eher der Frau zugesprochen, während die sprachlich (und auch real) gewaltsamere Eroberung dem Mann zugedacht wird. Verführung jedenfalls setzt sich nicht über ein ausgesprochenes „Nein“ hinweg. Verführung beginnt bei dem „Jein“, bei einer Unsicherheit. Aber weil sie keine Gewalt, auch keine Überredungskunst, sondern Lust einsetzt, darf sie versuchen, aus dem Jein ein Ja zu machen.

Und genau hier kommen wir auch zur zweiten Frage: Die Eroberung setzt sich schon dem Namen nach über das Nein hinweg. Und hier ist gar nichts mehr erotisch. Zwar kann man den Sexualakt als gewaltvoll beschreiben – auf rein psychischer Ebene, weil im Moment der Verschmelzung zweier Menschen die Integrität (im Sinne einer Unverletztlichkeit der psychischen Grenzen) beider verloren zu gehen droht. Aber diese Form der psychischen Gewalt ist keineswegs identisch mit dem Druck, einen Nein-Sagenden zu überreden. Fakt ist: Wenn wir Eroberung imaginieren, dann meinen wir in aller Regel den Mann, der die Frau erobert. Wir meinen damit eher nicht eine Frau, die einen Mann „überredet". Wenn die Eroberung, die angeblich so wichtiger Teil der Erotik sein soll, aber nur vom Mann ausgeht oder ausgehen soll, dann diskutieren wir nicht Erotik oder Sexualität im Allgemeinen, sondern eher unsere Vorstellungsbilder von männlicher Sexualität.

Sex ist, wenn der Mann dominant ist?

Mit „männliche Sexualität“ ist gerade nicht die reale Form der Sexualität eines Mannes gemeint. Diese reale Form ist vielschichtiger und polymorpher, als es unsere kulturellen Vorstellungen von männlicher Heterosexualität und Sexualität erlauben. Sie beinhalten längst nicht nur die Unterwerfung der Frau, sondern auch den Wunsch nach Unterwerfung durch die Frau. Sie beinhalten Formen von Sexualität, die keineswegs nur um den Wunsch der Penetration kreisen, im Gegenteil, Praktiken, die diese sogar ausschließen.

In Wirklichkeit diskutieren Befürworter und Gegner des Sexualstrafrechts über ein Bild von männlicher Sexualität, das beide teilen, nur dass sie es unterschiedlich bewerten: Für unsere Kultur besteht männliche Sexualität in der Ausübung von Dominanz und Eroberung. Und genau dieses Bild wird von den Reformkritikern als positiv, weil eben der „Natur des Mannes“ entsprechend, betrachtet. Ein klares Verbot der Eroberung in Form der Regelung „nein heißt nein“ rüttelt damit an den Grundfesten der Männlichkeit und ihrer kulturellen Imago. Darin wird ein Bild aufgerufen, in dem Männer qua Biologie auf Eroberung programmiert seien und nur die Kultur (= das Gesetz) die Frau davor schützen könne. Aber gerade jene Kultur ist es ja, die Männern einredet, ein echter Mann sei nur der, der erobert und möglichst viele sexuelle Kontakte hat!

Eva Illouz zeigt in ihrem Buch „Warum Liebe wehtut“, wie modern die gegenwärtige Vorstellung vom Mann als sexuellem Eroberer ist. Unsere Kultur ist Ursache für die falschen und häufig gewalttätigen Vorstellungen von männlicher Sexualität, und nirgends wird es deutlicher als in Kulturen, in denen Männlichkeit und Ehre zum höchsten Gut erklärt werden.

Wenn einige Feministinnen früher behaupteten, alle Männer seien potenzielle Vergewaltiger, dann kam darin genau jenes Bild von Männlichkeit zur Sprache, das von einer übermächtigen Kultur des Patriarchats erzeugt wurde; zugleich verwechselte diese Kritik die Sexualität des Mannes (oder die kulturelle Vorstellung davon) und die Sexualität eines Mannes. Jedem männlichen Individuum (abgesehen von wenigen pathologischen Fällen) ist nämlich zugleich ein Unrechtsbewusstsein mitgeben und die Fähigkeit zu Empathie. Ein empathischer Mann braucht kein Nein; ein moralisch agierender Mann braucht kein Nein. Er wird das Wimmern oder den ängstlichen Blick der Frau oder seines männlichen Partners als Nein erkennen.

Umgekehrt bedeutet der Umstand, dass so etwas wie eine weibliche Vergewaltigerin nicht mal in in unseren verwegensten Fantasien möglich erscheint, eine seltsame Verharmlosung menschlicher Möglichkeiten. Denkbar ist solch eine Tat allemal. Das neuen Sexualstrafrecht liefert damit eben nicht nur den Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt.

Am Ende wird das Sexualstrafrecht immer mit dem „Aussage gegen Aussage-Problem konfrontiert sein. Insofern könnte man unken, die Reform sei nur eine symbolische. Aber selbst oder gerade wenn dies der Fall ist: Sie erzwingt eine symbolische Neuorientierung unserer Vorstellung von männlicher Sexualität, die im Mann nicht länger nur den dominanten Macho sieht, dessen einzige Lustquelle in der notfalls gewaltsamen Eroberung der Frau mit anschließender Penetration besteht. Eine neue symbolische Ordnung würde ihn als menschliches Wesen mit vielfältigen Bedürfnissen erkennen, zu denen auch das Recht auf Schutz vor sexueller oder jeder anderen Form von Gewalt besteht. Damit müsste man seine potenzielle Verwundbarkeit ebenso akzeptieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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