Maschine essen Mensch auf

Industriekultur In Leipzig zeigt das Museum der bildenden Künste, wie das Humane der Technik abhandenkam
Ausgabe 06/2020

Einst diagnostizierte der Philosoph Günter Anders, dass wir in einer Technokratie leben. Technik sei zum „Subjekt der Geschichte“ geworden und wir Menschen lediglich „mitgeschichtlich“. Eine Ahnung davon gibt die Ausstellung Der optimierte Mensch des Museums der bildenden Künste in Leipzig in Kooperation mit dem Verein Industriekultur Leipzig e. V. In Sachsen ist Jahr der Industriekultur.

Die Ausstellung führt durch die vier Stufen der industriellen Entwicklung von Industrie 1.0 bis 4.0, also von der Frühindustrialisierung mit Dampfmaschinen (1.0), über die Elektrifizierung (2.0), die Automatisierung (3.0) bis hin zur Digitalisierung (4.0). Faszinierend: Irgendwo zwischen Industrie 3.0 und 4.0 scheint der Mensch abhandenzukommen, jedenfalls als Mensch, der an oder mit den Maschinen arbeitet.

Bis in die 80er Jahre hinein zeigen die Arbeiten den Menschen als Schuftenden, Gebeugten, drastisch-direkt, wie Fritz Noldes Ausgepresster Prolet (1928/29) oder Das Leben eines Arbeiters (1934), sechs Blätter, die zeigen: Zwischen Geburt und Tod stehen nur Arbeitsbeschaffung und Plackerei.

Robotik saugt total

Sogar als Kreuzträger erscheint der Arbeiter, wie in dem Gemälde Die Grubenarbeiterinnen (1889) von Constantin Meunier, in dem ein Stützbalken über der Schulter einer der Frauen ins Bild ragt, als laste das Gewicht der industrialisierten Welt auf ihr. Die Zerstörung jahrhundertealter Kulturlandschaft durch Braunkohletagebau sieht man in Joachim Jansongs Das letzte Foto. Auch ein Robotron-Computer fehlt nicht, in Brigade I von Norbert Wagenbrett schauen Brigadisten ernst auf die Insignien der Technik 3.0.

Ab hier übernehmen die Maschinen. Staubsaugerroboter, farbverziert und entfernt an Kampfroboter erinnernd, kommunizieren und künden von einer Sprache, die weder mit noch über Menschen reden möchte. Ava, Tom & Serena (2019) von Stefan Hurtig scheinen sich von der Aufgabenerfüllung für den Menschen losgesagt zu haben. Auch die Maschine, die auf Gott wartet (2007), von Hannes Waldschütz kommt ohne Menschen aus. Ein kleiner Schaltkreis harrt da unter einer gläsernen Kuppel aus. Der bräuchte nicht einmal mehr einen göttlichen Funken, die Maschine hat ja eine Varta-Batterie.

Eigentlich verfehlt die Ausstellung ihr Thema, zeigt sie doch nicht den optimierten Menschen, sondern die optimierte Technokratie. Das aber ist kein Schaden, denn das Unsichtbarwerden des Menschen im digitalen Kapitalismus ist viel spannender. Der gewählte Titel reflektiert ein Lieblingsthema unserer Zeit – die vermeintliche Erschöpfung des Einzelnen angesichts des Optimierungszwangs, der uns von Fitness-Apps und Social-Media-Bildwelten auferlegt wird.

Wohl gibt es die Schinderei in der Industrie noch, doch nicht hierzulande, wo Industriearbeitnehmer dank der Gewerkschaften wohl insgesamt traumhafte Arbeitsbedingungen haben. Überhaupt nicht organisiert dagegen sind die vielen Programmierer, Software- und App-Entwickler, deren Arbeit unseren Alltag massiv verändert hat. Ganz zu schweigen von prekär beschäftigten Kreativarbeitern der schönen neuen digitalen Welt, Angestellten in Wissenschaft und Kulturindustrie, die Informationen, Daten und Patente generieren, den Treibstoff der Industrie 4.0.

Info

Der optimierte Mensch. Momente der Industriekultur in der bildenden Kunst Museum der bildenden Künste Leipzig bis 1.3.2020

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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