Maul & Klauen

Sprache Heinrich Deterings Analyse rechten Redens beweist die Aktualität der Germanistik
Ausgabe 29/2019
Stolz, ein Björn zu sein (oder Bernd?)
Stolz, ein Björn zu sein (oder Bernd?)

Foto: Christian Ditsch / Imago

Wir würden uns alle noch einmal umgucken! Das raunte mir in den letzten Jahren manch Untergangsfixierter zu. Aber wer ist eigentlich dieses „wir“, das sich noch umgucken wird? Diese Frage treibt auch den Germanisten Heinrich Detering um. Sein Buch Was heißt hier „wir“? widmet sich der Rhetorik der parlamentarischen Rechten. Detering hat einschlägige Redebeiträge von Alexander Gauland, Björn Höcke und Co. einem „Close Reading“, einer sehr genauen Lektüre also, unterzogen.

Vielen gilt die Germanistik neben anderen Geisteswissenschaften als hoffnungslos unnützes Fach. Doch Deterings Analyse beweist, wie wichtig eine Sprachsensibilität ist, die zum Beispiel an mittelhochdeutschem Minnesang oder expressionistischer Prosa geschult wurde. Detering ist übrigens nicht der einzige Germanist, der sich mit rechten Redestrategien beschäftigt, er selbst nennt unter anderem Joachim Scharloth, der an der TU Dresden das Parteiprogramm der AfD auf populistische Tendenzen hin untersuchte. Seine linguistischen Untersuchungen sind computergestützt. Ihr großer Vorteil: Software kann riesige Textmengen auswerten und etwa die Häufigkeit von Worten und Komposita wie „Volk“, „Volkswille“ oder „Volksvertreter“ mit Referenztexten vergleichen.

Stolz und Vorurteil

Dem Göttinger Literaturwissenschaftler geht es dagegen vor allem um die nichtwörtlichen Bedeutungen von Aussagen rechter Politiker. Die sind absolut abhängig vom Kontext der Rede, sogar von Tonfall, Redepausen und dergleichen mehr. Detering schaut hinter die ersten Be- und Andeutungen. Er bleibt nicht bei dem, was in der Öffentlichkeit meist nur zu Empörung führt – man denke an das krumme Wort vom „Fliegenschiss“, das AfD-Vorsitzender Gauland bemühte, um die Bedeutung des Nationalsozialismus für die deutsche Geschichte vulgärrhetorisch zu mindern.

Zu den beliebten Strategien der rechten Rede zählt es, das Gesagte im Nachhinein zu relativieren. „Das habe ich so nicht gesagt“, heißt es dann. Detering zeigt nicht nur, dass solche Relativierung stets im Dienst einer Verschiebung der Grenzen des Sagbaren steht. Er führt anhand von Pragmatik, Semantik und Syntax auch vor, dass meist doch gemeint ist und gemeint sein muss, was man da so vehement abstreitet.

Einen Großteil des schmalen Buches nimmt die Analyse von Argumentationsmustern ein, die für die rechte Rede typisch sind. Zum Beispiel die besonders berüchtigte Formulierung Gaulands beim „Kyffhäuser-Treffen“ der AfD vor zwei Jahren in Thüringen: „Wenn die Franzosen zu Recht stolz auf ihren Kaiser sind, und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“

Am Anfang stehen hier zwei unbewiesene Behauptungen. Stolz und Recht bilden die Ausgangsprämissen, die nach der Regel der aristotelischen Logik zur Konklusion führen sollen: Die Franzosen und Briten sind stolz auf ihre Staatsoberhäupter. Und das zu Recht. Deshalb haben „wir“ das Recht, auf die Wehrmacht stolz zu sein.

So einfach, so gut? Nicht nur ist die Konklusion aufgrund der unbewiesenen Behauptungen problematisch. Auf pragmatischer Ebene werden nämlich Äpfel mit Birnen verglichen. Hier haben wir es mit konkreten historischen Persönlichkeiten (Nelson, Churchill) zu tun, dort mit einem Kollektiv (der deutschen Wehrmacht). Angenommen also, Franzosen und Engländer sind zu Recht stolz auf Nelson und Napoleon, folgt daraus zwingend, dass die Deutschen stolz auf ihre Armee sein dürfen? Und wollen „wir“ überhaupt stolz sein auf die Leistungen der Wehrmacht in Riga, Krakau und Leningrad? Ein typisches Beispiel für die vermeintlich logische Zusammenführung von Inhalten, die auf rhetorisch-argumentativer Ebene dem von der parlamentarischen Rechten konstruierten „wir“ das Gefühl geben soll: Wir dürfen stolz sein! Die rechte Rhetorik bleibt dabei beinahe magisch oder doch zwanghaft auf jene zwölf „Fliegenschiss“-Jahre bezogen, die Gauland eben nicht einfach rausgerutscht sind. Systematisch, nicht etwa zufällig, werden dabei Worte wie „Auschwitz“ vermieden.

Immer wichtig: Untergang

Auf bemerkenswerte Weise deckt sich dieser Befund mit der Analyse Theodor W. Adornos in seinem Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ von 1967. Der Vortrag, der auch die rhetorische Strategie der in den 60er Jahren erstarkenden NPD analysiert, erscheint jetzt zum ersten Mal in Buchform (Suhrkamp 2019, 86 S., 10 €). Stellenweise liest sich die Analyse wie ein Kommentar zur Rhetorik der AfD, die Heinrich Detering untersucht. Doch man darf selbstredend nicht vergessen, wie auch der Historiker Volker Weiß im Nachwort schreibt, dass die Analyse in einer anderen historischen Situation erfolgt.

Die eigenartige Lust an den Untergangsszenarien, die herbeifantasiert werden, um dann die eigene Politik als einzigen Weg zu verkaufen, diesen Untergang doch noch einmal abzuwenden, gehört zu den Aspekten, die erstaunlich gegenwärtig wirken. Und auch die Konstruktion eines ominösen Kollektivs, das sich schon in den späten 60ern verraten sieht von den „Systemparteien“, klingelt in unseren Ohren.

Beide Texte verweisen darüber hinausauf ein Raunen und Murmeln in der Rede, das sich unterschwellig an diejenigen Zuhörer wendet, denen bereits Adorno attestiert, sich zwangsläufig einer offenen Diskussion mit Andersdenkenden zu verweigern. Vor allem also an jene im Publikum mit autoritärer Persönlichkeitsstruktur, die sich nach einem großen Führer sehnen, der das angerufene große „wir“ erretten soll. Oder nach einem Führer, der dieses „wir“ wenigstens stolz in den Untergang führt.

Info

Was heißt hier „wir“? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten Heinrich Detering Reclam 2019, 60 S., 6 €

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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