Mehr als Senf und Sorben

Bautzen Warum die Peripherie leicht für das Fremde steht und der Sachse so gut zur demokratischen Randgestalt taugt
Ausgabe 38/2016
Am Rand: Bautzen
Am Rand: Bautzen

Foto: Christian Ditsch/Imago

Heimat. Der Gedanke an Heimat sollte doch ein wohliges Gefühl erzeugen. Denk ich an meine Heimatstadt Bautzen, empfinde ich dieser Tage: Scham. Ratlosigkeit. Wut. Immer wieder ist es rechte Gewalt, zuletzt eine Straßenschlacht zwischen 80 Rechten und 20 Flüchtlingen, die Bautzen in die Schlagzeilen bringt.

Bis vor einem Jahr verband der Deutsche mit Bautzen nicht viel. Höchstens Senf und Sorben. Nun steht es im Zentrum der Frage: Was ist da los in Sachsen, warum eskaliert hier so oft die rechte Wut? Es ist ja richtig: Wir Sachsen haben ein Problem mit Rechtsextremismus. Das sollten wir nicht kleinreden. Auch die Bundesregierung findet in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit deutliche Worte: Der sich im Osten verfestigende Fremdenhass gefährde den gesellschaftlichen Frieden. Da fragt man sich schon, ob die nun in Bautzen eilig bewilligten Streetworker nicht schon vor 25 Jahren vonnöten gewesen wären. Warum wurde politisch so viel verschlafen?

Die Suche nach Gründen ist mühsam; die Sachsen verbal und politisch auszugrenzen, ist dagegen so viel einfacher. Im Feuilleton wie in sozialen Netzwerken ist Bautzen zum Sinnbild von Biedermeierlichkeit mit viel Potenzial zum Brandstiften geworden. Aber das Bautzen-Bashing zelebriert letztlich das gleiche „Wir gegen die“, wie es die Bautzner gegen Flüchtlinge anstimmen. Bautzen den Bautznern und Deutschland den aufgeklärten Deutschen.

In des rechten Sachsens hässlicher Fratze könnte ja immer auch das eigene Spiegelbild aufblitzen. Machen „wir“ uns nicht auch insgeheim Sorgen, dass in den Schulklassen zu viele Kinder mit „Migrationshintergrund“ sitzen? Also hegen auch wir das Ressentiment? Wir, die Menschen der Mitte, ökonomisch mehr oder weniger gut gestellt, gut gebildet und vor allem: nicht abgehängt.

Erst im Juni veröffentlichten Forscher der Uni Leipzig eine Studie mit dem Titel Die enthemmte Mitte: 41 Prozent der Befragten meinten, man solle Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland verbieten. Sollte uns dieses kaum hörbar gepflegte rassistische Ressentiment nicht mindestens so viele Sorgen bereiten wie jene, die auf dem Bautzner Kornmarkt im Chor brüllen, als seien sie Teil einer Tragödienaufführung?

Dass der Sachse so gut zur demokratischen Randgestalt taugt, hängt auch mit seinem Dasein im Peripheren zusammen: Wer reist schon mal von Köln bis nach Bautzen, unweit der tschechischen Grenze? Da ist es auch gleich viel leichter, von der „Integration“ der Sachsen zu sprechen, die nach 1989 nicht so gut gelungen sei, oder von der Option eines Säxits. Viel Entfremdung ist im Spiel bei denjenigen, die ihren biederen ostdeutschen Heimatorten entwachsen sind und in in- und ausländischen Großstädten etwas Weltoffenheit tanken konnten. Das haben die abgehängten Zonenkinder „drüben“ eben nicht. Die Peripherie steht auch für das absolut Fremde, das sich leicht verdammen lässt.

Nötigen wir uns doch die Frage ab, warum die Bautzner und andere Sachsen mit Ablehnung und Wut ausgerechnet auf Flüchtlinge reagieren. Es liegt ihnen doch nicht in der DNA. Die Frage bedeutet noch lange keine Exkulpation. Aber die Bautzner selbst müssen mit sich ins Gericht gehen, Toleranz und Mitmenschlichkeit neu verhandeln. Das sollte eine Stadt, die seit mehr als tausend Jahren zwei Kulturen in sich vereint, eigentlich meistern können.

Marlen Hobrack ist Journalistin, kommt aus Bautzen und bloggt in der Freitag-Community

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

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