Mimimillennials

Manifest Vorsicht! Was junge Leute so denken, könnte Sie alt aussehen lassen
Ausgabe 44/2018

Gehören Sie zu den Menschen, die bei dem Wort „Millennial“ vor allem „Mimimi“ hören? Millennials jammern immer, heißt es, sind Snowflakes und glauben, dass die Welt ihnen gehöre. Aber die Welt haben wir alle nur von Immobilienivestoren geleast, das weiß doch jeder. Am liebsten essen Millennials Avocado-Toast (wtf?) und fotografieren ihn auch noch. Überhaupt sind sie total entitled. Klar, wenn man es für anspruchsvoll hält, dass sich jemand wünscht, für ein Praktikum nach dem Studium Lohn zu erhalten, dann stimmt das wohl.

Jetzt, da wir uns über sämtliche Millennial-Klischees verständigt haben, schauen wir uns ihr Manifest an. Bianca Jankovska, Österreicherin slowakischer Abstammung, in Berlin lebende Bloggerin, Groschenphilosophin, und ein Prime Example eines Millennials – perfekter Instagram-Account, perfekte Frisur und perfekt sitzender Lippenstift (wie machen Millennials das nur?) –, hat es verfasst.

Jankovskas Manifest macht sich Gedanken über all das, was Menschen in ihren 20ern eben bewegt: schlecht bis gar nicht bezahlte Bullshit-Jobs, die den Gedanken an Worklife-Balance von vornherein obsolet machen, denn die hippen Start-ups und Steuerberater der alten Schule gestehen ihren Assistenten, Social-Media-Marketendern oder Autoren, so etwas wie Privatleben gar nicht erst zu.

Im echten Leben war es Ally

Wie soll man dafür noch Zeit haben nach acht bis zehn Stunden Arbeit und bis zu drei Stunden Pendeln täglich? Wenigstens bleibt so weniger Zeit für Dating, das sich in Zeiten des Wutschens und Wischens auf Tinder auch nicht so schön gestaltet.

Millennials, da wird das Klischee zur Wahrheit, sprechen die Hälfte der Zeit über in englischen Floskeln, der „World Wide Web“-Sprache der Meme und des Urban Dictionary. Für Menschen der Generation 40 plus könnte es daher schwierig werden, dem Text zu folgen, aber er richtet sich schließlich an die Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen, wie mir Jankovska versicherte. Weswegen ich als Leserin auch eigentlich nicht in Frage komme. Nun verhält es sich mit diesem Text so wie mit jedem Generationenbuch. Ein Teil des Textes fühlt sich ungeheuer relevant und wichtig an. Die Klage über schlechte Arbeitsbedingungen bei Einstiegsjobs – und nicht nur denen–, die Angst davor, im Job und dem Leben allgemein zu versagen, weil man den dauerhohen Ansprüchen der Berufswelt und der Karriere, die einem ständig im Nacken sitzen (mach schon, verwirkliche dich selbst UND verdiene viel Geld dabei!), nicht gerecht werden kann, ist absolut legitim.

Von der Unmöglichkeit, bezahlbaren Wohnraum in den „places to be“ – Berlin, London, Barça – zu finden, mal ganz zu schweigen. Die Frage, warum der Acht-Stunden-Job, der für viele ein Zehn-bis-mehr-Stunden-Job ist, denn immer noch die Regel und warum das Home Office für viele Chefs noch immer Teufelszeug ist, muss man stellen dürfen. Jankovska reflektiert zudem die Lage freier Autoren und Journalisten im Allgemeinen: Der Zwang, Schlagzeilen zu produzieren, jeden Tag, unter viel Zeitdruck, für wenig Geld, er zerreibt und raubt die Freude an der geliebten Textproduktion.

Die Bilanz unterscheidet sich nicht sonderlich von Katja Kullmanns Diagnose in ihrem Buch Echtleben, das ähnliche Themen behandelt und nun schon 17 Jahre auf dem Buckel hat, aber wegen der unverändert deprimierenden Lage vom Suhrkamp Verlag wieder aufgelegt wurde. Überhaupt verschmilzt das Millennial-Manifest Kullmanns Bücher Echtleben und Generation Ally (Eichborn, 2002).

Popkultur ist der Hintergrundsound, der der Autorin Phrasen für ihre Texte zuspielt. Loop-Loop. Das liest sich sehr unterhaltsam und kurzweilig. Die Bedingungen für Schreibende und andere Selbst-Entrepreneure haben sich nicht verbessert, der Druck hat noch zugenommen, nur muss man jetzt unter all dem Druck auch noch cool und echt locker aussehen auf seinem Instagram-Account. Und der muss „on fleek“ sein, wie Bianca Jankovska weiß. Ich musste das erst einmal nachschlagen, was wohl zeigt, dass mein Account nicht on fleek ist, aber ich bin ja auch kein Digital Native.

Jankovska schon. Der dreizehnjährigen Jankovska musste die Mutter das W-Lan kappen, weil sie unentwegt surfte; als ich dreizehn war, gab es noch nicht mal W-Lan. Scheinbar bewahrte mich das vor dem Risiko der Verwachsung mit den süchtig machenden, instantane Gratifikation versprechenden Social-Media-Erlebnisräumen. Das Glück der frühen Geburt.

Immerhin keine Dauerwelle

Jankovska, und ganz sicher ist sie damit nicht alleine, leidet an Social Media und kann doch nicht davon lassen. Selbst das zwischenzeitliche Löschen der Apps löst die Nabelschnur zwischen Applikation und Producerin nie ganz. Sie teilt das Leid im Text und nimmt damit gewissermaßen etwas von dem Social-Media-Selbstentblößungseffekt hinüber ins Medium Buch.

Das wiederum hat das Problem, das alle Generationentexte haben: Jede junge Generation hat zwangsläufig das Gefühl, dass die Sorgen und Nöte, die sie erlebt, keiner anderen Generation der Geschichte aufgebürdet wurden. Dass man mit Mitte zwanzig noch kein Eigenheim im Grünen hat, erscheint dann skandalös. Aber irgendwie gelang es doch fast nur der Generation der Baby Boomer, tatsächlich frühzeitig ins Eigenheim zu ziehen, weil ihr Grundstücke quasi „hinterhergeschmissen“ wurden. War ja auch viel Platz, so nach dem Krieg.

„Von der Schattenseite, heute jung zu sein, möchte keiner sprechen“, schreibt Jankovska. Hallo?! Hat sie mal die Frisuren der Mütter der 70er und 80er gesehen? So eine halb rausgewachsene Do-it-yourself-Dauerwelle wirft gewaltige Schatten. #Eswardochnichtallesbesserdamals.

Liest man dann als erfahrenere Ältere die Textstellen über Dating, möchte man die Autorin – stellvertretend für das eigene jüngere Ich, das unter Ghosting (damals hieß es noch nicht so) litt wie ein Hund – gerne in den Arm nehmen und trösten. Life goes on. Keep calm and smash capitalism, und verdammt noch mal: Schrotte dein Smartphone!

Info

Das Millennial-Manifest Bianca Jankovska Rowohlt 2018, 240 S., 10 €

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

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