„Nur keine Musen“

Nachholbedarf Verlegerin Britta Jürgs gräbt Schätze aus: Starke Bücher aus den 1920er und 30er Jahren – alle von Frauen
Ausgabe 40/2017
Aktuelle Aufnahme aus dem Literaturbetrieb: Frauen sind durchaus vorhanden, doch bleiben sie oft unbekannt
Aktuelle Aufnahme aus dem Literaturbetrieb: Frauen sind durchaus vorhanden, doch bleiben sie oft unbekannt

Foto [Montage]: Bettmann/Getty Images

Geschrieben haben schon immer viele Frauen. Nur in den Verlagsprogrammen schlägt sich das kaum nieder. Schon 20 Jahre lang bringt uns der Aviva-Verlag Autorinnen und Texte, die damals wie heute in keine Schublade passten, näher. Wir haben Gründerin Britta Jürgs bei ihrer Jubiläumslesereise durch 20 Buchhandlungen getroffen.

der Freitag: Viele von Ihren Autorinnen waren praktisch vergessen. Das liegt nicht nur daran, dass sie vor dem Zweiten Weltkrieg nicht genug Zeit hatten, sich zu etablieren. Sie waren auch sehr emanzipiert und entsprachen damit vielleicht nicht dem Frauenbild der Nachkriegszeit?

Britta Jürgs: Ganz genau. Das war ein Frauenbild, das überhaupt nicht passte. Das ist auch, was mich so fasziniert: Dass diese Frauen emanzipiert waren in dieser Zeit, und dass es danach wieder eine ganze Weile brauchte, bis wir Frauen wieder an diesen Punkt gelangten. Man kann sich von diesen Frauen noch einiges abgucken, auch für heute, finde ich.

Ruth Landshoff-Yorcks „Ratschläge an junge Frauen“ könnte man heute auch in einer Frauenzeitschrift finden, aber nicht mit dieser Süffisanz und dem Sinn für Ironie.

Und dann wäre es natürlich die Art von Text, auf die man gut verzichten könnte! „Ratschläge an junge Frauen? Was soll das?“ Aber diesen Tonfall und diese Selbstironie finde ich einfach schön. Es ist mir wichtig, vergessene Autorinnen und andere Frauen wieder sichtbar zu machen. Aber was eben auch entscheidend ist, ist dieser Humor, diese Selbstironie. Ich will nicht so verkrampft mit der Holzhammermethode vorgehen, „Jetzt seht mal, diese Frauen …!“, sondern eben mit einem Augenzwinkern.

Die Autorinnen zeigen sehr schön die Aufbruchsstimmung der 1920er und die neuen Lebensentwürfe, die sich ergaben.

Ganz genau. Da waren auf einmal ganz viele Möglichkeiten da, die Frauen sicherlich auch geschaffen haben. Deswegen ist das eine Zeit, in der ich immer fündig werde, weil sich ganz viel getan hat für die Frauen nach dem Ersten Weltkrieg. Auch jenseits der Klischees der 1920er Jahre, der Partystimmung, wobei man davon in den Texten natürlich auch einiges mitbekommt. Aber bei Lili Grün sieht man beispielsweise, wie schwer das Überleben war für eine junge Frau, die keinen wohlhabenden Hintergrund hatte oder ohne Familie um ihr tägliches Brot und um ihre Miete bangen musste.

Zur Person

Britta Jürgs studierte Germanistik, Romanistik sowie Kunstgeschichte und gründete 1997 den Aviva-Verlag, der es sich zur Aufgabe macht, vergessene Autorinnen wiederzuentdecken und neu aufzulegen. Viele dieser Autorinnen waren Jüdinnen und mussten im Nationalsozialismus fliehen. 2011 wurde sie als „BücherFrau des Jahres“ ausgezeichnet; seit 2015 ist sie Vorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung zur Förderung von Vielfalt in der Verlags- und Literaturszene.

Foto: Klara Emilia Kajdi

Verlegen Sie „Frauenliteratur“?

Das ist ein Etikett, das ich nie benutzen würde! Aber natürlich ist das ein Klischeebild, mit dem ich oft konfrontiert werde. Ich kriege die Krise, wenn jemand sagt: „Das ist diese tolle, engagierte Verlegerin, die macht ‚Frauenliteratur‘.“ Der Begriff wäre an sich ja nicht schlecht, aber er wird in einer Form verwendet, mit der ich mich nicht identifizieren kann. Überhaupt, dieses fürchterliche Schubladendenken: „Die mit ihrer Frauenliteratur, das muss ja dann auch ein bisschen minderwertig sein, weil es ja ‚nur‘ Frauen sind.“ Nein, ist es nicht! In erster Linie zählt für mich die Qualität. Aber dieses Schubladendenken nervt mich schon immer sehr, darüber müssten wir doch eigentlich hinweg sein. Manchmal wird über mein Verlagsprogramm gesagt: „Literatur von Frauen für Frauen“. Das sehe ich überhaupt nicht so! Aber das Programm wird so kleingeredet, als sei das ein Nischending. Klar, wenn man einen kleinen Verlag hat, besetzt man immer einen Spezialbereich. Aber sobald es um Frauen geht, wird es noch stärker in eine Ecke gepackt. Obwohl es natürlich eine ganze Reihe Männer gibt, die diese Themen auch spannend finden.

Werden Frauen als Schreibende weniger ernst genommen?

Man findet so viele Verlagsprogramme, in denen kaum Frauen vorkommen. Wenn dann mal wieder eine Frau den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, wird schnell gesagt: „Ja seht mal, es ist doch gar nicht so schlimm im Literaturbetrieb!“ Aber das ist es natürlich schon. Es gibt inzwischen viele Frauen, die zählen, wie viele Rezensionen Autorinnen bekommen, wie viele Autorinnen publizieren und so weiter, und da sieht es halt immer noch schlecht aus mit der Frauenquote. Ich denke, es gibt noch viel Nachholbedarf und es gibt wenige Verlage, die sich darum kümmern, und deswegen mache ich das. Um die Männer mache ich mir da keine Sorgen, die werden schon nicht vergessen. Aber diese toten Autorinnen, deren Namen niemand je gehört hat, bei denen gibt es einfach Nachholbedarf. Es gibt für diese Zeit der 1920er und 30er Jahre, die einen meiner Schwerpunkte darstellt, noch eine weitere Schwierigkeit, weil es damals diese Verschränkung von Journalismus und Literatur gab, viele Reportagen; dieser Zwischenbereich zwischen E und U ist ganz typisch, und das gilt ja nicht nur für Frauen. Aber das macht es eben noch schwieriger zu sagen: „Das ist gute Literatur!“, weil es keine klassische literarische Form ist.

Wie entstand die Idee zur Verlagsgründung?

Ich hatte kurzzeitig einen Job in einem Verlag in Frankreich, hab das dann ein halbes Jahr gemacht. Es war ein schöner Verlag, aber ich war dort nicht sehr glücklich und ging zurück nach Berlin. Eigentlich dachte ich immer, ich würde einen Verlag machen, wenn ich ganz viel Berufserfahrung gesammelt habe. Der Zeitpunkt bot sich dann aber an. Ich dachte: Jetzt oder nie. Und wenn’s nicht klappt, dann hast du’s wenigstens ausprobiert. Das war vor mehr als 20 Jahren. Ich probiere noch immer aus und bin noch immer dabei. Die Themenwahl hatte natürlich viel zu tun mit meinem Studienhintergrund der Germanistik und Kunstgeschichte. Ich habe mich immer gefragt: Wo sind die Frauen? Oder: Wie kommen die Frauen vor?

Als Muse kommen sie höchstens am Rande vor …

Eigentlich war mein Spruch für diese zwanzig Jahre Aviva: „Nur keine Musen“, weil ich dachte, davon haben wir jetzt wirklich genug. Über diejenigen, die wirklich kreativ waren, gab es noch zu wenig. Angefangen habe ich mit denen, die zugleich Künstlerinnen und Schriftstellerinnen waren, weil ich finde, dass das zu wenig im Zusammenhang betrachtet wird. Diese Bereiche werden behandelt, als hätten sie überhaupt nichts miteinander zu tun. Ehrlich gesagt dachte ich am Anfang: Das sind so meine Herzblutthemen, mal schauen, wie die ankommen. Meine ersten beiden Bücher waren eines über die Marquise de Brinvilliers, eine Giftmörderin des 17. Jahrhunderts, und eines über Surrealistinnen. Ich dachte eigentlich, die Künstlerinnen würden im Programm nicht so gut laufen, während die Giftmörderin gut funktionieren könnte. Aber es lief genau andersrum. Was relativ symptomatisch ist für den weiteren Verlauf des Verlages. Bei Nellie Bly (Bly verfasste die erste Undercover-Reportage und ließ sich hierfür in eine amerikanische Irrenanstalt einschleusen) war der Erfolg nicht so überraschend, aber dass Mädchenhimmel! von Lili Grün, ein Band mit Gedichten und Geschichten, so erfolgreich werden würde, hätte wirklich niemand gedacht.

Sie sind zum Jubiläum durch 20 Buchhandlungen gereist ...

Und ich habe große Lust bekommen, das auch in Zukunft fortzusetzen. Das macht einfach großen Spaß, so kompliziert es auch ist, weil im September der Verlag sozusagen weitgehend unbesetzt ist. Es ist ein großer organisatorischer Aufwand. Aber es ist so spannend. Wenn man in seinem Verlag sitzt, verbringt man doch viel Zeit am Computer und das ist genau das Gegenteil von dem, was in der Buchhandlung passiert. Ich liebe auch Buchmessen, denn man hat Kontakt zu Leuten, sieht Reaktionen und wie die neuen Bücher ankommen. Es ist einfach schön, Veranstaltungen zu machen, bei denen man in relativ kurzer Zeit mit vielen Leuten in Kontakt kommt. Es kommt überall was zurück.

Im letzten Jahr brach die Entscheidung zur VG Wort und der Rückzahlung von bereits ausgeschütteten Einnahmen besonders hart über kleine, unabhängige Verlage herein.

Ja, und ich habe auch immer noch dran zu knabbern. Wenn es jetzt nicht gerade das zwanzigste Jubiläum gewesen wäre, hätte ich in diesem Jahr eigentlich alles zurückfahren müssen. Ich habe jetzt noch mal rangeklotzt, aber das entsprach eigentlich nicht den finanziellen Verhältnissen. Aber ich dachte mir: Ich will jetzt zum Jubiläum ein schönes Verlagsprogramm haben. Und wenn nicht zum Zwanzigsten, wann dann?

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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