Einigungskriege. Man nennt einen solchen Begriff wohl Euphemismus. Wer oder was wird mit Kriegen, die doch spalten (auch die Körper), geeint? Deutschland, jedenfalls das Deutsche Kaiserreich. Krieg Macht Nation lautet der Titel der Ausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden, die die Entstehung der Nation unter dem Einfluss des Krieges nachverfolgt. Anlass ist das 150-jährige Jubiläum – darf man es so nennen? – der Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Zu den Exponaten gehören neben Geschützen und Gemälden auch – kurios-tragisch – die Hörner des letzten Rindes, das im belagerten Paris geschlachtet wurde. Es war nicht das einzige Opfer der Einigungskriege.
Die drei Kriege, die Preußen unter der Führung des späteren Reichskanzlers Otto von Bismarck gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) führt und die in der Kaiserkrönung kulminieren, sollen die preußische Vorherrschaft innerhalb des deutschen Reiches besiegeln. Vor allem aber wird im Zuge dieses Krieges ein neues Nationalbewusstsein geschaffen. Die Kriege stehen unter besonderen Vorzeichen: Längst ist Europa in das Zeitalter moderner Kriegsführung eingetreten. Man kleckert nicht, man klotzt: Hinterladergeschütze, Maschinen- und Zündnadelgewehre, sogar Ballon-Abwehrgeschütze durchsieben Himmel und Körper. Das verändert nicht nur die Strategien der Heeresführung. Im Deutsch-Dänischen Krieg sind erstmals internationale Beobachter zugegen, es sind auch freiwillige Helfer*innen im Sinne der Rotkreuzbewegung im Einsatz.
Der Krieg befördert die Entstehung von Kriegervereinen. Anfangs dienen sie der Interessenvertretung ehemaliger Soldaten, nach der Reichsgründung vor allem der Besinnung auf kriegerische Erfolge. Der Makel, der der Reichsgründung aus heutiger Sicht innewohnt – dass sie vor allem kriegerischer, aber nicht demokratischer Natur ist – er wird gerade zur Grundlage eines kriegerisch konnotierten Nationalbewusstseins.
Zu den Leitgedanken der Ausstellung gehört, dass die Kriege nicht nur Prozesse der Reichsformung, sondern auch des Bürger-Werdens beschleunigten. Steile These. Für deren Beleg unter anderem die neuen Turnvereine und Studentenverbindungen ins Feld geführt werden, die militärische Ertüchtigung zur bürgerlichen Norm machen. Als Beispiel dient etwa die Farblithographie Lützows wilde Jagd zu Theodor Körners Gedicht Leier und Schwert, durch das das Lützowsche Freikorps, bestehend aus bürgerlichen Freiwilligen, Kultstatus erlangte.
Zu dieser Zeit wird die Öffentlichkeit unter dem Einfluss massenmedialer Möglichkeiten mit reichlich Information und Propaganda konfrontiert. Die in der Ausstellung gezeigten Panoramabilder von Schlachten unterstreichen das. Schlacht bei Sedan zeigt das Königlich Sächsische Jäger-Bataillon Nr. 13. Die anstürmenden Sachsen haben ihre Bajonette aufgepflanzt und verbinden sich visuell mit einem Geschütz zur Kriegsmaschine (Friedrich Kittler hätte seine Freude daran gehabt!). Ebenfalls gezeigt wird die Festdekoration der Siegesparade in Berlin 1871. Dazu gehörten zwei überlebensgroße, von Adolph Menzel gemalte Porträts von Otto von Bismarck und Generalstabschef Helmuth von Moltke.
Jenseits vom Vogelschiss
Wann beginnen wir eigentlich, die letzten erhaltenen Bismarck-Denkmäler, allesamt umweht von Odeur des Kaiserreichsnationalstolzes, zu stürzen? Bismarck erscheint für all jene, die sich nach positivem Nationalbewusstsein jenseits der zwölf Fliegen- oder Vogelschiss-Jahre sehnen, als positive Repräsentationsfigur. Zunächst als preußischer Ministerpräsident, später als Reichskanzler zog der kluge Machtpolitiker die Fäden. Im Vielfrontenkampf gegen Katholiken (die er wegen der Zivilehe gegen sich aufbrachte) und sozialistische Bewegung (denen er mit Sozialstaatsreformen den Wind aus den Segeln nahm, bevor die Sozialistengesetze zu Massenverhaftungen führten) behielt seine Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik die Oberhand. Das Bismarck’sche Bündnissystem in Europa erkannte den Wahnsinn eines möglichen Großkrieges an. Letztlich aber handelte es sich um einen Reaktionär, der eine „Blut-und-Eisen“-Politik propagierte. Apropos Eisen: Ein Teil des Bismarck-Denkmals in Leipzig wurde als „Metallspende für den Führer“ eingeschmolzen. Wer braucht einen „Reichsschmied“, wenn er einen Führer hat?
Otto von Bismarck (1815 – 1898)
Für viele Deutsche gilt er noch immer als großer Politiker. Bismarck machte die Franzosen platt (1870/71) und Preußen zur größten Macht in Europa. Im heutigen Sachsen-Anhalt geboren, wurde er erster deutscher Reichskanzler, bekämpfte dann Sozialisten per Gesetz und führte die bis dato fortschrittlichsten Sozialgesetze ein. Im Zuge der aktuellen „Black-Lives-Matter“-Demonstrationen schaut man auf den Staatsmann, weil er dem deutschen Kolonialismus den Weg bereitet hat. In Hamburg steht das weltgrößte Bismarck-Denkmal, es ist 34,3 Meter hoch.
Nun liegt es wohl in der Natur eines militärhistorischen Museums, dass man den Fokus auf das Kriegerische, das Pathosbeladene legt. Im abgedunkelten Raum mit den reich gefüllten Schauvitrinen finden allerhand Kriegsdevotionalien und Uniformen Platz. Randnotiz: Ein Direktor in Uniform, in Gestalt von Oberst Dr. Armin Wagner, ist und bleibt eine museale Besonderheit. Dass ein Museum der Bundeswehr einen anderen Blick auf den Krieg hat, ihn nicht in erster Linie unter Aspekten wie Opferleid betrachten will, erscheint logisch. Immer wieder gerät der Blick aber auch auf nicht-heroische Nebenfiguren. Etwa die französischen Marketenderinnen, die dem Heer Napoleons III. folgten. Gezeigt wird unter anderem ein Schnapsfässchen, ein tonnelet, das zur Ausstattung der Marketenderinnen gehörte. Sogleich denkt man an Brechts Stück Mutter Courage. „Frieden, das ist nur Schlamperei, erst der Krieg schafft Ordnung.“ Wie die Courage versorgten die Marketenderinnen die Soldaten mit Waren des täglichen Bedarfs; übrigens kennt die Bundeswehr noch heute Marketender im Einsatz. Ebenso interessant ist die Figur der Louise Michel. Ein Foto zeigt die Anarchistin, Proto-Feministin und Tierrechtlerin. Die „rote Jungfrau“, wurde zu einer der Symbolfiguren der Pariser Kommune, des Volksaufstandes, der sich der bürgerlichen Regierung unter Adolphe Thiers widersetzte. Michel bot sogar an, Thiers eigenhändig zu erschießen. Das Originalfoto Louise Michels misst 12 × 5 cm. Menzels Bismarck-Bild übrigens misst 395 × 158,5 cm. Man sieht: Geschichte wird von großen Männern gemacht.
Ein letzter Blick auf das Ausstellungsplakat. Es zeigt ein eifriges Hauen und Stechen mit aufgepflanzten Bajonetten. KRIEG MACHT NATION, schön mächtig und groß geschrieben, kann man als Aufzählung oder eben als Aussage lesen. Feststellen muss man allerdings, dass die Einigungskriege nicht nur dem letzten Rind von Paris die Hörner kosteten. Das Schicksal des deutschen Reichs sollte von Kriegermentalität und Nationalstolz überschattet werden.
Info
Krieg Macht Nation – Wie das deutsche Kaiserreich entstand Militärhistorisches Museum Dresden, bis Ende Januar 2021
Kommentare 13
- war nach napoleons welt-krieg
die biedermeierliche sehnsucht nach dem welt-frieden ausgebrochen,
die enstehende zivil-bürgerliche demokratie-/partizipations-/verfassungs-
bewegung durch metternichsche repression,
im sinne der dynastischen restauration, gedeckelt worden,
brachte bismarcks militarisierte politik tatsächlich eine mobilisierung
bürgerlicher kreise zuwege: der bürger in deutschland wurde
nationalistisch. nicht nur national-denkend wie etwa in tschechien oder polen,
sondern andere völker verachtend, ausgrenzend, ethnische minderheiten
unterdrückend.
zum verlogenen schlachten-bild:
- verwundete, tote waren keine beiläufigkeit im -->deutsch-französischen krieg
(wikipedia). er wurde schon damals vom avancierten bürgertum
als zivilisations-bruch, als un-zeit-gemäß betrachtet.
- der nah-kampf mann-gegen-mann war aus der militär-technischen mode:
artillerie-duelle wie in der -->schlacht bei gravelotte,
distanz-gemetzel durch das schnelle, weitreichendere französische
-->chassepotgewehr machten viele auf hunderte meter nieder.
Ja, wenn Bismarck in der Bunten Republik Neustadt, wie sich die gentrifizierte Party-Gegend, nicht weit vom Militärmuseum, heute noch wenigstens einmal im Jahr, wenn die veganen Kneipen einen Verkaufststand zum Stadtteilfest nach draußen stellen, nennt, geboren und sozialisiert worden wäre, dann wär' er natürlich nicht so ein böser, sondern ein ganz, ganz guter Mensch geworden, der die Reichseinigung in einem Langen Marsch mit allen damaligen alternativen Gutmenschen (Esoteriker*innen, Lebensreformer*innen uv.a.) herbeigeführt hätte.
Also, dieser Artikel, Pardon, der ist nun wirklich unter allem Freitag-Niveau. Ich hab soo sehr versucht, die Klappe zu halten, aber ich schaff's einfach nicht. :-)
Geschichte- nicht bestanden! Wiederholungstermin nach eigener Wahl. - Aber: Zur Vorbereitung das hier lesen! Der Autor war ein Historiker marxistischer Schule, völlig des Bellizismus, Militarismus und Nationalismus unverdächtig.
Sicherheitshalber noch dies: Ich habe keineswegs die Absicht, das MHM Dresden in Schutz zu nehmen. Der letzte halbswegs brauchbare Kurator bzw. wiss. Direktor, den der Tempel hatte, war Gorch Pieken. Einfach, weil der einen Mindestabstand zum Militär hatte. Dessen letzte Arbeit "Geschlecht und Gewalt" hatte immerhin soviel antimilitaristische Brisanz, dass sie vom Haus und den zuständigen Bundeswehrstellen abgesetzt werden sollte. - Und nein, ich habe nicht vergessen, dass Sie, Marlen Hobrack damals auch hier darüber schrieben. Sie sollten sich vielleicht mehr am Niveau Ihrer besseren Artikel orientieren...
der link verweist auf ein bismarck-buch mit einem verfälschten autoren-namen:
"ernst engelbrecht"-
der richtige name ist: "ernst engelberg". --->wikipedia.
das buch mit anderen: gebraucht u.a. bei amazon.
entgegen eher beschöningenden, balsamischen biografien:
ist bismarcks stärke in politischen listen herauszustreichen,
die sowohl die liberale opposition ent-kräftete, wie die sozialdemokratie
aus dem konservativ-beherrschten staat aus-schloß,
das bürgertum kaiser-/militär-bezogen, folge-willig, für gewaltsame lösungen
durchaus brauchbar machte.
...und sieges-trunken, sich überwertig-dünkend machte.
= die schlimme basis des ersten weltkriegs,
"die ur-katastrophe des zwanzigsten jahrhunderts".
Leider, leider, hat die "Reichseinigung" mit "Blut und Eisen" sehr viele Bürger gemacht, neben auch einigen KommunistInnen und SozialistInnen, Frau Hobrack.
Vor allem waren die Bürger erstmals gemacht, nach der Kaiserproklamation und mit jenen goldenen Reparationen, die Frankreich zahlen musste, obwohl der Krieg und seine Zerstörungskraft sich weitgehend auf seinem Territorium verwirklichte.
Die gleiche Territorial-Geschichte lief übrigens auch bezüglich Dänemarks und innerdeutsch, über Königgrätz. Nach "Sadowa" gab es nur noch Deutsche, unter den Sachsen, Bayern und Sonstigen.
Das Götzsche Sedan- Gemetzel (Bild), vom bekanntesten und beliebtesten Dresdener Berufsschlachtenmaler und Offizier, passt. Es ist zudem erstaunlich hinterfotzig nationalistisch. Die Franzosen werden mit ihren Kolonialtruppen gezeigt, die der napoleonische Offizier nur mit Mühe von der Flucht abhält. Die "reinrassigen" Sachsen stürmen und sichern den Sieg des zukünftigen Kaiserreichs.
Nur weiter
Christoph Leusch
ja,
- das ist eine schöne beobachtung von Ihnen: das schlacht-gemälde zeigt
einen kampf der kulturen/rassen.
- und den "einigungs-kriegen" folgten schöne mit-nahmen
(territoriale: z.b. königreich hannover,und bare gold-francs),
mit denen auch wankelmütige dynasten(bayern) bestochen,
skrupel wegen macht-zentralisierung sich auflösen ließen.
der gewalt-bereite nationalismus zahlte sich aus.
Wieviel "Blut und Eisen" wert war, neben der wirtschaftlichen Hausse, die die völlig überzogenen Reparationen auslösten, hin zum ersten deutschen Crash ("Gründerkrach"), beweisen die vielen National- und Kriegervereine, die Entwicklung der schlagenden Verbindungen, die Stellung der Reserveoffiziere und -Unteroffiziere in Ämtern und beim Eintritt in den Polizeidienst, die Stellung der Berufsoffiziere. Gedient zu haben, wurde praktisch Männerpflicht. - Frau hobrack fasst das gekonnt zusammen.
Sogar Wissenschaftler und Gelehrte mussten sich, bei Gelegenheit, uniformieren. Allerdings ist es nicht so, dass Deutschland, das Kaiserreich, diese historischen Krankheiten alleine ausentwickelte. - Die Ehrenlegion pflegt ihre Ränge und Kostüme, bis heute. Die Damen sehen darin nicht gerade gut aus, die Herren oftmals knöchern.
Wie Frau Hobrack, die aufmerksame Beobachterin, schreibt, fing diese Militarisierung schon früher an und nannte sich "Levée en masse" und "Befreiungskrieg". Davor war der Krieg Sache gekaufter Söldner oder gepresster Bauernkinder, geführt von durchweg adeligen Berufsoffizieren.
Selbst an unseren "Nationaldichtern" ging die Kriegerfreude nicht vorbei. Goethe sah den Soldaten als glücklichen Menschen, obwohl der am Abend "bloß", d.h. tot und geplündert, im Felde liegen konnte und er sehr wohl wusste, dass Rüstung immer Krieg bedeutet.
Der im Fechten ausgebildete Olympier, ritt zwar gerne zur Beobachtung von Schlachten und Belagerungen mit "weltgeschichtlicher" Bedeutung, aber kämpfen wollte er lieber nicht.
Sein Dioskur Schiller, an der Karlsschule auch militärisch (mal)trätiert, floh aus dem Dienst und schrieb später viel Theater und viel Geschichte, über Krieg und Bürgerkrieg. Kleist ist ganz Krieg, sogar gegen sich selbst.
Und Hölderlin lässt Hyperion kriegerisch schwärmen, bis er bekennen muss: >>Es ist aus, Diotima! unsere Leute haben geplündert, gemordet, ohne Unterschied, auch unsere Brüder sind erschlagen, die Griechen in Misistra, die Unschuldigen,....Aber ich habs auch klug gemacht. Ich habe meine Leute gekannt. In der That! es war ein auserordentlich Project, durch eine Räuberbande mein Elysium zu pflanzen.
Nein! bei der heiligen Nemesis! mir ist recht geschehn.<<
Eine kleine sachliche Kritik an dem sehr gut geschriebenen Text unserer Autorin habe ich aber trotzdem noch.
Sie missdeutet, um Kittler gerecht zu werden, die Bedeutung der Kanone im Bild, die sich nicht mit den maschinengleich stürmenden Sachsen (hohe Verluste!) verbindet, sondern sie kurz vorher noch zerfetzt hat.
Die innige Verbindung bestand aber durchaus. Man denke nur an den Drill, möglichst viele Geschosse pro Zeiteinheit zum Feind und seiner Zivilbevölkerung zu senden.
Die Hochzeit der kriegerischen und wirtschaftlichen Mensch- Maschine Einheit, kommt allerdings ein wenig später. Zur Zeit der Reichseinigung und der Nationalvereine, herschte immer noch die Verklärung des soldatischen Helden, der sein Vaterland verteidigt oder erst eines erobert, auch in Übersee.
Von "Blut und Eisen" geht es doch irgendwie zu "Stahlgewittern" und von dort weiter zum ersten Eingeständnis, es auf die totale Vernichtung oder Unterdrückung des Feindes abgesehen zu haben, bei dem auch das eigene Volk nur Masse ist und untergehen soll, wenn es sich nicht als stark, opferbereit und siegreich genug erweist.
Beste Grüße
Christoph Leusch
ja, Sie resümieren den deutschen main-stream sooo recht,
ohne die europäische grund-stimmung jener zeit zu salvieren...
es war die epoche eines hierarchie-treuen staats-enthusiasmus,
eines sich aus-zahlenden pseudo-heroismus,
einer "zivil-feigheit"(tucho), einer sich-lohnenden folge-bereitschaft,
wie sie heinrich mann typisiert, aber mit facetten, die das sozial-abgründige
in der person des diederich heßling im "der untertan" fassen,
literarisch ver-körpert hat.
über das, was die zunft der historiker in streit brachte über die ereignisse,
bietet ein einstieg der wiki-artikel:
--> "treitschke-baumgarten-kontroverse".