Porträt der Nobelpreisträgerin als junge Frau

Literatur Mit 77 Jahren wird die US-Lyrikerin ausgezeichnet. Abgebildet sieht man Louise Glück aber häufig mit Mitte 20. Warum?
Ausgabe 42/2020
Louise Glück im Jahr 2014
Louise Glück im Jahr 2014

Foto: Robin Marchant/Getty Images

Mensch, die sieht aber jung aus für eine 77-Jährige! Die Rede ist von Louise Glück, die uns aus zahlreichen Artikeln über ihre Nobelpreisauszeichnung als junge Frau anschaut. Eines der in US-Medien häufig verwendeten Bilder datiert auf die späten 60er, da war Glück gerade einmal Mitte 20 und sicher nicht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Es ist ein hübsches Bild: Glück mit Schwalbenschwanz-Lidstrich. Nichts kündet vom Dasein als „Poet Laureate“ oder Universitätsprofessorin. Beinahe niedlich wirkt sie. In einem anderen, nun populären Bild streicht sie ihr dunkles Haar aus dem Gesicht, die weiße Bluse öffnet sich V-förmig gerade so weit, dass es nicht obszön wirkt, wohl aber lässig-lasziv. Eine Bildkonvention der 70er Jahre, für Frauen allemal.

Für einen Mann können wir uns dieselbe Vorgehensweise nur schwerlich vorstellen: Jedenfalls erinnert man sich nicht daran, dass Zeitschriften Jugendbilder von Günter Grass oder Peter Handke rauskramten, die in jungen Jahren ja sowieso mit ihrem älteren Ich kaum zu identifizieren waren. Lächerlich die Vorstellung, den reifen Autor mit seiner Text- und eben Bildproduktion aus Jugendtagen (die reichen im deutschen Literaturbetrieb bis in die frühen 40er) repräsentieren zu wollen, unter Zwiebelschalen und kaschubischen Röcken nach altem Bildmaterial zu kramen. Dem Grass fehlte da ohnehin der charakteristische, den Unterbiss verbergende Großschnäuzer, und auch der junge Handke, in Ermangelung der Charakterbrille, ist kaum wiederzuerkennen. Und bei Glück? Schaut heute unter einem grauen Bob hervor, der – so würde das meine Friseurin nennen – ein bisschen „frech“, doch, auch jugendlich wirkt. Allein wie die grauen Strähnen das Haar durchziehen! Es erinnert doch stark an die Susan-Sontag-Strähne, den grauen Balken, eine Statement-Frisur.

Vermuten könnte man, dass die Bildauswahl einem unbewussten Wunsch folgt: Die Autorin, die mithilfe des Nobelpreises nun endgültig und wahrscheinlich für lange Zeit kanonisiert ist, „at her very best“, also irgendwo zwischen Mitte zwanzig und Mitte vierzig, darzustellen. Vielleicht wählten Zeit, ‚taz und Co. deshalb dasselbe Schwarz-Weiß-Bild der Autorin, auf dem sie wallendes, dichtes, schwarzes Haar trägt, eine Art Dallas-Frisur, beinahe glamourös, interessant gebrochen durch ihren ernsten Gesichtsausdruck.

Die aktuellen Bilder dagegen zeigen eine Frau, die – wie sollte es auch anders sein – Falten hat, Augenringe, sogar etwas gestresst wirkt angesichts des Rummels um ihre Person. Deren Mundwinkel streng nach unten weisen und nicht gerade von Altersmilde künden. Nein, wie eine gemütliche Oma sieht Glück nun auch nicht aus, vielmehr wie eine selbstbewusste, gestandene Frau, „altersgemäß“, müsste man wohl sagen. Und genau so sollte das Bild aussehen, das wir uns von ihr machen. Neueste Fotos zeigen sie übrigens in Schwarz gekleidet, mit schwarzer Gesichtsmaske, sozusagen als Lyrik-Ninja. Was für eine vertane Chance, wenn man solch ein Bild nicht auswählt!

Nun darf zum Schluss nicht unerwähnt bleiben, dass auch dieser Text sich schuldig macht, weil er über das Aussehen der Autorin schreibt. Deshalb mag das sinnvollere Plädoyer vielleicht so lauten: Zeigt uns doch bitte zukünftig all die Handkes, Grassens, die Coetzees und Pamuks im Glanze ihrer Jugend, viril, gesund und mit glossigem Schwarz- oder lockigem Blondhaar, und bloß nicht ergraut, altersmüde und kurzsichtig!

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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