W elche „Skripte“ und „Konzepte“ formen das, was wir landläufig als Frausein bezeichnen? Und warum können sich Frauen, auch nach Jahrzehnten des feministischen Diskurses, nicht einfach von diesen Skripten lösen? Das fragt die Kulturwissenschaftlerin Ann-Kristin Tlusty in ihrer klugen feministischen Kritik Süß.
Tlustys Buch erläutert, wie verinnerlichte Handlungsanweisungen Frauen dazu bringen, Dinge zu tun, die sich mit ihren Wünschen nicht decken. Warum also emanzipierte Frauen plötzlich flirty und süß auftreten, obwohl sie dies unangenehm finden. Hierzu analysiert Tlusty drei Frauenfiguren: Die „sanfte“, die „zarte“ und die „süße“ Frau werden jeweils im Kontext einer gesellschaftspolitischen Fragestellung beleuchtet. Anhand der sanften Frau, die eigene Bedürfnisse zugunsten anderer zurückstellt, betrachtet Tlusty das Problem der un- oder unterbezahlten Care-Arbeit: „Es war ein gigantischer Coup der patriarchalen Theoriegeschichte, die weibliche Arbeit nonchalant zur Nicht-Arbeit erklärt und als Sanftheit essenzialisiert zu haben.“ Tlusty geht es aber nicht darum, die Sanftheit zu kritisieren. Sie wünscht sich vielmehr, dass Sanftheit als Option für alle Geschlechter gelten darf.
Mit der „süßen“ Frau beleuchtet Tlusty das Feld des Sexuellen in der heterosexuellen Matrix. Die süße Frau ist für den Mann sexuell verfügbar, eine konsumierbare, köstliche Frau. Die Autorin zeigt Probleme feministischer Sex-Positivity-Kultur, die sexuelle Aktivität und Selbstbestimmung zu einer Art Imperativ erhoben hat. Sie verweist auf die Soziologin Eva Illouz und deren Argument, dass sexuelle Aktivität und Kompetenz zu einem Wertkriterium geworden seien – unabhängig vom Geschlecht. Das aber lasse wenig Raum für eine tastende, wunschgesteuerte Sexualität, die womöglich auch in zeitweiligem Verzicht oder weniger aufregenden Praktiken wie dem so gerne gescholtenen Blümchensex bestehen könnte. Die zarte Frau wiederum ist jene Frauenfigur, die in unserem Bild nur durch die Existenz eines Mannes gerettet oder glücklich gemacht werden kann.
Warum hat sich also an den realen Machtverhältnissen trotz jahrzehntelanger feministischer Kämpfe so wenig geändert? Als eine Problemursache identifiziert die Autorin den „Potenzfeminismus“, der Frauen auffordert, selbstbestimmt ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, dabei aber strukturelle Hindernisse missachtet und verdeckt. Es seien längst nicht nur gläserne Decken, die Frauen zurückhalten, sondern „unsichtbare Wände“, „zuckrige Fassaden, zusammengehalten von klebriger Ideologie“. Übrigens mit liberalen, kapitalistischen Streuseln dekoriert.
Anders als es das etwas grelle Cover des Buches nahelegt, schreibt Tlusty sachlich, nüchtern und verzichtet dabei auf die von vielen ja als Zumutung empfundenen Gendersternchen; meist schreibt sie ohnehin über „die Frau“ oder „Frauen“, wohl wissend, dass sich keine Aussagen über alle Frauen treffen lassen. Die sanfte, süße und zarte Frau sind bei der Autorin auch dezidiert weiße, bürgerliche Figuren. Auch das erklärt, warum in Kämpfen für Anerkennung Women of Color oder als „asiatisch“ gelesene Frauen auf andere Strategien der Aneignung und Zurückweisung dieser Frauenbilder zurückgreifen müssen.
„Frau“ meint in Tlustys Streitschrift tatsächlich immer schon einen Modus der Welterfahrung. So gelingt ihr die paradoxe Gratwanderung, über Frauen zu schreiben, und gleichsam die kulturellen und gesellschaftlichen Narrative, die das Frausein strukturieren und einhegen, hinterfragen zu können. Zum Schluss erscheinen die analysierten Frauenfiguren als das, was sie sind: klebrig-süße Fallen, in die Frauen nicht erst tappen sollten.
Info
Süß. Eine feministische Kritik Ann-Kristin Tlusty Carl Hanser Verlag 2021, 208 S., 18 €
Kommentare 3
dabei sind den "süßen frauen" doch neuerdings
"die süßen jungs" auf den fersen.
oda?
Die Gewalt gegen Frauen dürfte meist eine Reaktionsbildung schwacher, sich minderwertig fühlender Männer sein. Im Unterschied zum Feminismus denke ich nicht, daß das Patriarchat die Frauen nur künstlich klein gemacht hat, um sie zu beherrschen, daß es vielmehr eine Strategie ist, die Männer aufzuwerten dadurch, daß sie zum Beschützer der Frauen erklärt werden und ihnen damit eine dominante Rolle zugeschrieben wird bzw werden kann. Wenn sie schon nicht süß, zart, sanft sind, das schöne Geschlecht, dann wenigstens das Gegenteil, furchterregend, hart, widerständig als komplementäre Qualitäten zur Lebensbewältigung oder zum Schutz der Frauen. Es ist schwer nachvollziehbar, warum so leicht unterschlagen wird, daß süß, zart, sanft sehr positiv konnotierte Eigenschaften sind. Und keineswegs generell mit Schwächen assoziiert werden müssen. Frauen, die sich davon meinen, befreien zu müssen, gehören auf die Couch wie die Masse der Männer, die statt das Feminine zu lieben vom Zwang beherrscht sind, es vernutzen, unterjochen oder zerstören zu müssen. Es gibt genug Gründe, auch den Wert maskuliner Eigenschaften zu schätzen, also zu einem positiven Männerbild, der gewalttätige Mann gehört nicht dazu.
Was ist der Sinn dieses kleinen Einwurfs? Männer und Frauen müssen lernen, die Gewalt gegen Frauen vorrangig als Schwäche(re)aktionen zu verstehen und dementsprechend nach nachhaltigen Lösungen zu suchen. Nicht mehr süß, zart, sanft sein zu wollen, ist in der Regel keine Rettung für Frauen, sondern Selbstdemontage. Ich bestreite nicht, daß es auch die klebrig-süßen Fallen gibt, aber der Schwerpunkt ist in der vorgestellten, für viele feministische Ansätze typischen Strategie falsch gesetzt.
Hmm – so neu sind Ann-Kristin Tlustys Erkenntnisse nun auch nicht; die (autonome) Frauenbewegung der Achtziger hat sich just an diesen das »Sein« betreffenden Punkten zur Genüge abgearbeitet. Trotzdem ist der Ansatz, vorzugsweise oder gar ausschließlich an der eigenen »Womanpower« zu arbeiten, falsch. Der Grund: Zwar nicht alle, aber doch die Mehrzahl der krassesten Übergriffs-Konstellationen gegen Frauen wird von neoliberalistischen Verhältnissen ursächlich beflügelt: den Werbe- und Influenzer(innen)-Botschaften, der Konsumindustrie, den Medien, der Ideologieproduktion und last but not least der Politik.
Ein Punkt von ebendieser ist beispielsweise die von etablierten Parteien wie Unternehmen gehypte Botschaft, Kinder (kriegen) und ordentliche Berufs-Stellung schlössen sich gegenseitig aus. Eine Haltung, die speziell der Exportweltmeister in besonders fundamentalistisch-neoliberaler Weise in die Praxis umsetzt – nicht nur über das nach wie vor stark verbesserungswürdige Kita-Netz, sondern auch durch die Weigerung, erpresserische Praktiken der Unternehmen zu ahnden. Die Folge: Die Geburtsrate in D lag 2017 bei etwas über 1,2. In Frankreich hingegen, wo bürgerlich-demokratische Grundprinzipien einen weitaus höheren Stellenwert haben, lag sie im selben Jahr bei 2. Simpler Grund: Berufstätige Mütter sind in Frankreich deutlich besser abgestützt. Sie genießen nicht nur einen weitergehenden rechtlichen Schutz; auch die Kita-Frage ist dort Republikfrage – da können die Großunternehmen noch so rumnölen.
Den Abschnitt, was in D (seit Jahrzehnten) da schlechter läuft, schenke ich mir an der Stelle. Die zu tätigenden Schlüsse liegen allerdings auf der Hand. Sicher gibt es eine Reihe Themen, für die feministische Theorie und Praxis die besten Zugänge liefern. Um die wirklichen Brocken aus dem Weg zu räumen, ist allerdings eine GEMEINSAME politische Praxis von Frauen und Männern unabdingbar. In dem Sinn: UNITED !! Der Kapitalismus lässt sich nur dann effektiv überwinden, wenn die Multitude der vielen sich organisiert – und genau das in die Wege leitet.