Der Februar gilt in den USA als Black History Month. Das Land erinnert sich an schwarze Persönlichkeiten und Vorkämpfer für Bürgerrechte. Dieses Jahr wird die Bewegung zur Feier schwarzer Geschichte nicht nur von Bombendrohungen gegen Colleges für Schwarze überschattet, sondern auch von dem juristischen Streit um „Affirmative Action“, der nun vor dem Supreme Court, dem obersten amerikanischen Gericht, ausgetragen wird. Affirmative Action kennt man in Deutschland auch unter dem Begriff der „positiven Diskriminierung“. In den Verfahren geht es um die Frage, ob universitäre Auswahlverfahren die Hautfarbe von Bewerbern berücksichtigen sollen. Afroamerikaner erhalten etwa einen Bonus bei der College-Zulassung. Vielen Konservativen ist das ein Dorn im Auge.
Moralisch verdammte Weiße
Zu diesen Konservativen gehört auch der Intellektuelle John McWhorter, Professor für Linguistik und Literaturwissenschaft. Dieser Tage erscheint seine Streitschrift Die Erwählten auf Deutsch. Darin geht es zwar nur am Rande um Affirmative Action, aber McWhorters Buch zeigt, wie hitzig die Debatte um den richtigen Weg zur Gleichstellung von Schwarzen und Weißen geführt wird. Die Erwählten ist ein angriffslustiges Manifest gegen falsch verstandenen Antirassismus, gegen Identitätspolitik und Cancel Culture, also gegen den Trend, vermeintliches Fehlverhalten (durch zumeist Prominente) öffentlich zu ächten oder zu sanktionieren. Erfolgten Angriffe auf Identitätspolitik bisher eher von rechts, zuletzt auch von linken, marxistischen Autoren, so ist McWhorters Kritik nun die eines konservativen Schwarzen. Er attackiert Antirassisten der „Dritten Welle“, denen es längst nicht mehr um den Kampf für Bürgerrechte gehe; vielmehr bezögen sie Genugtuung aus der moralischen Verdammung von Weißen.
Das allein ist starker Tobak, aber McWhorter geht noch weiter: Letztlich trügen die Antirassisten selbst zur gesellschaftlichen Spaltung bei, indem sie es unmöglich machten, über die Probleme in schwarzen Communitys zu sprechen, ohne des Rassismus verdächtigt zu werden. Er nennt zum Beispiel die Gewalt, die von schwarzen Männern ausgehe und sich gegen andere Schwarze richte.
Obgleich der Autor sich als konservativ charakterisiert, erscheint vieles an seinem Denken als (neo)liberal, etwa wenn er Leistungshierarchien vehement verteidigt. Er ist strikt dagegen, Schwarzen einen Bonus bei der Zulassung zu Universitäten zu gewähren: Wem nütze es, wenn ein Student für ein College zugelassen werde, auf dem er mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern werde? Wer die Zahl schwarzer Studierender erhöhen wolle, der müsse bei besseren Schulen ansetzen. Ganz der Konservative, spricht McWhorter allerdings nicht an, was hinter schlechten Schulen für schwarze Schüler steckt: die Klassenfrage. Schwarze leben häufig in ärmeren Vierteln, in denen Schulen schlechter finanziert sind.
In einigen Punkten trifft sich McWhorters Analyse mit linken Analysen wie Walter Benn Michaels Der Trubel um Diversität: So stellen beide den allseits diagnostizierten strukturellen Rassismus in Frage. Ja, es gebe Rassismus, aber es sei undenkbar geworden, sich in einer herausgehobenen Position rassistisch zu äußern, ohne dafür sanktioniert zu werden. Anders als linke Kritiker, die vor allem das Verschwinden der Debatte um soziale Gerechtigkeit zugunsten der Identitätsdebatte beklagen, kritisiert McWorther, dass Schwarze systematisch von selbstgerechten jungen Linken viktimisiert, in ihrer Rolle als hilflose Leidende in einem System von Ungerechtigkeiten festgeschrieben würden.
Das Buch strotzt vor starker Polemik
Auch die Black-Lives-Matter-Bewegung ist ihm nicht heilig: Natürlich sei der Mord an einem Menschen durch nichts zu rechtfertigen und George Floyds Fall sei eindeutig. Man dürfe aber nicht verschweigen, dass statistisch gesehen schwarze Männer vor allem von anderen schwarzen Männern getötet und dass weit mehr Weiße als Schwarze Opfer von Polizeigewalt würden (entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil). Phänomene der Gewalt nur durch die Race-Brille zu betrachten, führe in die Irre. Insbesondere Gewalt an Schulen, die von Schwarzen ausgehe, werde immer häufiger verschwiegen, mit dem Ergebnis, dass schwarze Schüler noch schlechter lernen könnten.
McWhorters Buch ist starker Tobak nicht nur für die „Erwählten“ selbst; es strotzt nur so vor Polemik, geht sogar so weit, die Antirassisten mit religiösen Fanatikern zu vergleichen: „Millionen unschuldiger Menschen haben eine Höllenangst davor, ins Visier einer Rotte eifernder Inquisitorinnen und Inquisitoren zu geraten …“ Dieser aggressive, ebenso fanatisch und eifernd anmutende Tonfall schadet dem Buch. Wer sich über Eiferer ereifert, macht sich angreifbar.
McWhorter bleibt allerdings nicht bei der beißenden Kritik stehen, er liefert sogleich ein Programm, das die Situation der Schwarzen konkret verbessern soll, ohne Kämpfe über Sprache und Repräsentation zu führen. Erstens müsse der Krieg gegen die Drogen aufhören: Der Krieg gegen Drogen habe eine ganze Generation schwarzer Männer ins Gefängnis gebracht, weswegen viele schwarze Kinder ohne Vater aufwachsen und ihre Mütter armutsgefährdet zurückbleiben. McWhorter plädiert für ein Ende der Kriminalisierung; damit würde sich auch die Gangster-Kultur auflösen, die so untrennbar mit Drogenkriminalität verbunden ist. Zweitens brauche es eine Bildungsreform. Unter Schwarzen sei die Zahl der funktionalen Analphabeten hoch. Viele schwarze Kinder seien bildungsfern und bräuchten andere Programme zur Leseförderung als Mittelschichtskinder. Drittens plädiert McWhorter für die Stärkung des Ausbildungswesens. Für die Mehrzahl der Schwarzen sei der College-Besuch kein Aufstiegsgarant, angesichts exorbitanter Kosten und hoher Misserfolgswahrscheinlichkeit. Stattdessen solle das Ausbildungssystem, das stabile Karrieren ermöglicht, aufgewertet werden. Diese Maßnahmenliste sei bewusst kurz und leicht umzusetzen. Man könnte hinzufügen: Sie ist auch kostengünstig. Die Klassenlogik der amerikanischen Gesellschaft lässt sie bewusst unangetastet.
Info
Die Erwählten John McWhorter Kirsten Riesselmann (Übers.), Hoffmann und Campe 2022, 256 S., 23 €
Kommentare 5
schön-beleuchtender beitrag !
licht wirft nicht nur schatten,
es besteht auch aus diversen spektral-farben...
In seinem Vortrag beim Berliner Literaturfestival 2021 stellt er sehr einleuchtend heraus, warum Critical Race Theory tatsächlich eine neue Religion ist und nicht etwa _wie_ eine Religion. Ihre Vertreter sehen jeden Aspekt des Lebens und denken jeden Gedanken primär als eine Erscheinungsform von Machtgefälle. Darin gleichen sie den Menschen im europäischen Mittelalter oder sehr frommen Juden oder Moslems, die ihre ganze Welt immer in Bezug zu göttlichen Prinzipien setzen. Sie betrachten sich als Hüter einer Wahrheit, die von anderen lediglich noch nicht erkannt wurde. Daraus entsteht eine Anti-Intellektualität, die unter vielem anderem Naturwissenschaften beiseite schiebt ("Biologismus") und Kunst ausselektiert.
Hier ein kurzer Ausschnitt: https://www.youtube.com/watch?v=EI4qqlWvHic
Der provokative Reiz der Arbeiten von John McWhorter kommt nicht unerheblich von der Tatsache, dass er selbst POC (‚person of colour‘) ist, und sich eine beliebte Zielgruppe (‚the Woke‘) für schlichte Angriffe ausgesucht hat.
Ein derzeit gutes Erfolgsrezept.
Er analysiert mit dem Werkzeugkasten der Linguistik, extrapoliert seine Ergebnisse soziologisch, jedoch sehr selektiv und eng-gefasst, und setzt diese Ergebnisse in wiederum selektive, allgemein-politische Forderungen oder Ziele um, die oft wenig mit dem Ausgangspunkt der Untersuchung zu tun haben.
Er bricht dabei durch drei verschiedene Argumentationsebenen, das kann man tun, aber nur innerhalb einer gewissen Bandbreite, anderenfalls wird die verbindende Argumentationskette (‚the Rationale‘) zu dünn.
Insgesamt ist dies eine bewährte Methode, um kritische Ansätze (z.B. 'Critical Race Theory') populär zu diskreditieren.
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PS Auch bei verschiedenen Kommentaren hier in der FC zum Thema ‚Wissenschaft‘, wird die interne Logik auf einer Argumentationsebene manchmal allzu leicht mit anderen Argumentationsebenen vermischt, was sehr schnell zu spektakulären Scheinpolarisierungen führt.
'Unpack the Past.'
Zur Entstehung der BLM/Antirassismus-Kritik:
Rassismus und die Wurzeln der konservativen Philanthropie in den USA.
Vom New-Deal-Liberalismus in den 1930er-Jahren über die akademischen Kulturkriege der 1980er-Jahre bis hin zum Aufstieg von Donald Trump – wie die Angst der Weißen vor Machtverlust zu Philanthropie führte, die offen von Diskussionen über Rasse und Diversität abrät.
https://www.aljazeera.com/features/2022/2/17/racism-and-the-roots-of-conservative-philanthropy-in-the-us
Danke für die Rezension, auch Menschen, die die Ausführungen von McWhorter nicht teilen, sollten sie zur Kenntnisnehmen. Der moralisch fundierte Überschwang für die Black Lives Matter Bewegung war ja oft wenig analytisch fundiert. Sie treffen sich ja auch mit linken Kritiken beispielsweise von Michael Walter Benn.