Inspiration statt Windeln: Mutterschaft als Ende weiblicher Subjektivität?

Feminismus Geht’s um Kinder, wird’s schnell pathetisch: Die einen erheben den Nachwuchs zum Heiligtum – und andere zum Gegenbild eines erfüllten Lebens
Ausgabe 39/2022

Vor Kurzem veröffentlichte die Journalistin Anna Mayr einen Text, in der sie der Frage nachging, warum Menschen Eltern werden wollen. Sie startet also eine Umfrage unter Kollegen, die sie – nicht namentlich – in ihrem Text zitiert. Alle stammeln, manche sind von der Liebe zum Kind gar zu Tränen gerührt. Alles in allem, so hat man den Eindruck, sind die versammelten Stimmen keine allzu gute Reklame für Elternschaft: Planlos, hilflos, wortlos sind die Kollegen der schreibenden Zunft. Manche Dinge entziehen sich eben der Sprache. So, wie man auch niemandem rationale Gründe für die Wahl eines Partners oder der liebsten Eiscremesorte nennen kann.

Während ich den Text las, überlegte ich, was ich geantwortet hätte. Meine Antwort fällt nicht klüger aus als jene der Kollegen, klingt gar nach einer Tautologie: Ich bekam Kinder, weil ich es mag, Mutter zu sein. Seltsam, werden Sie jetzt sagen, wie kann man denn wissen, dass man etwas gerne mag, noch bevor man es zum ersten Mal erlebt hat? Stimmt, kann man nicht. Ich präzisiere: Mir gefiel die Idee der Mutterschaft schon immer.

Manchmal fühle ich mich, publizistisch betrachtet, mit diesem Gefühl etwas allein. Die Zahl der Artikel, die über ein „kinderfreies“ Leben (klingt immer ein bisschen, als seien Kinder eine Krankheit) und Regretting Motherhood berichten, nimmt stetig zu. Natürlich könnte es sich um ein Wahrnehmungsproblem handeln, vielleicht bilde ich mir das nur ein. Zeitgleich steigt meine Wut bei der Lektüre solcher Texte, langsam, stetig, doch merklich. Warum nur?

Stört es mich, wenn eine Frau nicht Mutter werden will? Nein, im Gegenteil. Ich empfinde keinen Bekehrungseifer. Ist die Wut Konsequenz einer Verdrängung? Vielleicht bereue ich selbst die Mutterschaft? Nein, das ist es auch nicht, sonst hätte ich mich nicht dafür entschieden, zum zweiten Mal Mutter zu werden, noch dazu an einem Zeitpunkt, als mein Ältester „aus dem Gröbsten raus war“, wie man so schön sagt. Es gab durchaus Momente der Überforderung als Mutter, aber die Überforderung betraf stets die Situation, nicht die Tatsache des Mutterseins selbst. Was regt mich dann so auf an dem Diskurs über die Schrecken der Mutterschaft?

Am besten lässt es sich mit Sheila Hetis Buch Motherhood erklären. Man kann das Buch als literarischen Essay lesen, auch als Roman – oder als etwas, das auf der Grenze zwischen diesen Genres tanzt. Jedenfalls stellt sich darin eine Frau Ende dreißig die Frage, ob sie Mutter werden möchte. Eigentlich stellt sie sich die Frage gar nicht, denn ihr Urteil scheint bereits festzustehen: Nein, sie will das nicht. Trotzdem fragt sie sich, ob sie nicht wollen sollte. So weit, so interessant. Das Problem ist nur, wogegen Hetis literarisches Ich argumentiert.

Sie will nicht zu einer ungepflegten Hausfrau verkommen, die ihr Seelenheil in den Kindern sucht. Sie will Kunst machen, sie will Freunde treffen, sie will reisen. Die Mütter in ihrem Umfeld sind immerzu derangiert, uninspiriert, unkonzentriert. Und das ist der Punkt. Das ist der Kristallisationspunkt meiner Wut. Das Buch, das gefeiert wird, als eine rohe, ehrliche Auseinandersetzung mit Mutterschaft, ist im Kern misogyn. Ja, nicht mutterfeindlich, sondern frauenfeindlich. Und zwar deshalb, weil es klandestin ein männliches Bild vom Künstler entfaltet, der schöpft, während die Frau erschöpft ist, vom Kinderkriegen, vom Alltag. Hetis Buch-Ich verhandelt Mutterschaft unausweichlich als Ende weiblicher Subjektivität. Das ist weder radikal noch mutig. Tatsächlich handelt es sich um ein trauriges Zerrbild. Siri Hustvedt, Joan Didion oder Susan Sontag könnten eine andere Geschichte erzählen.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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