Sami sucht Liebe

Flüchtlinge Lassen Sie Flüchtlinge bloß nicht zu nahe an sich heran! Das könnte Ihr Mitleid erregen. Und macht es viel schwerer, die Lage von Flüchtlingen zu ignorieren.

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Foto: Pixabay; CCo Public Domain

Es ist Vormittag und ich merke, dass ich nicht recht in Schwung kommen will beim Arbeiten. Kein Wunder, der Kaffee fehlt, ohne Kaffee wird aus der gut geölten Schreibmaschine, die ich bin, eine träge Tastendrückerin. Aber die Kaffeedose ist leer.

Kaffee muss her! Also trete ich den Weg zum Discounter um die Ecke an. Nicht weit der Weg. Eigentlich hatte ich ja nur den Kaffee holen wollen, aber nun sammeln sich in meiner Einkaufstüte allerhand andere Dinge, die man beim Schreiben gebrauchen kann: Nutella und Croissants, Cola und Toffifee. Der Beutel ist ganz ausgebeult von all dem Konsum.

Die Sonne blendet mich, als ich aus dem Discounter trete, ich muss niesen. Ich fummle ein Taschentuch aus meiner Hosentasche, da steht er plötzlich neben mir. Ein junger Mann, etwas größer als ich, schmale Schultern, schmales Gesicht.

„Hi“, sagt er, etwas schüchtern.

Ich schaue ihn verblüfft an.

Sein Name sei Sami, sagt er in gebrochenem Deutsch. Wie ich heiße, fragt er. Ich sage meinen Namen. Ich merke, dass er nach Worten sucht.

„Würde es dir helfen, wenn wir Englisch sprächen?“, frage ich, und er nickt lächelnd.

Sami sagt, ich sehe nett aus. Deswegen habe er mich angesprochen. Er fragt, ob ich Französin sei. Ich bin für einen Moment irritiert. Bei Französinnen denke ich an lässige Eleganz, an Vogue und Stilgefühl. Ich gucke an mir herunter: ausgebeulte Männerhosen (gehören meinem Ex), ausgelatschte Schuhe, strähniges Haar.

„Leider nicht“, sage ich.

Wir gehen weiter und schweigen unbeholfen. Sami kann das nicht wissen, aber ich bin nicht unbedingt die Königin des Small Talks.

Wo ich wohne, fragt er mich. Ich deute in die Richtung meines Hauses, es liegt ja nicht weit entfernt. Eine Straßenbahn donnert an uns vorbei, der Schall schluckt seine schüchterne Stimme. Er wohne da, und zeigt mit seinem Finger auf ein frei stehendes Haus, das zwischen Hauptstraße und Verwaltungszweckbauten eingeklemmt ist. Ich verstehe.

*

Das Haus war lange Zeit unbewohnt gewesen, etwas baufällig. Irgendwann hatten dann die Bauarbeiten begonnen. Ich weiß noch, eines Morgens, als ich auf die Bahn wartete, wunderte ich mich darüber, warum vor allen Fenstern in dem Mehrfamilienhaus die gleichen Vorhänge hingen.

Ein paar Tage später waren sie dann da. Die ersten Flüchtlinge zogen in das Haus ein. Anfangs waren es vor allem Familien. Man sah kleine Kinder hinter Zaungittern in kaputten Schuhen mit kaputten Bällen über den Betonboden bolzen. Irgendwann sah man keine Familien mehr, sondern nur noch junge Männer.

Wenn ich auf meine Bahn warte und hinauf zu den Fenstern blicke, dann sehe ich immer dasselbe: Junge Männer, die hinter den Fenstern warten. Sie sitzen auf den Fensterbänken, manchmal sieht man, dass sie gerade aus der Dusche kommen, Handtücher um sich gewickelt, mit nassen Haaren; manchmal streifen sie die Vorhänge hinter den Fenstern zurück, erblicken meinen Blick, ich erröte, sie winken mir zu.

Nur die Straße liegt zwischen uns, aber irgendwie auch eine ganze Welt. Sie sitzen da wie in einem Schaufenster oder einem Setzkasten. Jeder hinter seinem Fenster, hübsch aufgereiht. Sie sitzen da, stumm, warten, warten. „Wie bestellt und nicht abgeholt“, so hätte mein Vater diese Art von Warten genannt, aber ein Zyniker würde sagen, dass sie nie bestellt wurden. Sie kamen einfach.

*

Es gab keine Proteste gegen das Flüchtlingswohnheim. Man möchte das in diesen Tagen, zumal in Ostdeutschland, zumal in Dresden, erwähnen. Das liegt auch daran, dass dieses Haus eröffnete, bevor Flüchtlinge, bevor Pegida ein so großes Nachrichtenthema wurden. Es geschah still und heimlich, und so recht nahm niemand Notiz davon. Es ist ja auch nicht schwer, einfach wegzuschauen.

Als Sami auf das Gebäude zeigt, geht mir ein Licht auf.

„Woher kommst du?“, frage ich. Aus Syrien, sagt er. Ich nicke wortlos, sehe Bilder von ausgebombten Stadtteilen, von IS-Kämpfern mit langen Bärten.

Nun habe ich einen Kloß im Hals. Die Pause wird immer länger, es wird immer schwerer, die passenden Worte zu finden. Weil ich keine Worte finde, schaue ich in Samis Gesicht.

Sami hat ein schönes arabisches Profil, dunkelbraune leicht lockige Haare, die bis zu seinem Kinn herabfallen, schwarze dichte Augenbrauen, erschütternd blaue Augen. Ich muss mich zurückhalten, für diese blauen Augen keine kitschigen Metaphern zu bemühen.

Das Schweigen hat zu lange gedauert, inzwischen sind wir bei meinem Wohnhaus angekommen.

„Hier wohnst du?“, fragt er nochmal. Ich nicke.

„Vielleicht sehen wir uns mal wieder“, sagt er zum Abschied, und versucht zu lächeln. Ich lächle gequält zurück.

*

Sami ist nicht der einzige junge Asylbewerber, der mich anspricht. Eigentlich passiert es immer wieder, immer auf die gleiche Art. Ich bin unterwegs, steige in eine Bahn oder aus ihr aus. Und dann sind da junge Männer auf der Suche. Vielleicht nach Freunden, einer Beziehung, menschlicher Nähe, nach Liebe.

Da ist zum Beispiel Rashed. Er spricht mich eine Zeit lang immer wieder an. Er sagt dabei immer das gleiche in gebrochenem Englisch: Er fragt nach meinem Namen, er sagt, dass er Freunde suche, er fragt, ob ich ihm meine Telefonnummer gebe.

Ich versuche ihm zu erklären, dass ich ihm meine Nummer nicht geben kann, dass ich sie niemandem einfach so auf der Straße geben würde. Ich versuche einen Grund zu finden, warum wir nichts miteinander trinken können, wie er es vorschlägt. Warum ich weitereilen muss. Vielleicht könnte ich ihm sagen, dass er nicht mein "Typ" ist, aber was würde mich daran hindern, einfach nett zu sein, etwas mit ihm zu plaudern?

Rashed sagt, er sei 30, aber er sieht sehr viel älter aus. Und sehr müde. Vielleicht kommt er aus Bangladesch oder Pakistan, ich möchte nicht fragen, ich möchte nur schnell weiter.

Eine Zeit lang sehe ich ihn oft, er spricht immer wieder Frauen an, manchmal sehr junge, manchmal ältere. Als er mich zum fünften oder sechsten Mal anspricht, wieder mit den gleichen Worten, reagiere ich genervt. Es liegt nicht nur an ihm, ich habe es eilig, ich will jetzt nicht sprechen.

Ich antworte barsch: Nein, meine Nummer könne er nicht haben. Da bricht er in Tränen aus. Sie rennen über seine Wangen, er schnieft, ich fühle mich wie ein Monster, nicht mal ein Taschentuch habe ich für ihn, Passanten starren mich an, als hätte ich jemanden mutwillig angefahren.

Sorry, stottere ich, und laufe schnell weiter.

*

Ein paar Tage später treffe ich mich abends mit Freunden auf ein Bier. Ich erzähle einer Freundin davon, dass ich in letzter Zeit oft angesprochen werde, von jungen Männern, Flüchtlingen. Sie sagt, sie kenne das auch.

Da platzt es aus ihrem Freund heraus: „Die wollen doch nur schnell heiraten, um hier bleiben zu können!“

„Na und!“, sage ich. „Würde ich in seiner Situation bestimmt auch.“

Ich rede mich ein bisschen in Rage, ich sage, dass sich niemand daran stört, wenn alte weiße Herren junge Thailänderinnen und schöne Brasilianerinnen heiraten. Dass weiße mittelalte Frauen in Liebesurlauben in Kenia schwarzen jungen Männern Geld zustecken, für ein bisschen Vergnügen, für ein bisschen Sex. Wenn es unseren Bedürfnissen entspricht, dann ist so etwas schon okay, nicht wahr?

Und überhaupt, sage ich, gibt es doch keinen Widerspruch, zwischen dem Bleiben-Wollen und der Sehnsucht nach Liebe, gegen die Einsamkeit, und denke dabei an die Männer im Schaukasten.

Na, dann könne ich ja so einen heiraten, sagt mein Kumpel, und ich erschrecke darüber, wie hart die Worte aus seinem Mund klingen.

Ich schweige grimmig. Am wütendsten bin ich darüber, dass ich weiß, welche Ressentiments in seinem Kopf herumschwirren, dass ich sie also teile, obwohl ich das nicht will. All die Stereotype von Muslimen, von arabischen oder afrikanischen Männern, die sich im Bild des Flüchtlings vereinen.

Ich bin wütend, weil ich nicht weltoffener bin als er. Ich denke, dass ich ja viel reden kann, solange ich mir die Menschen – die Anderen, die Fremden – vom Leibe halten kann und diejenige bin, die abweist.

Ich bin wütend, dass ich mich einrichte in meinem Mitleid, ein Trostpflaster, für meine Seele, nicht für die der anderen.

*

Neulich spazierte ich im Park an einem jungen Paar mit Kindern vorbei. Der Vater schob den Kinderwagen, an der Hand der Mutter stapfte ein kleiner Junge mit schwarzem Haarschopf. Ich kenne den Vater, es ist Mehdi.

Er hat mich vor sechs oder sieben Jahren einmal angesprochen, genau in diesem Park. Mehdi sprach gut Deutsch und Englisch, wir plauderten lebhaft, er erzählte und lachte viel.

Er sagte damals, dass er selbst schon eine Weile in Deutschland lebte und dass sein Zwillingsbruder nachkommen würde. Für diese Zeit hatte er allerhand Geschäftsideen, er erzählte mir von seinem Studium in Tunesien.

Am Ende der Runde im Park fragte er mich nach meiner Telefonnummer. Ich sagte, die könne ich ihm nicht geben. Mehdi wirkte genervt, wie jemand, der erfolglos Zeit investiert hatte. Ich war ein bisschen gekränkt.

Eine Weile noch nickten wir einander zu, wenn wir uns begegneten, was wir häufig taten. Irgendwann nicht mehr. Diesmal sah er mich nicht an; sein Blick blieb auf den Säugling im Kinderwagen gerichtet.

Ich glaube, Mehdi ist angekommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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