Sara Rukaj wettert gegen einen antiquierten Feminismus – wer spricht da?
Polemik Sara Rukajs „Die Antiquiertheit der Frau“ ist eine Provokation. Unsere Autorin Marlen Hobrack hat es gelesen – dieses „Potpourri, das feministische Reizthemen bunt mischt“. Strittig ist, ob die Autorin das Buch alleine geschrieben hat
Sara Rukajs Haltung gegenüber Prostitution: radikal feministisch oder verklemmt bürgerlich?
Foto: Getty Images
Was wurde nicht schon alles geschrieben über die Frau! Sitte, Sexus und das unergründliche Wollen der Frauen sind seit Jahrhunderten, gar Jahrtausenden Gegenstand intellektueller Betrachtungen. Will man diesem Wust aus Literatur und (zumeist männlicher) Anmaßung einen Kontrapunkt entgegensetzen, so muss dieser schon wuchtig daherkommen.
Seit einigen Jahrzehnten wird die Frau gar zum reinen gesellschaftlichen Konstrukt erklärt, bis zu einem Punkt, an dem sich selbst Feministinnen nicht mehr darüber einig sein können, was genau das nun ist – eine Frau. Ist sie als Ganzes, nicht nur als Konzept, womöglich gar überholt?
Au contraire, im Gegenteil, meint die 1992 in Wien geborene, in Frankfurt am Main lebende Philosophin und Psychologin Sara Ruka
hologin Sara Rukaj. Ihr Buch Die Antiquiertheit der Frau, erschienen beim Berliner Verlag Edition Tiamat, ist eine Abrechnung mit all den feministischen und identitätspolitischen Debatten, die zuletzt das Subjekt, das sie ermächtigen wollen, zu Tode dekonstruiert hätten. An die Stelle eines universalistischen Blicks auf das Subjekt, ganz gleich welchen Geschlechts, seien Selbstbespiegelungen von Subjekten getreten, schreibt Rukaj. Das Subjekt zerfasert in Identitäten, die nur mehr mit komplexen soziologischen Termini erfasst werden können. Man ist queer, trans, fluid et cetera; zugleich beanspruche noch jeder Partikel der neuen Identitäten ein Recht auf Anerkennung.Eine regelrechte Leere habe der Feminismus herbeianalysiert, ein schwarzes Loch, wo einstmals immerhin Zuschreibungen an die Frau existierten. Aber was dagegen unternehmen? Rukajs Antwort ist eine wütende Anklage.Witz und Polemik, aber ...Das Buch erscheint wie ein Potpourri, das feministische Reizthemen – und nicht nur diese – versammelt und bunt mischt. Wobei nie ganz klar wird, was genau nun der Standpunkt der Autorin ist. Der einer streitbaren Liberalen? Oder einer antifeministischen Feministin – wie die legendäre US-amerikanische Kultursoziologin Camille Paglia? Freilich kann man gegen bestimmte feministische Positionen polemisieren, und ein Buch muss auch keinen konstruktiven Debattenbeitrag darstellen. Aber als Leser möchte man doch den Standpunkt der Autorin kennen. Der bleibt bis zuletzt nicht greifbar und erschöpft sich in einer Art Rundumschlag gegen alles und jeden. Eine Hau-drauf-Methode.Stellenweise ist Rukajs Abrechnung mit dem feministischen Selbstbetrug luzide und so scharfzüngig, dass man sich an die Texte der Intellektuellen Katharina Rutschky erinnert fühlt, die bekanntermaßen auch nie vor Angriffen gegen die Erzfeindin Alice Schwarzer zurückschreckte. Wie Rutschky arbeitet sich Rukaj mit kaum verhohlenem Spott an Autorinnen ab – darunter Deutschlands medial präsenteste Hetäre Salomé Balthus oder die nach eigenen Angaben kommunistische Feministin Şeyda Kurt, (sie schrieb 2021 die Streitschrift Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist, in der alles Weiß-Heteronormative recht pauschal angeklagt wurde, siehe der Freitag 19/2021).Öfter ist was dran an Rukajs Aussagen, bisweilen jedoch wirkt der Text fahrig, wie eine Verquickung von Gemeinplätzen. Es entsteht der Eindruck, hier sei etwas sehr hastig und mit heißer Nadel gestrickt worden, und ein gründlicheres Lektorat hätte dem Buch sicher nicht geschadet. Das zeigen Sätze wie: „Demagogen und falschen (sic) Propheten wissen, dass sich noch der Dümmste für empfindsam ins Feld geführte Menschenrechte erwärmen kann.“Was soll das, über Polemik hinaus, bedeuten? Rukajs Text muss mit derselben Hast, mit einer Art „Facebook-Leichtigkeit“, gelesen werden, mit der er wohl spontan geschrieben wurde, dann entfaltet er seinen Witz und seine polemische Kraft, die ja durchaus zum Schmunzeln bringt. Etwa wenn Rukaj gegen Identitätspolitik schießt: „Schließlich gilt es heute schon als Zumutung, überhaupt mit jemandem zu sprechen, der nicht man selbst ist.“Und doch hat man immer wieder das Gefühl: Hat man das nicht schon irgendwo gelesen? Es beginnt ja bereits beim Titel. Denn Rukaj spielt nicht nur mit Günther Anders’ Die Antiquiertheit des Menschen aus dem Jahr 1986; auch Magnus Klaues Die Antiquiertheit des Sexus (XS-Verlag 2022), das sich aus sozialphilosophischer Perspektive den Sexualpolitiken der Gegenwart widmet, wird auf Titelebene zitiert. Nun ist es völlig legitim, andere Autoren oder ihre Texte als Stichwortgeber zu nutzen. Es bleibt aber nicht beim Aufgreifen von Stichworten. Jedenfalls wurde Rukaj schon vor Erscheinen des Buches vorgeworfen, sie habe sich bei Gedanken und Texten anderer kräftig bedient, ohne diese Übernahmen kenntlich zu machen.Was zunächst nach schlampiger Zitierweise, vielleicht gar einem etwas sehr freien Verständnis von intellektueller Aneignung klingt, erscheint nach einem Facebook-Post von Stefanie Schott in einem völlig anderen Licht. In dem Posting warf Schott Rukaj vor, diese habe sie für die Mitarbeit an dem Kapitel zur Sexarbeit nie entlohnt und auch nicht als Verfasserin eines Teils des Kapitels kenntlich gemacht. Rukaj habe Zuarbeiten verlangt und sie im Gegenzug zu einem Essen im Steakhouse einladen wollen. Das sei nie erfolgt. Nun kann man sich natürlich darüber wundern, dass jemand an einem Buch mitarbeitet und dabei nicht mehr als den Gegenwert eines Rumpsteaks einfordert. Aber die Nichtnennung von Co-Autor:innen hat natürlich Geschmäckle, wie sich ja zuletzt etwa im Fall der Ökonomin und Buchautorin Maja Göpel zeigte.Die Nichtnennung sei nichts als ein Versehen, so der Verleger Klaus Bittermann, der Autorin und Buch zu verteidigen sucht. Man habe die Co-Autoren zum Schluss, „zusammen mit den Drucknachweisen“ bringen wollen, das sei dann aber vergessen worden. Es sei sein Fehler, so der Verleger. Das Buch habe sich bereits im Druck befunden, als die Vorwürfe die Autorin und ihn erreichten, weswegen man dem Buch einen Erratumszettel beigefügt habe. Immerhin, der Verleger steht voll und ganz hinter seiner Autorin und ihrem Buch.Doch tatsächlich offenbart sich gerade in dem Prostitutionskapitel und der durch das Facebook-Posting aufgerollten Produktionsgeschichte die Schwäche des Textes, der tatsächlich wirkt, als wäre er aus zwei völlig unterschiedlichen, letztlich konträren Perspektiven verfasst worden. Die Autorin referiert hier zunächst Erfahrungen aus der Szene der Sexarbeiterinnen, polemisiert dann hart gegen queerfeministische, sexpositive Positionen, die Sexarbeit oft genug zum Akt der Befreiung stilisieren oder sie als Form der Arbeit „wie jede andere auch“ betrachten wollen.„Emma-Feministinnen ließen sich am ehesten als intellektuell und theoretisch mäßig interessierte Empiriker dechiffrieren, die sich ansehen, was die Prostitution für Frauen konkret bedeutet. Ihre Widersacher hingegen sind Ideologen, die sich verstiegene Theoriegebilde einverleibt haben, die, so kompliziert auch immer sie formuliert sein mögen, der Empirie kaum bis gar nicht standhalten.“... wer spricht hier?Nach einer eher linken Kritik an der Prostitution, die die Frage nach dem Warencharakter des käuflichen Sexualaktes aufwirft, folgt die Polemik gegen bürgerliche Feministinnen, die ein Hauch moralingesäuerter Verklemmtheit umwehe, wonach Rukaj gegen Radikalfeministinnen schießt, die Prostitution verboten sehen wollen. Nur um dann zur Kritik an den Freiern selbst überzugehen, die sich in Freierforen dafür rühmen, Prostituierte misshandelt zu haben.„Die Prostituierte figuriert als eine Art Platzhalter. Sie ist für den Freier die Gespielin, mit der er das auszuleben gedenkt, was er sonst nur aus seiner kleinen, schmutzigen Porno-Sammlung kennt.“ Schmutzig ist solch eine Porno-Sammlung allerdings nur aus der Perspektive einer radikal feministischen, verklemmt-bürgerlichen Moral – wer spricht hier also?In gewisser Weise spricht durch Rukaj jede Stimme, die sich in den letzten Jahren zu feministischen Fragestellungen geäußert hat. Das könnte man multiperspektivisch nennen, oder eben wenig originell.Placeholder infobox-1
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